Arbeitsunfall: Welche Leistungen muss die gesetzliche Unfallversicherung erbringen?

25.01.2021, Redaktion Anwalt-Suchservice
Artikel kommentieren
Türschild,Unfallversicherung Die gesetzliche Unfallversicherung zahlt nicht nur die Behandlungskosten. © Bu - Anwalt-Suchservice

Nach einem Arbeitsunfall sind sich viele Arbeitnehmer unsicher, für welche Schäden die gesetzliche Unfallversicherung eigentlich aufkommt. Deckt sie auch die Reha ab oder gar die Kinderbetreuungskosten?

Von der gesetzlichen Unfallversicherung wird beispielsweise die Behandlung durch einen sogenannten Durchgangsarzt übernommen, außerdem das sogenannte Verletztengeld, Rehabilitationsmaßnahmen und auch Hilfsmittel, die eine schnelle Genesung fördern. Wenn ein Arbeitnehmer längere Zeit arbeitsunfähig ist, kommt sie unter Umständen auch für eine Verletztenrente auf. Allerdings trägt sie in bestimmten Fällen auch noch weitere Kosten.

Welche Behandlungskosten übernimmt die Unfallversicherung?


An erster Stelle bezahlt die Unfallversicherung für Heilbehandlungen. Dies umfasst die ärztliche Behandlung selbst sowie die notwendigen Medikamente und Verbands-, Heil- und Hilfsmittel. Sie übernimmt außerdem die Kosten von Krankenhausaufenthalten, häuslicher Krankenpflege, Reha-Kliniken, Physio- und Psychotherapie.

Fall: Wann kann die Unfallversicherung die Zahlung verweigern?


Bei einem Sturz im Betrieb hatte ein Metallbauer einige Blessuren erlitten. Die Durchgangsärztin fand zunächst nur Prellungen und Schürfwunden. Die Knie schienen unverletzt zu sein. Es fanden mehrere Folgebehandlungen statt, unter anderem wegen eines Lymphödems am Fuß. Drei Monate nach dem Unfall hatte der Patient ständige Schmerzen im Knie. Bei einer MRT-Untersuchung zeigte sich: Er hatte einen umfangreichen Meniskusriss.

Nun verweigerte die Berufsgenossenschaft als Trägerin der Unfallversicherung die Bezahlung der Behandlungskosten für den Meniskusschaden und auch die Bezahlung von Verletztengeld. Sie ging davon aus, dass die Knieverletzung nicht von dem Arbeitsunfall stammte. Das Sozialgericht Karlsruhe bestätigte diese Entscheidung. Ein Anspruch auf Versicherungsleistungen setze voraus, dass ein direkter Zusammenhang mit dem Arbeitsunfall bewiesen sei. Dies sei hier nicht der Fall. Der vom Kläger geschilderte Unfallhergang könne gar keinen Innenmeniskusriss hervorrufen. Selbst, wenn er sich beim Sturz das Knie verdreht hätte, hätten typische Begleitverletzungen an Gelenkkapsel und Bändern sichtbar sein müssen – was nicht der Fall war. Daher musste die Unfallversicherung hier nicht zahlen (Urteil vom 14.10.2016, Az. S 1 U 2298/16).

Was übernimmt die Unfallversicherung bei Vorschäden und Folgeschäden?


Ein Haken bei der gesetzlichen Unfallversicherung ist, dass sie nur die Behandlungskosten bezahlt, die wirklich durch einen Arbeitsunfall verursacht wurden. Dies kann manchmal kompliziert werden. Wie in diesem Fall:

Ein Lagerarbeiter war auf dem Betriebsgelände von einer “Ameise” angefahren und unter einem Stapel Gitterboxen begraben worden. Er erlitt dabei nicht nur Prellungen und Schürfwunden, sondern verlor auch seine beiden oberen Schneidezähne. Der Kiefer wurde so stark beschädigt, dass sich das Ganze nur über Kronen und Teilkronen an weiteren Zähnen stabilisieren ließ. Dabei wurde mit weiteren Kronen eine sogenannte “Bisshebung” durchgeführt, denn die Stellung seiner Zähne war schon vor dem Unfall nicht optimal gewesen. Seine neuen Vorderzähne waren weiß, die umliegenden, alten Zähne jedoch abgenutzt. Daher ließ der Mann den Zahnarzt die alten Zähne farblich den neuen anpassen.

