BAG, Urt. 15.12.2022 - 2 AZR 162/22

BEM: Datenschutzrechtliche Einwilligung und Vermutungswirkung bei Zustimmung des Integrationsamtes

Autor: RA FAArbR Dr. Artur Kühnel, VAHLE KÜHNEL BECKER FAeArbR, Hamburg
Aus: Arbeits-Rechtsberater, Heft 05/2023
Die Einleitung eines betrieblichen Eingliederungsmanagements (bEM) darf nicht davon abhängig gemacht werden, dass der Arbeitnehmer eine vorformulierte Datenschutzerklärung unterzeichnet. Die Erhebung und Verarbeitung von Daten muss frühestens erörtert werden, wenn sich die Beteiligten darüber verständigt haben, welche Angaben über den Gesundheitszustand voraussichtlich erforderlich sind. Die Zustimmung des Integrationsamts zu einer krankheitsbedingten Kündigung begründet keine Vermutung, dass die Kündigung auch durch ein (unterlassenes) bEM nicht hätte verhindert werden können.

KSchG § 1 Abs. 1, 2; SGB IX § 167 Abs. 2

Das Problem

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen krankheitsbedingten Kündigung.

Die Klägerin war bei der Beklagten als Versicherungssachbearbeiterin beschäftigt. Nach längerer krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit lud die Beklagte die Klägerin zu einem bEM ein.

Die Klägerin unterzeichnete die ihr diesbezüglich übermittelte datenschutzrechtliche Einwilligung nicht. Die Beklagte wies mehrfach darauf hin, dass das bEM ohne diese nicht durchgeführt werden könne. Nach erteilter Zustimmung des Integrationsamtes kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis ordentlich.

Die hiergegen erhobene Klage hat das Arbeitsgericht abgewiesen; das LAG hat ihr auf Berufung der Klägerin hingegen stattgegeben (LAG Baden-Württemberg, Urt. v. 10.2.2022 – 17 SA 57/21, ArbRB 2022, 199 [Hülbach]).

Die Entscheidung des Gerichts

Das BAG hält die Kündigung für unverhältnismäßig und damit unwirksam.

Die Einleitung des bEM habe nicht davon abhängig gemacht werden dürfen, dass die Klägerin die Datenschutzerklärung unterzeichne. § 167 Abs. 2 SGB IX sehe dies nicht vor, sondern lediglich einen Hinweis auf die Datenerhebung und -verarbeitung.

Es sei möglich und zumutbar gewesen, zunächst mit dem bEM zu beginnen, den Verfahrensablauf zu besprechen und zu versuchen, die Vorbehalte der Klägerin auszuräumen, sowie den Kreis der am Verfahren mitwirkenden Stellen und Personen festzulegen. Erst danach seien die Möglichkeiten zu erörtern und darüber zu befinden gewesen, ob und ggf. welche Angaben über den Gesundheitszustand hierfür voraussichtlich erforderlich und auf welche Weise etwaige Gesundheitsdaten rechtskonform zu erheben und verarbeiten seien. Nur wenn die Klägerin nicht bereit gewesen wäre, an dem weiteren Klärungsprozess konstruktiv mitzuwirken, hätte die Beklagte das bEM „kündigungsneutral“ beenden können.

Danach habe der Beklagten die Darlegung oblegen, dass auch ein bEM nicht dazu habe beitragen können, neuerlichen Arbeitsunfähigkeitszeiten entgegenzuwirken und das Arbeitsverhältnis zu erhalten. Das LAG habe im Rahmen seines tatrichterlichen Beurteilungsspielraums ohne Rechtsfehler angenommen, dass die Beklagte dem nicht nachgekommen sei.

Die Zustimmung des Integrationsamts begründe keine Vermutung dafür, dass ein bEM eine Kündigung nicht hätte verhindern können.

Zwar habe der Senat einmal angenommen, dass nur bei Vorliegen besonderer Anhaltspunkte davon ausgegangen werden könne, dass ein Präventionsverfahren nach § 167 Abs. 1 SGB IX (n.F.) die Kündigung hätte verhindern können (BAG, Urt. v. 7.12.2006 – 2 AZR 182/06, MDR 2007, 844 = ArbRB 2007, 169 [Hülbach]). Unabhängig davon, ob daran festzuhalten sei, könne dies aber nicht auf die vorliegende Konstellation übertragen werden. Dies finde im Wortlaut keine Stütze. Das bEM und das Zustimmungsverfahren vor dem Integrationsamt hätten unterschiedliche Ziele, prozedurale Abläufe und Beteiligte. Zudem obliege die Beurteilung der Wirksamkeit der Kündigung nach arbeitsrechtlichen Normen allein den Gerichten für Arbeitssachen.


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