Bewertung von Fahrzeiten im Außendienst als Arbeitszeit

Autor: RA FAArbR Dr. Henning Hülbach, Lehrbeauftragter für Arbeitsrecht (TH Köln), VERWEYEN LENZ-VOß BOISSERÉE Rechtsanwälte PartnerschaftsG mbB, Köln
Aus: Arbeits-Rechtsberater, Heft 10/2015
Lenkzeiten, die Arbeitnehmer ohne festen oder gewöhnlichen Arbeitsort für die täglichen Fahrten zwischen ihrem Wohnort und dem Standort des ersten und des letzten vom Arbeitgeber bestimmten Kunden aufwenden, ist Arbeitszeit i.S.v. Art. 2 Nr. 1 der Richtlinie 2003/88/EG (Arbeitszeitrichtlinie)

EuGH, Urt. v. 10.9.2015 - Rs. C-266/14

Vorinstanz: Audiencia Nacional [Spanien]

Richtlinie 2003/88/EG v. 4.11.2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung (Arbeitszeitrichtlinie – Arbeitszeit-RL) Art. 2 Nr. 1

Das Problem

Bei der betroffenen Arbeitgeberin war ein Arbeitnehmer landesweit für die Installation und Wartung von Sicherheitssystemen zuständig. Nach Schließung sämtlicher Regionalbüros wurden alle Arbeitnehmer dem Zentralbüro in Madrid (Spanien) zugewiesen. Vor der Schließung waren die Arbeitnehmer von dem jeweiligen Regionalbüro zu den Kundeneinsätzen gefahren, was als Arbeitszeit bewertet worden war. Nunmehr fahren die Arbeitnehmer von ihrem Wohnort mit einem Firmenfahrzeug allmorgendlich zu wechselnden Kundeneinsätzen, die ihnen abends zuvor mittels Telefon-App und Fahrplan durch den Arbeitgeber mitgeteilt werden, und abends zum Wohnort zurück.

Die Entscheidung des Gerichts

Der EuGH legt Art. 2 Nr. 1 der Arbeitszeit-RL dahingehend aus, dass in Konstellationen wie der vorliegenden auch die Fahrzeit der Arbeitnehmer für die täglichen Fahrten zwischen ihrem Wohnort und dem Standort des jeweils ersten und des letzten Kunden „Arbeitszeit” darstellt. Dabei berücksichtigt der EuGH auch den Umstand, dass vor Schließen der Regionalbüros die Fahrzeit vom Regionalbüro zum Kunden stets wie Arbeitszeit behandelt worden war.

Die Begriffe „Arbeitszeit” und „Ruhezeit” i.S.d. Richtlinie seien unionsrechtliche Begriffe, die sich ausschließen würden und anhand objektiver Merkmale unter Berücksichtigung des Regelungszusammenhangs und des Zwecks der Richtlinie zu bestimmen seien. Letzterer bestehe darin, Mindestvorschriften zur Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen der Arbeitnehmer aufzustellen.

Im Streitfall nähmen die Arbeitnehmer nicht nur bei der reinen Installationsarbeit bei Kunden vor Ort Arbeitsaufgaben wahr, sondern auch beim Führen des Fahrzeugs zu und von den Einsatzorten jeweils zu ihrem Wohnort. Die während dieser Fahrten bestehende gewisse Freiheit, über die die Arbeitnehmer während eines Einsatzes bei einem Kunden nicht verfügten, rechtfertige es nicht, diese Zeit als Ruhezeit einzuordnen. Auch während dieser Fahrten unterstünden die Arbeitnehmer den Anweisungen des Arbeitgebers, der z.B. die Kundenreihenfolge ändern oder einen Termin streichen oder hinzufügen könne. Ihren eigenen Interessen könnten die Arbeitnehmer während der entsprechenden Fahrten jedenfalls nicht nachgehen.

Die Fahrten gehörten zum Wesen der Arbeitsleistung eines Arbeitnehmers, der über keinen festen oder gewöhnlichen Arbeitsort verfüge. Derartigen Arbeitnehmern werde die Möglichkeit genommen, die Entfernung zwischen ihrem Wohnort und dem gewöhnlichen Ort des Beginns und des Endes ihres Arbeitstags und damit die Dauer der nicht zur Arbeitszeit zählenden Fahrzeit zur Arbeitsstelle frei zu bestimmen. Gegen die Einordnung als Arbeitszeit spreche auch nicht das Argument höherer Kosten. Die Richtlinie lege nicht fest, wie diese Arbeitszeit zu vergüten sei. Insoweit seien die Regelungen der Richtlinie auch nicht bindend; vielmehr unterliege die Vergütungsfrage den Regelungen des nationalen Rechts.


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