BGH, Beschl. 21.10.2020 - XII ZB 201/19

Einkommensbemessung auf Seiten des unterhaltspflichtigen Elternteils

Autor: RiOLG a.D. RAin Dr. Dagny Liceni-Kierstein, Berlin
Aus: Familien-Rechtsberater, Heft 02/2021
Steht eine vom Unterhaltspflichtigen bewohnte Immobilie in seinem Alleineigentum, ist ihm im Rahmen der Bemessung des Unterhalts für ein minderjähriges Kind ungeachtet etwaiger Unterhaltsansprüche Dritter grundsätzlich der gesamte Wohnwert zuzurechnen. Die vom Arbeitgeber dem Unterhaltsverpflichteten gewährte Pkw-Überlassungspauschale (sog. Car Allowance) stellt nach Abzug der Kosten, die durch die berufliche Nutzung des privaten Fahrzeugs entstehen, unterhaltsrechtlich relevantes Einkommen dar. Auch beim Verwandtenunterhalt (§ 1601 BGB) ist das Einkommen des Unterhaltspflichtigen nur eingeschränkt zu berücksichtigen, wenn es auf einer überobligatorischen Tätigkeit beruht und eine vollständige Heranziehung des Einkommens zu Unterhaltszwecken gegen Treu und Glauben nach § 242 BGB verstieße.

BGB § 1606 Abs. 3 S. 2, § 1609, § 1610

Das Problem

Nach welchen Maßstäben sind im Rahmen des Kindesunterhalts der Wohnvorteil, eine Pkw-Überlassungspauschale und eine überobligationsmäßige Tätigkeit des Unterhaltsverpflichteten unterhaltsrechtlich zu bewerten? (Zum Sachverhalt i.Ü. s. FamRB 2021, 52, vorstehend).

Die Entscheidung des Gerichts

Der BGH folgt den unterhaltsrechtlichen Beurteilungen des OLG auch im Zusammenhang mit den einkommensrelevanten Gesichtspunkten des Wohnvorteils, der Pkw-Überlassungspauschale und der überobligationsmäßigen Tätigkeit auf Seiten des Ag nicht bzw. nur teilweise.

Das OLG hatte im Rahmen des Wohnvorteils nur den hälftigen Mietwert für die Zeit in Ansatz gebracht, in der die Eheleute gemeinsam in dem Haus des Ag gewohnt haben. Demgegenüber geht der BGH davon aus, dass einem Unterhaltspflichtigen, der eine in seinem Alleineigentum stehende Immobilie bewohnt, unbeschadet etwaiger Unterhaltsansprüche Dritter grundsätzlich der gesamte Wohnwert als Gebrauchsvorteil zuzurechnen sei. Das gelte auch dann, wenn der neue Ehepartner des Unterhaltspflichtigen mit in dem Eigenheim lebe. Denn als Alleineigentümer stehe dem Unterhaltspflichtigen das alleinige Nutzungsrecht zu. Daher sei hier auf Seiten des Ag der volle Wohnwert einkommenserhöhend zu berücksichtigen, der sich beim Minderjährigenunterhalt nach der objektiven Marktmiete richte.

Weiterhin beanstandet BGH die einkommensrechtliche Beurteilung des vom Arbeitgeber i.H.v. 1.000 € monatlich an den Ag gezahlten Zuschusses in Form einer Pkw-Überlassungspauschale (sog. Car Allowance) durch das OLG. Von diesem Betrag komme ein Abzug der konkreten Kosten für das Auto in Form der Leasingrate, der Kraftfahrzeugversicherung und -steuer sowie einer Kilometerpauschale in Betracht; daneben sei aber auch eine pauschale Berücksichtigung im Umfang der beruflich veranlassten Fahrleistung möglich. Das OLG habe jedoch dem Umstand nicht hinreichend Rechnung getragen, dass der Ag das Fahrzeug auch für private Zwecke genutzt habe. Es hätte die Beträge für die Kraftfahrzeugversicherung und -steuer sowie die Leasingrate nicht ohne eine weitere Prüfung des Umfangs der privaten Nutzung vollständig vom Einkommen des Ag abziehen dürfen.

Schließlich äußert der BGH rechtliche Bedenken, dass das OLG das unterhaltsrelevante Einkommen des Ag im Jahr 2017 aufgrund überobligationsmäßiger Tätigkeit mit zwei Dritteln seiner bereinigten Einkünfte bemessen habe. Es sei in Rechtsprechung und Literatur anerkannt, dass die Tätigkeit eines Unterhaltspflichtigen auch dann als ganz oder teilweise überobligatorisch bewertet werden könne, wenn die Ausübung der Erwerbstätigkeit mit an sich unzumutbaren gesundheitlichen Belastungen verbunden sei. Wer sich – wie hier der Ag im Hinblick auf das 2016 festgestellte Prostatakarzinom – gegenüber seiner Erwerbsobliegenheit auf eine krankheitsbedingte Einschränkung seiner Erwerbsfähigkeit berufe, müsse grundsätzlich Art und Umfang der behaupteten gesundheitlichen Beeinträchtigungen oder Leiden angeben. Ferner habe er darzulegen, inwieweit die behaupteten gesundheitlichen Störungen sich auf die Erwerbsfähigkeit auswirkten. Entsprechende Feststellungen seien hier nicht getroffen worden, jedoch erforderlich, zumal der Ag im Jahr 2017 überdurchschnittlich gut verdient habe.

Im Ergebnis wird die Rechtsbeschwerde der Ast wegen der ungeklärten Rechtsfragen und der fehlenden Endentscheidungsreife an das OLG zurückverwiesen, während der BGH die Rechtsbeschwerde des Ag als unbegründet zurückweist.


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