Dazu entschied das Landessozialgericht Baden-Württemberg: Die Unfallversicherung müsse hier lediglich die Kosten für den Ersatz der Frontzähne und deren stabilen Einbau übernehmen. Schließlich sei die Bisskorrektur nicht durch den Unfall notwendig geworden. Auch die helle Farbe der Frontzähne habe der Kläger selbst ausgewählt. Eine kosmetische Folgebehandlung müsse die Unfallversicherung nicht tragen. So musste der Mann schließlich etwa 2.400 Euro selbst zahlen (Urteil vom 30.1.2017, Az. L 1 U 120/16).

Was ist das Verletztengeld?


Wenn ein Arbeitnehmer infolge eines Arbeitsunfalles arbeitsunfähig wird, zahlt ihm sein Arbeitgeber den Arbeitslohn zunächst für sechs Wochen weiter. Die Voraussetzung ist jedoch, dass der Beschäftigte schon seit mindestens vier Wochen im Betrieb gearbeitet hat. Wenn er nach Ablauf der sechs Wochen noch nicht wieder einsatzfähig ist, übernimmt die Berufsgenossenschaft und bezahlt das sogenannte Verletztengeld. Ausgezahlt wird dieses allerdings von der Krankenkasse. Seine Höhe beträgt 80 Prozent des üblichen Bruttogehalts, abzüglich den Beiträgen zur Arbeitslosen- und Rentenversicherung. Grundsätzlich wird das Verletztengeld für höchstens 78 Wochen geleistet. Aber: siehe unten.

78-Wochen sind keine feste Grenze


Gelegentlich wird die Zahlung von Verletztengeld nach Ablauf von 78 Wochen ohne weitere Prüfung der Sachlage einfach beendet. So einfach ist die Sache jedoch nicht: Die entsprechende Vorschrift im Sozialgesetzbuch beginnt mit den Worten “wenn mit dem Wiedereintritt der Arbeitsfähigkeit nicht zu rechnen ist”. Das heißt: Zuerst muss eine entsprechende Prognoseentscheidung der Unfallversicherung stattgefunden haben, sinnvollerweise auf Grundlage von ärztlichen Befunden. Erst bei einer negativen Prognose kann sich die Berufsgenossenschaft auf den Ablauf der 78 Wochen berufen und die Zahlungen einstellen.

Das Verletztengeld endet auch bei noch laufenden Reha-Maßnahmen nicht, nur weil die 78 Wochen abgelaufen sind. Es läuft auch unabhängig von der Wochenzahl weiter, solange der Arbeitnehmer sich noch in stationärer Behandlung befindet (§ 46 Abs. 3 S. 2 SGB VII). Bestätigt wurde dies vom Bundessozialgericht (Urteil vom 30. Oktober 2007, Az. B 2 U 31/06 R).

Welche Reha-Maßnahmen zahlt die Unfallversicherung?


Die gesetzliche Unfallversicherung zahlt auch Rehabilitationsmaßnahmen. Schließlich ist eines ihrer Ziele ja, den Arbeitnehmer so schnell wie möglich wieder arbeitsfähig zu machen. Zu den möglichen Maßnahmen gehört beispielsweise der Aufenthalt in einer Rehaklinik und auch die Versorgung mit Hilfsmitteln wie Rollstuhl und Krücken. Unter Umständen kann sogar ein bedarfsgerecht umgerüstetes Auto oder eine besondere Umrüstung am Arbeitsplatz finanziert werden. Wenn eine Wiederaufnahme der alten Tätigkeit nach der Genesung nicht mehr möglich ist, kann die Versicherung auch die Kosten einer Umschulung übernehmen.

Wann erhält man Verletztenrente?


Nach einem Arbeitsunfall steht die Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit an erster Stelle. Wenn allerdings die Erwerbsfähigkeit in der 27. Woche nach dem Arbeitsunfall immer noch um mindestens 20 Prozent gemindert ist, ist die Zahlung einer Verletztenrente möglich. Das Verletztengeld und die Verletztenrente gibt es allerdings nicht gleichzeitig.

