Außerordentliche Kündigung wegen „Stalking”

Autor: RA FAArbR Dr. Henning Hülbach, Rechtsanwälte Verweyen Lenz-Voß Boisserée, Köln, Lehrbeauftragter für Arbeitsrecht (FH Köln)
Aus: Arbeits-Rechtsberater, Heft 11/2012
Das beharrliche Nachstellen einer Kollegin unter bewusster Missachtung ihres entgegenstehenden Willens stellt „an sich” einen wichtigen Kündigungsgrund i.S.v. § 626 Abs. 1 BGB dar. Die Schwere der Pflichtverletzung kann – ebenso wie ein bereits gegen den Arbeitnehmer durchgeführtes inhaltsgleiches Beschwerdeverfahren nach § 13 AGG – eine Abmahnung entbehrlich machen. Die Androhung „arbeitsrechtlicher Konsequenzen” erfüllt die Warnfunktion einer Abmahnung.

BAG, Urt. v. 19.4.2012 - 2 AZR 258/11

Vorinstanz: Hessisches LAG - 2 Sa 979/10

BGB §§ 241 Abs. 2, 626 Abs. 1

Das Problem:

Gegen den Kläger hatte in einem vergleichbaren Fall bereits ein Verfahren vor der Beschwerdestelle nach dem AGG stattgefunden. Die Beschwerdestelle hatte dem Kläger mitgeteilt, eine unmittelbare dienstliche Kontaktaufnahme mit der beschwerdeführenden Mitarbeiterin habe „auf jeden Fall zur Vermeidung arbeitsrechtlicher Konsequenzen zu unterbleiben”.

Etwa zwei Jahre später beschwerte sich eine weitere Mitarbeiterin bei der Beklagten. Sie schilderte Vorgänge erheblicher Zudringlichkeit, den Erhalt von über 120 E-Mails, MMS und SMS sowie Drohungen des Klägers gegen sie und ihren Ehemann für den Fall des Abbruchs von Kontakten.

Gegen die nach erfolgter Zustimmung des Integrationsamts ausgesprochene fristlose Kündigung wendet sich der Kläger u.a. mit dem Argument, es fehle an einer wirksamen Abmahnung. Das LAG hatte der Klage stattgegeben. Hiergegen wendet sich die Beklagte mit der Berufung.

Die Entscheidung des Gerichts:

Das BAG verweist die Sache zur anderweitigen Entscheidung an das LAG zurück. Es sei „an sich” ein Kündigungsgrund i.S.v. § 626 Abs. 1 BGB gegeben. Zudem fehle es nicht an einer erforderlichen Abmahnung.

Stelle ein Arbeitnehmer einer Kollegin unter bewusster Missachtung ihres entgegenstehenden Willens im Rahmen seiner arbeitsvertraglichen Tätigkeit beharrlich nach, sei dies als wichtiger Grund für eine außerordentliche Kündigung i.S.v. § 626 Abs. 1 BGB geeignet. Das Verhalten stelle eine erhebliche Störung des Betriebsfriedens dar. Der betroffene Mitarbeiter verletze nicht nur das Persönlichkeitsrecht der Betroffenen, sondern in erheblichem Maße zugleich seine Pflicht zur Rücksichtnahme auf die berechtigten Interessen des Arbeitgebers. Ob der wichtige Grund im Ergebnis zur Kündigung berechtige, hänge von den Umständen des Einzelfalls ab. Maßgeblich seien insoweit insbesondere
  • das Ausmaß und die Intensität der Pflichtverletzung,
  • deren Folgen,
  • eine etwaige Wiederholungsgefahr sowie
  • der Grad des Verschuldens.
Zwar stelle die Aufforderung seitens der Beschwerdestelle keine Abmahnung dar. Dies folge indessen nicht aus einer unzureichenden Warnung vor ggf. den Bestand des Arbeitsverhältnisses gefährdenden Maßnahmen, sondern aus der fehlenden ausdrücklichen Rüge bzw. Bewertung des Verhalten als Pflichtwidrigkeit. Eine Abmahnung sei aber dennoch angesichts der erfolgten Monierung derartigen Verhaltens seitens des Arbeitgebers und der Intensität sowie Vielzahl von ungewünschten Zudringlichkeiten entbehrlich gewesen. Der inakzeptable bedrängende Charakter seines Verhaltens sei für den Kläger ohne weiteres ersichtlich gewesen.


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