Außerordentliche krankheitsbedingte Kündigung bei häufigen Kurzerkrankungen

Autor: RA FAArbR Dr. Ulrich Boudon, Heuking Kühn Lüer Wojtek, Köln
Aus: Arbeits-Rechtsberater, Heft 08/2014
Eine krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit kann ein wichtiger Grund i.S.d. § 626 Abs. 1 BGB sein, wenn die Möglichkeit einer ordentlichen Kündigung ausgeschlossen und das Arbeitsverhältnis „sinnentleert” ist, weil der Arbeitgeber über Jahre hinweg erhebliche Entgeltzahlungen ohne Gegenleitung zu erbringen hätte. Die Ausschlussfrist des § 626 Abs. 2 BGB wird bei Dauertatbeständen ständig neu in Gang gesetzt und endet nicht schon mit dem Ende der letzten Arbeitsunfähigkeit, sondern erst, wenn ein hinreichend langer Zeitraum ohne Krankheiten eine negative Gesundheitsprognose nicht mehr stützen kann.

BAG, Urt. v. 23.1.2014 - 2 AZR 582/13

Vorinstanz: LAG Hamburg - 2 Sa 107/12

BGB § 626 Abs. 1 u. 2

Das Problem:

Die Entscheidung betrifft die Einhaltung der Frist des § 626 Abs. 2 BGB bei Ausschluss der ordentlichen Kündigung und die besonderen Anforderungen an den wichtigen Grund für eine außerordentliche Kündigung mit sozialer Auslauffrist bei häufigen Kurzerkrankungen.

Die 52 Jahre alte, ordentlich nicht mehr kündbare Klägerin war seit 30 Jahren als Hilfsgärtnerin bei der Beklagten beschäftigt. In den letzten zehn Jahren hatte sie Fehlzeiten von zwischen 19 und 163 Arbeitstagen im Jahr (durchschnittlich 75,25 Arbeitstage/Jahr). In den letzten drei Jahren hatte sie an 19, 67 und 55 Arbeitstagen gefehlt. Am 6.10.2011 führte die Beklagte ein betriebliches Eingliederungsmanagement durch. Die Klägerin war zuletzt bis zum 19.12.2011 arbeitsunfähig. Nach Auseinandersetzung mit dem Personalrat kündigte die Beklagte am 28.3.2012 außerordentlich mit sozialer Auslauffrist zum 30.9.2012.

Die Entscheidung des Gerichts:

Die Klage hatte – mit unterschiedlichen Begründungen – in allen Instanzen Erfolg. Das LAG meinte, die Frist des § 626 Abs. 2 BGB sei nicht eingehalten. Dem folgt das BAG nicht. Für die Wahrung der Frist kommt es nicht darauf an, ob der Arbeitnehmer bis mindestens zwei Wochen vor Zugang der Kündigung – zufällig – arbeitsunfähig war. Maßgebend ist vielmehr, ob der Kündigungsgrund, nämlich die auf der fortbestehenden Krankheitsanfälligkeit beruhende negative Gesundheitsprognose sowie die sich daraus ergebenden erheblichen Beeinträchtigungen betrieblicher Interessen noch bis mindestens zwei Wochen vor Zugang der Kündigung fortbestanden haben.

Allerdings hat das BAG schon auf der Grundlage des Vorbringens der Beklagten die Voraussetzungen eines wichtigen Grundes verneint. Bei der außerordentlichen krankheitsbedingten Kündigung ist der Prüfungsmaßstab auf allen drei Stufen erheblich strenger als bei der ordentlichen Kündigung. Die prognostizierten Fehlzeiten und die sich daraus ergebenden Beeinträchtigungen der betrieblichen Interessen müssen daher deutlich über das Maß hinausgehen, welches eine ordentliche Kündigung sozial rechtfertigen könnte. Dies ist nur dann anzunehmen, wenn Leistung und Gegenleistung in einem solchen Missverhältnis stehen, dass zu erwarten steht, dass der Arbeitgeber über Jahre hinweg erhebliche Entgeltzahlungen zu erbringen hätte, ohne dass dem eine nennenswerte Arbeitsleistung gegenüberstünde. Das ist jedenfalls nicht gegeben, wenn noch zu fast 2/3 der Jahresarbeitszeit ein Einsatz möglich ist.


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