BGH, Beschl. 9.11.2016 - XII ZB 227/15

Erwerbsobliegenheit bei Bezug einer Rente wegen voller Erwerbsminderung

Autor: RiKG a.D. Dr. Uta Ehinger, Berlin
Aus: Familien-Rechtsberater, Heft 02/2017
Bezieht ein Elternteil eine Rente wegen voller Erwerbsminderung, obliegt ihm die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass ihm auch eine Tätigkeit in reduziertem Umfang von bis zu drei Stunden arbeitstäglich nicht möglich ist oder er keine Erwerbschancen hat.

BGH, Beschl. v. 9.11.2016 - XII ZB 227/15

Vorinstanz: OLG Brandenburg, Beschl. v. 19.5.2015 - 3 UF 72/14

BGB §§ 1603 Abs. 1, Abs. 2 S. 3; SGB VI §§ 43 Abs. 2 S. 1 Nr. 1, 96a Abs. 2 Nr. 2

Das Problem

Der Antragsteller macht Mindestunterhalt ggü. seiner Mutter, der Antragsgegnerin, geltend. Er lebt bei seinem Vater, der vollschichtig erwerbstätig ist und ein Bruttoeinkommen von 4.200 € hat. Die 52-jährige Antragsgegnerin war als Sozialversicherungsangestellte tätig. Seit 2009 ist sie zu 70 % schwer beschädigt aufgrund einer depressiven Erkrankung und bezieht eine befristete monatliche Rente wegen voller Erwerbsminderung. Zuletzt hat sie Einkünfte von mtl. 1.311 €. Sie pflegt ihre gebrechliche Mutter 3 Stunden täglich an 6 Tagen in der Woche. Die Antragsgegnerin lehnt die Zahlung wegen fehlender Leistungsfähigkeit ab und beruft sich auf die Ersatzhaftung des Vaters nach § 1603 Abs. 2 Satz 3 BGB. Das AG hat dem Antrag stattgegeben, das OLG hat die Beschwerde der Mutter als unbegründet zurückgewiesen und ihr ein fiktives Einkommen aus geringfügiger Tätigkeit zugerechnet.

Die Entscheidung des Gerichts

Die Rechtsbeschwerde der Mutter führt zur Aufhebung der Entscheidung und Zurückverweisung der Sache an das OLG. Zwar sei das OLG zutreffend davon ausgegangen, dass der Antragsgegnerin trotz Bezugs einer Rente wegen voller Erwerbsminderung eine Tätigkeit im Geringverdienerbereich zumutbar sei und ihr ein entsprechendes fiktives Einkommen aufgrund ihrer beruflichen Qualifikation von bis zu 450 € zugerechnet werden könne. Denn die Antragsgegnerin habe nicht ausreichend dargelegt, inwieweit ihre Erkrankung jegliche Erwerbstätigkeit ausschließe bzw. sie keine Erwerbschance habe. Ihr obliege schon nach § 1603 Abs. 1 BGB grundsätzlich eine vollschichtige Erwerbstätigkeit und sie trage die Darlegungs-und Beweislast dafür, dass sie ihre volle Leistungsfähigkeit unverschuldet nicht ausschöpfen könne. Der Bezug einer Rente wegen voller Erwerbsminderung belege nur, dass sie nicht mehr in der Lage sei, werktäglich mindestens drei Stunden oder mehr erwerbstätig zu sein. Dass ihr eine bis zu drei Stunden arbeitstägliche Tätigkeit nicht möglich sei, folge daraus nicht, ebenso wenig aus der Behinderung zu 70 %. Auch die Pflege ihrer Mutter entbinde sie nicht von ihrer Erwerbsobliegenheit, denn der Kindesunterhalt sei gegenüber dem Elternunterhalt vorrangig (§ 1609 Nr. 1, 6 BGB). Auf eine Ersatzhaftung des Vaters komme es nach alledem nicht an.

Das OLG habe die Sache aber erneut zu entscheiden, da es die Pfändungen des Einkommens der Antragsgegnerin aufgrund unzutreffender Erwägungen nicht einkommensmindernd berücksichtigt habe. Da die Pfändungen auf Kostenerstattungsansprüchen des Vaters (und nicht des Kindes) beruhten und Unterhalt generell keinen Vorrang gegenüber anderen Forderungen genieße, müsse das OLG erneut nach billigem Ermessen über die einkommensmindernde Berücksichtigung der Drittforderung nach umfassender Abwägung der Belange des Kindes und des Vaters entscheiden.


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