BAG, Urt. 26.10.2016 - 5 AZR 168/16

Schätzung von Umkleide- und Wegezeiten

Autor: RA FAArbR Dr. Norbert Windeln,LL.M., avocado rechtsanwälte, Köln
Aus: Arbeits-Rechtsberater, Heft 03/2017
Steht fest, dass vom Arbeitgeber zu vergütende Umkleide- und Wegezeiten entstanden sind, kann aber der Arbeitnehmer seiner Darlegungs- und Beweislast für den zeitlichen Umfang, in dem diese erforderlich waren, nicht in jeder Hinsicht genügen, so darf das Gericht die erforderlichen Umkleide- und Wegezeiten schätzen.

BAG, Urt. v. 26.10.2016 - 5 AZR 168/16

Vorinstanz: LAG Hamm - 3 Sa 1331/15

ZPO § 287 Abs. 2, Abs. 1 Satz 1 u. 2; BGB § 611

Das Problem

Die Parteien streiten über die Vergütung von Umkleide- und hiermit verbundenen Wegezeiten. Die Arbeitskleidung wird von der Beklagten gestellt. Sie darf aufgrund von Hygienevorschriften nicht mit nach Hause genommen werden, sondern ist im Betrieb an- und abzulegen. Hierzu müssen die Arbeitnehmer die Arbeitskleidung an einer Ausgabestelle abholen und sich in einem Umkleideraum umziehen. Anschließend haben sie sich wieder zur Pforte des Betriebs zu begeben, um an der dortigen Stempeluhr ihre Anwesenheit abzustempeln. Nach Schichtende ist der Vorgang in umgekehrter Reihenfolge zu wiederholen.

Der Kläger erachtet die Umkleide- und die hiermit verbundenen Wegezeiten als vergütungspflichtige Arbeitszeit. Er macht geltend, hierfür in den Jahren 2011 bis 2014 arbeitstäglich 36 Minuten aufgewendet zu haben, und klagt den entsprechenden Betrag ein. Das Arbeitsgericht spricht dem Kläger nach einer umfassenden Beweisaufnahme, in welcher u.a. der Umkleidevorgang einschließlich der zurückzulegenden Wege nachgestellt wurden, eine zusätzliche Vergütung für arbeitstäglich 27 Minuten zu und weist die Klage i.Ü. ab. Die Berufung der Beklagten hiergegeben bleibt erfolglos.

Die Entscheidung des Gerichts

Das BAG weist die zugelassene Revision der Beklagten zurück.

Zur vergütungspflichtigen Arbeitszeit gehöre auch das Umkleiden und Zurücklegen der hiermit verbundenen innerbetrieblichen Wege, wenn der Arbeitgeber – wie vorliegend – das Tragen einer bestimmten Kleidung vorschreibe, die im Betrieb an- und abgelegt werden müsse.

Das Arbeitsgericht sei auch berechtigt gewesen, den erforderlichen Zeitaufwand unter Anwendung von § 287 Abs. 2 ZPO zu schätzen. Diese Vorschrift habe zwar keine Auswirkungen auf die Verteilung der Darlegungs- und Beweislast; sie biete aber Erleichterungen für das Beweismaß und das Verfahren. Konkret erlaube es die Vorschrift auch bei vermögensrechtlichen Streitigkeiten, die Höhe einer Forderung zu schätzen, wenn diese zwischen den Parteien streitig sei und die vollständige Aufklärung aller hierfür maßgebenden Umstände entweder mit unverhältnismäßigen Schwierigkeiten verbunden oder gänzlich unmöglich sei. Diese Voraussetzungen seien vorliegend gegeben. Mit dem nachgestellten Umkleidevorgang sowie den unstreitig zurückzulegenden innerbetrieblichen Wegen hätten auch ausreichend Anknüpfungstatsachen für die Schätzung vorgelegen.


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