Die Verletztenrente in der gesetzlichen Unfallversicherung bemisst sich nach dem Jahresarbeitsverdienst (JAV), dem Gesamtbetrag der Arbeitsentgelte in den 12 Kalendermonaten vor dem Arbeitsunfall.

Übrigens: Nach einem Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts erhöhen Spesen die Verletztenrente. Im Fall ging es um einen LKW-Fernfahrer, der von seinem Chef pauschal versteuerte und steuerfreie Spesen wegen betrieblicher Auswärtstätigkeiten erhielt. Diese rechnete die Berufsgenossenschaft bei der Berechnung des JAV nicht mit ein. Tatsächlich hatte der Fernfahrer keinen Mehraufwand, da er in der Fahrerkabine im Lkw übernachtete, der Lkw mit Kühlschrank, Kaffeemaschine und Wasserkocher ausgestattet war und er Lebensmittel von zu Hause mitnahm.

Aber: Das Bayerische Landessozialgericht hat entschieden, dass die Spesen als Arbeitsentgelt beim JAV zu berücksichtigen seien. Dem Kläger seien hier keine tatsächlichen Mehraufwendungen entstanden. Die Spesen hätten sich daher einkommenserhöhend ausgewirkt und seien beim JAV zu berücksichtigen (Az. L 3 U 619/11).

Haushaltshilfe und Kinderbetreuungskosten


Die gesetzliche Unfallversicherung bezahlt unter Umständen auch eine Haushaltshilfe. Eine derartige Leistung kommt besonders dann in Betracht, wenn das Unfallopfer in ambulanter Behandlung ist und auf diese Weise eine teurere stationäre Behandlung vermieden werden kann. Sogar eine Kinderbetreuung kann finanziert werden, jedoch nicht zusätzlich zu einer Haushaltshilfe. Rechtsgrundlage für diese Leistungen ist § 64 des neunten Sozialgesetzbuches (SGB IX). Voraussetzung für eine Übernahme von Kinderbetreuungskosten ist, dass diese ”durch die Ausführung einer Leistung zur medizinischen Rehabilitation oder zur Teilhabe am Arbeitsleben unvermeidbar entstehen.” Dann werden Kinderbetreuungskosten gemäß § 74 SGB IX in Höhe von 160 Euro pro Kind und Monat übernommen.

Was gilt, wenn jemand zum Pflegefall wird?


Wenn ein Beschäftigter durch einen Arbeitsunfall zum Pflegefall wird, bezahlt ihm die Unfallversicherung ein Pflegegeld. Dessen Höhe ist vom Pflegegrad des Betreffenden (früher: Pflegestufe) abhängig. Der Rahmen für das Pflegegeld liegt 2020/2021 in den alten Bundesländern zwischen 387 Euro und 1.542 Euro und in den neuen zwischen 369 Euro und 1.483 Euro. Die tatsächliche Höhe ist von den Verhältnissen des Versicherten abhängig.
Voraussetzung für das Pflegegeld ist, dass der Verletzte durch einen Arbeitsunfall oder eine Berufskrankheit in erheblichem Maße Pflege und Unterstützung braucht. Arbeitnehmer können beantragen, dass die Unfallversicherung die Kosten für eine Pflegekraft oder die Pflege in einem Heim trägt.

Praxistipp


Falls möglich, sollte man vor der Behandlung die Zustimmung der Berufsgenossenschaft zur Kostenübernahme einholen. Ganz besonders gilt dies bei aufwändigen Behandlungen, bei denen die Erstellung eines Heil- und Kostenplans möglich ist, wie etwa bei Zahnprothesen. Wenn die Berufsgenossenschaft Kosten nicht übernehmen will, empfiehlt sich die Beratung durch einen im Sozialversicherungsrecht erfahrenen Rechtsanwalt.

(Wk)


Sie benötigen Hilfe bei Ihrer Suche nach dem richtigen Anwalt? Dann schreiben Sie uns über unser Kontaktformular. Wir helfen Ihnen kostenlos und unverbindlich.


 Günter Warkowski
Anwalt-Suchservice
Juristische Redaktion
E-Mail schreiben Juristische Redaktion
 Günter Warkowski
Anwalt-Suchservice
Juristische Redaktion
E-Mail schreiben Juristische Redaktion