BGH, Urt. 22.5.2019 - VIII ZR 180/18

Härtegründe: Konkrete Feststellungen erforderlich

Autor: RA FAMuWR Norbert Monschau, Anwaltkooperation Monschau | Schneider | Thiel, Erftstadt, Köln, Neunkirchen
Aus: Miet-Rechtsberater, Heft 08/2019
1. Da sich ein hohes Alter eines Mieters und/oder eine lange Mietdauer mit einer damit einhergehenden langjährigen Verwurzelung im bisherigen Umfeld je nach Persönlichkeit und körperlicher sowie psychischer Verfassung des Mieters unterschiedlich stark auswirken können, rechtfertigen diese Umstände ohne weitere Feststellungen zu den sich hieraus ergebenden Folgen im Falle eines erzwungenen Wohnungswechsels grundsätzlich noch keine Härte i.S.d. § 574 Abs. 1 S. 1 BGB.2. Kommen zu diesen Umständen Erkrankungen hinzu (hier Demenz gemischter Genese), aufgrund derer beim Mieter im Falle seines Herauslösens aus seiner näheren Umgebung eine – nach ihrem Grad nicht näher festgestellte – Verschlechterung seines gesundheitlichen Zustands zu erwarten steht, kann dies in der Gesamtschau zu einer Härte führen. Wenn der gesundheitliche Zustand des Mieters einen Umzug nicht zulässt oder im Falle eines Wohnungswechsels zumindest die ernsthafte Gefahr einer erheblichen Verschlechterung der gesundheitlichen Situation des (schwer) erkrankten Mieters besteht, kann sogar allein dies einen Härtegrund darstellen (Bestätigung von BGH v. 16.10.2013 – VIII ZR 57/13, MDR 2013, 1391, NJW-RR 2014, 78 = MietRB 2013, 349).

BGH, Urt. v. 22.5.2019 - VIII ZR 180/18

Vorinstanz: LG Berlin - 64 S 176/17

BGB § 574

Das Problem

Das Wohnraummietverhältnis besteht seit 1974. Die 79-jährige Mieterin ist an Demenz erkrankt. Die Wohnung wird im August 2015 veräußert. Der Erwerber kündigt wegen Eigenbedarfs. Die Mieterin widerspricht der Kündigung und begründet eine Härte gem. § 574 BGB mit ihrem hohen Alter, der langen Mietdauer der damit einhergehenden langjährigen Verwurzelung im bisherigen Umfeld sowie ihrer gesundheitlichen Verfassung. Das LG setzt das Mietverhältnis auf unbestimmte Zeit fort.

Die Entscheidung des Gerichts

Der BGH hebt das Berufungsurteil auf und verweist an das LG zurück. Weder das hohe Alter des Mieters noch eine lange Wohnzeit können für sich allein eine „Härte” i.S.d. § 574 BGB begründen. Das LG muss weitere Feststellungen zu den sich hieraus ergebenden Folgen im Falle eines erzwungenen Wohnungswechsels treffen. Eine Erkrankung des Mieters kann jedoch in Verbindung mit dessen hohem Lebensalter und langer Wohnzeit in der Gesamtschau zu einer Härte führen, „wenn der gesundheitliche Zustand des Mieters einen Umzug nicht zulässt oder im Falle eines Wohnungswechsels zumindest die ernsthafte Gefahr einer erheblichen Verschlechterung der gesundheitlichen Situation des (schwer) erkrankten Mieters besteht.” Im Einzelfall kann eine schwere Erkrankung auch allein als Härtegrund gelten. Trägt der Mieter hierzu ihm drohende schwerwiegende Gesundheitsgefahren substantiiert vor, muss sich das Gericht regelmäßig mittels sachverständiger Hilfe ein genaues Bild davon verschaffen, welche gesundheitlichen Folgen im Einzelnen mit einem Umzug verbunden sind, insbesondere welchen Schweregrad zu erwartende Gesundheitsbeeinträchtigungen voraussichtlich erreichen werden und mit welcher Wahrscheinlichkeit dies eintreten kann.


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