BAG, Urt. 1.12.2020 - 9 AZR 102/20

Arbeitnehmereigenschaft von Crowdworkern

Autor: RA FAArbR Dr. Sascha Schewiola, Heuking Kühn Lüer Wojtek, Köln
Aus: Arbeits-Rechtsberater, Heft 01/2021
Ein Crowdworker kann Arbeitnehmer sein.

BGB § 611a

Das Problem

Crowdworker sind Personen, die Arbeitsaufträge annehmen, die einer Masse (Crowd) zur Verfügung gestellt werden. Angeboten werden die Aufträge meist über Internetplattformen (Crowdsourcing). Crowdworker arbeiten überwiegend auf freiberuflicher Basis.

Im Streitfall hatte die Beklagte Kleinstaufträge („Mikrojobs“) auf einer Onlineplattform ausgeschrieben. Hierzu hatte sie – u.a. mit dem Kläger – eine „Basis-Vereinbarung“ unter Anwendung Allgemeiner Geschäftsbedingungen abgeschlossen. In Umsetzung dieser Basis-Vereinbarung konnte der Kläger bestimmte Einzel-Aufträge annehmen, ohne dazu vertraglich verpflichtet zu sein. Gegenstand der Aufträge war die Kontrolle von Präsentationen für Markenprodukte im Einzelhandel und an Tankstellen. Hierzu hatte der Kläger Fotos von Warenpräsentationen anzufertigen und Fragen zur Bewerbung der Produkte zu beantworten. Einen Auftrag musste der Kläger regelmäßig binnen zwei Stunden nach detaillierten Vorgaben erledigen. Für erledigte Aufträge wurden dem Kläger Erfahrungspunkte auf seinem Nutzerkonto gutgeschrieben. Das System erhöht mit der Anzahl erledigter Aufträge das Level und gestattet dadurch die gleichzeitige Annahme mehrerer Aufträge.

Der Kläger hat in einem Zeitraum von elf Monaten 2.978 Aufträge ausgeführt, bevor die Beklagte ihm per E-Mail mitgeteilt hat, ihm keine weiteren Aufträge mehr anzubieten. Mit seiner hiergegen gerichteten Klage hat der Kläger beim Arbeitsgericht zunächst die Feststellung des Bestehens eines unbefristeten Arbeitsverhältnisses beantragt. Im Laufe des Rechtsstreits hat die Beklagte ein etwaig bestehendes Arbeitsverhältnis vorsorglich ordentlich fristgerecht gekündigt. Hiergegen richtet sich die Kündigungsschutzklage des Klägers, mit der er außerdem u.a. Vergütungsansprüche verfolgt.

Die Entscheidung des Gerichts

Der 9. Senat des BAG ist der Auffassung, zum Zeitpunkt der vorsorglichen Kündigung der Beklagten hat zwischen den Parteien ein Arbeitsverhältnis bestanden. Dafür spreche der Umstand, dass die Beklagte über die von ihr betriebene Onlineplattform die Zusammenarbeit mit dem Kläger so steuere, dass dieser seine Tätigkeit nach Ort, Zeit und Inhalt nicht frei gestalten könne. Daran ändere auch der Umstand nichts, dass der Kläger vertraglich nicht zur Annahme von Angeboten der Beklagten verpflichtet sei. Die Organisationsstruktur der Beklagten sei darauf ausgerichtet, über einen Account angemeldete und eingearbeitete Nutzer kontinuierlich Bündel einfacher, Schritt für Schritt vertraglich vorgegebener Kleinstaufträge zu übertragen, um diese persönlich zu erledigen.


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