BAG, Urt. 24.9.2019 - 9 AZR 273/18

Ausschlussfrist in Altvertrag bzgl. „aller beiderseitigen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis“ – Einschränkende Auslegung

Autor: RA FAArbR Dr. Artur Kühnel, Vahle Kühnel Becker FAeArbR, Hamburg
Aus: Arbeits-Rechtsberater, Heft 03/2020
Erfasst eine vor dem 1.1.2002 als AGB vereinbarte arbeitsvertragliche Ausschlussfrist ohne Einschränkung „alle beiderseitigen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis“, ist sie ergänzend dahingehend einschränkend auszulegen, dass sie Haftungsansprüche i.S.v. § 202 Abs. 1 BGB und § 309 Nr. 7 BGB nicht erfasst.

BGB § 202 Abs. 1, § 307 Abs. 1 Satz 1 u. 2, § 309 Nr. 7; TVG § 4 Abs. 4 Satz 3; BetrVG § 77 Abs. 4 Satz 4; MiLoG § 3 Satz 1

Das Problem

Der Kläger klagt auf Zahlung von Weihnachts- und Urlaubsgeld.

Im Arbeitsvertrag der Parteien vom 6.3.1997 heißt es unter der Überschrift „Verfallsfrist“:

Die Parteien vereinbaren, dass alle beiderseitigen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis binnen drei Monaten nach Fälligkeit verfallen. Der Verfall tritt nicht ein, wenn solche Ansprüche innerhalb dieses Zeitraumes schriftlich gegenüber der anderen Vertragspartei geltend gemacht werden.

Die Beklagte zahlte allen Beschäftigten in den Jahren 1997 bis 2003 mit der Vergütung für Juni ein Urlaubsgeld i.H.v. 50 % und in den Jahren 1998 bis 2000 mit der Vergütung für November ein Weihnachtsgeld i.H.v. 60 % des Bruttomonatsentgelts.

Der Kläger hat die Zahlung von Weihnachts- und Urlaubsgeld für das Jahr 2015 außergerichtlich am 3.8.2016 erfolglos geltend gemacht und anschließend Klage erhoben. Die Beklagte beruft sich auf den Verfall der Ansprüche aufgrund der vom Kläger versäumten Verfallsfrist.

Die Entscheidung des Gerichts

Das BAG weist die Klage – wie die Vorinstanzen – ab. Die aufgrund betrieblicher Übung zunächst entstandenen Ansprüche des Klägers seien verfallen, da der Kläger die arbeitsvertragliche Ausschlussfrist nicht gewahrt habe.

Die Ausschlussfristenregelung sei wirksam. Insbesondere verstoße die Klausel nicht gegen § 202 Abs. 1 BGB i.V.m. § 134 BGB, weil sie die Haftung aus vorsätzlich begangener Vertragspflichtverletzung oder unerlaubter Handlung nicht vom Verfall ausnehme. Gleiches gelte für das vergleichbare Klauselverbot in § 309 Nr. 7 BGB, denn die vorliegende Klausel sei im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung dahingehend einschränkend auszulegen, dass sie solche Haftungsansprüche nicht erfasse. Dies sei vorliegend geboten, da diese Vorschriften bei Vertragsschluss im Jahr 1997 nicht bestanden hätten. Die Beklagten hätte sie somit auch nicht berücksichtigen können. Andernfalls würde deren Anwendung auf eine echte Rückwirkung des Gesetzes hinauslaufen.

Die Klausel verstoße auch nicht gegen das Transparenzgebot des § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB, da hierfür allein auf die Gesetzeslage bei Vertragsschluss abzustellen sei. Sei eine Klausel bei Vertragsschluss transparent, verliere sie ihre Wirksamkeit nicht, auch wenn spätere Gesetzesänderungen zu einer Intransparenz führen würden.

Da der Arbeitsvertrag vorliegend vor Inkrafttreten des Mindestlohngesetzes geschlossen worden sei, führe auch § 3 Satz 1 MiLoG nicht nachträglich nach § 307 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. Satz 1 BGB zur Gesamtunwirksamkeit der Ausschlussfristenregelung wegen Intransparenz. Die fehlende Ausnahme des gesetzlichen Mindestlohns in einem „Altvertrag“ habe für den Zeitraum ab dem 1.1.2015 lediglich die Teilunwirksamkeit der Ausschlussfristenregelung zur Folge.

Auch sei die Klausel nicht unwirksam, weil sie Ansprüche aus gem. § 4 Abs. 4 Satz 3 TVG und § 77 Abs. 4 Satz 4 BetrVG unmittelbar und zwingend wirkenden Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen nicht ausnehme. Solche Bestimmungen hätten bei Vertragsschluss auf das Arbeitsverhältnis nicht normativ eingewirkt.


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