BAG, Urt. 28.7.2020 - 1 AZR 590/18

Mittelbare Benachteiligung wegen Behinderung im Sozialplan

Autor: RA FAArbR Dr. Detlef Grimm, Loschelder Rechtsanwälte, Köln
Aus: Arbeits-Rechtsberater, Heft 12/2020
Die Regelung in einem Sozialplan, wonach bei der Ermittlung eines als Abfindung zu zahlenden „fiktiven Differenzbetrags“ in einem Faktor auf den „frühestmöglichen Renteneintritt“ des anspruchsberechtigten Arbeitnehmers abzustellen ist, bewirkt eine mittelbar auf dem Kriterium der Behinderung beruhende Benachteiligung. Dieser Verstoß gegen § 75 Abs. 1 BetrVG bewirkt, dass eine Anpassung nach oben erfolgt und den Angehörigen der mittelbar benachteiligten Gruppe dieselben Leistungen zu gewähren sind wie den nicht benachteiligten Arbeitnehmern. Dies gilt selbst bei erheblichen finanziellen Belastungen des Arbeitgebers.

BetrVG § 75 Abs. 1; AGG § 1; SGB VI § 236a Abs. 1 Satz 2 u. Abs. 2 Satz 2

Das Problem

Der Kläger, ein schwerbehinderter Mensch, streitet mit der Beklagten über die Höhe einer Sozialplanabfindung. Der Sozialplan sah vor, dass für Arbeitnehmer, die das 59. Lebensjahr zum Stichtag 31.3.2017 vollendet hatten, ein Differenzbetrag des Gehalts zwischen der rechtlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses und dem frühestmöglichen Renteneintritt abzgl. fiktiver Arbeitslosengeldansprüche gezahlt wird. Dabei legte die beklagte Arbeitgeberin als frühestmöglichen Renteneintritt die Altersrente für schwerbehinderte Menschen gem. § 236a Abs. 2 Satz 2 SGB VI zugrunde. Das LAG hat hierin eine nicht gerechtfertigte Benachteiligung wegen der Schwerbehinderung gesehen und dem Kläger eine zusätzliche Abfindung entsprechend den für nicht schwerbehinderte Menschen geltenden Regeln i.H.v. 60.281,01 € brutto zugesprochen.

Die Entscheidung des Gerichts

Das BAG weist die Revision der Beklagten zurück. Sozialpläne unterlägen der gerichtlichen Rechtmäßigkeitskontrolle insbesondere nach dem betriebsverfassungsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz gem. § 75 Abs. 1 BetrVG. Das gelte auch für in der Einigungsstelle entstandene Sozialpläne.

Durch die Beschränkung des fiktiven Gehalts-Differenzbetrags auf den frühestmöglichen Renteneintritt werde der Kläger mittelbar als schwerbehinderter Mensch benachteiligt. Der Kläger könne gem. § 236a Abs. 1 Satz 2 SGB VI zu einem früheren Zeitpunkt Altersrente vorzeitig in Anspruch nehmen als ein nicht schwerbehinderter Arbeitnehmer. Durch dieses undifferenzierte Abstellen auf den frühestmöglichen Wechsel in die Altersrente komme es zu einer übermäßigen Beeinträchtigung der Interessen schwerbehinderter Arbeitnehmer. Der sozialversicherungsrechtliche Vorteil der vorzeitigen Renteninanspruchnahme solle gerade den Schwierigkeiten und besonderen Risiken Rechnung tragen, mit denen schwerbehinderte Arbeitnehmer konfrontiert seien. Das werde auch nicht durch – betragsmäßig geringe – Ausgleichsbeträge für schwerbehinderte Menschen und Gleichgestellte ausgeglichen.


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