OLG Celle, Beschl. 19.3.2025 - 21 UF 237/24

Eigenbedarf rechtfertigt Kündigung der Schwiegermutter

Autor: RiAG a.D. Ralph Neumann, Brühl
Aus: Familien-Rechtsberater, Heft 06/2025
1. Steht eine Immobilie im Miteigentum der Ehegatten, so ist für ein bestehendes Mietverhältnis im Zweifel davon auszugehen, dass eine Bruchteilsgemeinschaft i.S.v. § 741 BGB mit der Folge vorliegt, dass ein Ehegatte gem. § 745 Abs. 2 BGB eine Neuregelung der Nutzungsverhältnisse nach der Trennung auch dahingehend verlangen kann, dass der andere Ehegatte eine gemeinsame Kündigungserklärung in Bezug auf das bestehende Mietverhältnis abgibt.2. Im Rahmen der den beiderseitigen Interessen der Teilhaber gerecht werdenden Entscheidung über die weitere Nutzung ist neben der aus § 1353 BGB folgenden ehelichen Solidarität auch zu berücksichtigen, ob die beabsichtigte Kündigungserklärung nicht offensichtlich aussichtslos ist bzw. hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet. Daher sind der Eigenbedarf des die Kündigungserklärung begehrenden Ehegatten nach § 573 Abs. 1 und 2 Nr. 2 BGB sowie ein mögliches Widerspruchsrecht des Mieters nach § 574 BGB neben den wirtschaftlichen Verhältnissen beider Ehegatten in die Beurteilung einzubeziehen.

BGB § 745 Abs. 2, § 573, § 574

Das Problem

Die Eheleute, beide als Ärzte tätig, lebten mit ihren beiden Kindern in einem geräumigen Einfamilienhaus. Nach der Trennung lebte der Antragsteller zunächst in den Räumen seiner Praxis, später mietete er eine Wohnung an, die ihm, wie er vorträgt, nur befristet zur Verfügung steht. Die Antragsgegnerin lebt mit den Kindern weiterhin in der Ehewohnung, die in ihrem Alleineigentum steht. Die Eheleute haben in der Nähe ihrer Ehewohnung ein weiteres Haus zu hälftigem Eigentum, das sie an die Mutter der Antragsgegnerin vermietet haben. Der Antragsteller will dieses Haus selbst nutzen und hat das Mietverhältnis mit seiner Schwiegermutter gekündigt. Die erbetene Genehmigung der Antragsgegnerin hat diese verweigert, da ihre 82‑jährige Mutter pflegebedürftig sei. Der Antragsteller begehrt die Verpflichtung der Antragsgegnerin zur Abgabe einer gemeinsamen Kündigungserklärung. Das FamG hat dies zurückgewiesen, da der Antragsteller seinen Eigenbedarf nicht hinreichend dargelegt habe und die Schwiegermutter ebenfalls eine nahe Familienangehörige sei.

Die Entscheidung des Gerichts

Der Senat sieht hingegen einen Anspruch des Antragstellers gegen die Antragsgegnerin gem. § 745 Abs. 2 BGB auf Neuregelung der Nutzungsverhältnisse an der vermieteten Immobilie als gegeben an. Denn seit der Trennung der Ehegatten hätten sich die Voraussetzungen für die Nutzung des Hauses derart wesentlich verändert, dass ihm ein Festhalten an dem Mietverhältnis nicht länger zuzumuten sei. Er könne daher von der Antragsgegnerin verlangen, das von beiden Ehegatten mit der Mutter der Antragsgegnerin geschlossene Mietverhältnis zu kündigen.

Dabei sei, auch wenn beide Eheleute Vertragsparteien auf Vermieterseite sind, nicht davon auszugehen, dass sie eine Ehegatteninnengesellschaft hinsichtlich der vermieteten Immobilie mit der Folge begründet hätten, dass Beschlüsse der Gesellschafter der Einstimmigkeit nach § 714 BGB bedürften. Vielmehr bestehe im Innenverhältnis aus ihrer Eigentümerstellung eine Bruchteilsgemeinschaft nach § 741 BGB. Ein Miteigentümer könne daher nach § 745 Abs. 2 BGB eine Regelung der Benutzung verlangen, wenn dies aufgrund der veränderten Umstände geboten ist und dem Interesse aller Teilhaber nach billigem Ermessen entspricht. Welche Neuregelung der Benutzung von einem Teilhaber verlangt werden kann, ist nach den konkreten örtlichen und sonstigen Verhältnissen sowie nach der bisherigen Zweckbestimmung festzustellen.

Eine wesentliche Änderung seit der Beschlussfassung über die Vermietung an die Mutter der Antragsgegnerin sei zum einen dadurch gegeben, dass sich die Beteiligten getrennt haben, zum anderen beanspruche die Antragsgegnerin von dem Antragsteller die Zahlung von Unterhalt. Inhalt der Neuregelung könne auch die Kündigung eines Mietverhältnisses über die gemeinschaftliche Immobilie sein. Hier habe der Antragsteller sein berechtigtes Interesse an der Kündigung des Mietverhältnisses mit der Schwiegermutter hinreichend dargetan. Dass er eine Benutzung des vermieteten Hauses längere Zeit nicht beansprucht habe, obwohl ihm dies mit der Trennung der Beteiligten grundsätzlich offen gestanden hätte, stehe einem Neuregelungsbegehren auch nach Ablauf von drei bis vier Jahren nicht entgegen.

Eine auf die gemeinschaftliche Erklärung der Beteiligten gerichtete Kündigung des Mietverhältnisses mit der Mutter der Antragsgegnerin sei auch nicht offensichtlich aussichtslos und biete nach dem im vorliegenden Verfahren maßgeblichen Vorbringen der Beteiligten hinreichende Aussicht auf Erfolg. Denn dass die Mutter der Antragsgegnerin dem gemeinschaftlichen Kündigungsbegehren der Beteiligten nach § 574 Abs. 1 und 2 BGB offensichtlich wirksam widersprechen kann, könne der Senat nicht feststellen. Hierfür müsste die Beendigung des Mietverhältnisses für die Mutter der Antragsgegnerin auch unter Berücksichtigung der Interessen des Antragstellers bzw. der Beteiligten eine Härte bedeuten, die nicht zu rechtfertigen ist und die insbesondere dann vorliegt, wenn angemessener Ersatzwohnraum zu zumutbaren Bedingungen nicht beschafft werden kann. Davon sei bei den angegebenen eigenen Einkünften der Mutter von wenigstens 15.000 € monatlich nicht auszugehen.

Außerdem sei die Antragsgegnerin in der Lage, ihre Mutter in der von ihr selbst bewohnten Immobilie mit einer Wohnfläche von 350 qm und einer nicht genutzten Einliegerwohnung mit einer Wohnfläche von 70 qm aufzunehmen und zu versorgen. Allein das Alter der Mutter der Antragsgegnerin von jetzt 83 Jahren lasse einen Wohnungswechsel nicht zwingend als unzumutbar erscheinen. Den Grad der Pflegebedürftigkeit ihrer Mutter habe die Antragsgegnerin nicht hinreichend konkretisiert.


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