BGH, Urt. 26.10.2022 - VIII ZR 390/21

Eigenbedarfskündigung: Suizidgefahr und Härtegrund

Autor: RA Dr. Rainer Burbulla, Langguth & Burbulla Rechtsanwälte PartG mbB, Düsseldorf
Aus: Miet-Rechtsberater, Heft 01/2023
1. Die Ablehnung einer möglichen Therapie durch den suizidgefährdeten Mieter führt nicht grundsätzlich dazu, dass das Vorliegen einer Härte abzulehnen oder bei der Interessenabwägung den Interessen des Vermieters der Vorrang einzuräumen wäre. Vielmehr ist dieser Umstand im Rahmen der umfassenden Würdigung der Gesamtumstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, bei der auch die Gründe für die Ablehnung, etwa eine krankheitsbedingt fehlende Einsichtsfähigkeit in eine Therapiebedürftigkeit, sowie die Erfolgsaussichten einer Therapie zu bewerten sind.2. Das Angebot einer Ersatzwohnung durch den Vermieter und dessen Ablehnung durch den Mieter sowie die Gründe hierfür sind ebenfalls einzelfallbezogen sowohl bei der Beurteilung, ob eine Härte vorliegt, als auch bei der Interessenabwägung zu berücksichtigen.

BGB § 574, § 574a

Das Problem

Am 3.4.2017 kündigte der Vermieter den Mietvertrag mit der Mieterin zum 31.12.2017 wegen Eigenbedarfs. Diesen begründete er damit, dass er die Wohnung für sich und seinen Lebenspartner benötige, um sie mit der von ihnen bereits genutzten Wohnung zusammenzulegen. Die Mieterin widersprach der Kündigung und machte Härtegründe geltend. Sie leide u.a. an schwerer rezidivierender Depression bis hin zu Suizidideen. Am 16.2.2018 bot der Vermieter der Mieterin als Alternative die Anmietung einer weiteren Wohnung im Gebäude zu einer Kaltmiete von 356,73 € an, was die Mieterin ablehnte.

Die Entscheidung des Gerichts

Der Senat bejaht das Vorliegen eines Härtegrundes nach § 574 BGB und die Fortsetzung des Mietverhältnisses auf unbestimmte Zeit (§§ 574, 574 a Abs. 2 S. 2 BGB).

Nach § 574 Abs. 1 BGB kann der Mieter einer an sich gerechtfertigten ordentlichen Kündigung des Vermieters widersprechen und von ihm die Fortsetzung des Mietverhältnisses verlangen, wenn die Beendigung des Mietverhältnisses für ihn oder seine Familie eine Härte bedeuten würde, die auch unter Würdigung der berechtigten Interessen des Vermieters nicht zu rechtfertigen ist. Das Vorliegen einer Härte setzt voraus, dass sich die für die Mieterin drohenden Nachteile von den mit einem Wohnungswechsel typischerweise verbundenen Unannehmlichkeiten deutlich abheben (Hinweis auf BGH v. 3.2.2021 – VIII ZR 68/19, MDR 2021, 605 = MietRB 2021, 133 [Monschau]; v. 16.10.2013 – VIII ZR 57/13, MDR 2013, 1391 = MietRB 2013, 349 [Schach]). Das sei hier auch unter Berücksichtigung der Ablehnung einer stationären Therapie und der vom Vermieter angebotenen Ersatzwohnung aufgrund der hohen Suizidgefahr bei Erlass eines Räumungsurteils der Fall. Die Mieterin sei aufgrund ihrer völligen Fixierung auf ihre Mietwohnung krankheitsbedingt nicht in der Lage gewesen, die ihr angebotene Ersatzwohnung anzunehmen. Sie könne sich aufgrund ihrer psychischen Erkrankung ein Leben in dieser Alternativwohnung nicht als mögliche Lösung für ihre als ausweglos empfundene Situation vorstellen. Die Mieterin sei so fixiert auf ihre Wohnung, dass sie schon deshalb und damit krankheitsbedingt eine stationäre therapeutische Intervention ablehne und demnach bereits aufgrund der Erkrankung die Möglichkeiten therapeutischer Interventionen eingeschränkt seien. Zudem sei die Aussicht auf eine erfolgreiche therapeutische – ambulante oder stationäre – Behandlung gering. Therapiemöglichkeiten seien zweifelhaft und wenig erfolgversprechend, weil die Mieterin gedanklich extrem fixiert sei und zudem auch paranoide Vorstellungen im Hinblick auf die Vermieterseite entwickelt habe. Bei der Interessenabwägung zwischen den berechtigten Belangen des Mieters und denen des Vermieters sei zu berücksichtigen, ob und inwieweit sich die mit einem Umzug einhergehenden Folgen durch die Unterstützung des Umfelds des Mieters bzw. durch begleitende ärztliche und/oder therapeutische Behandlungen mindern lassen (Hinweis auf BGH v. 22.5.2019 – VIII ZR 180/18, MDR 2019, 858 = MietRB 2019, 226 [Monschau]). Dabei könne von dem Mieter auch jedes zumutbare Bemühen um eine Verringerung des Gesundheitsrisikos verlangt werden (Hinweis auf BVerfG v. 12.2.1993 – 2 BvR 2077/92, NJW-RR 1993, 463 = ZMR 1993, 211). Es könne mithin auch zu berücksichtigen sein, ob eine bei Verlust der Wohnung bestehende Suizidgefahr durch eine Therapie beherrschbar ist. Die Ablehnung einer möglichen Therapie durch den suizidgefährdeten Mieter führe allerdings nicht grundsätzlich dazu, dass das Vorliegen einer Härte abzulehnen sei. Einer derartigen grundsätzlichen Betrachtungsweise stehe bereits entgegen, dass die Schutzbedürftigkeit eines Mieters nicht allein dadurch entfällt, dass er an der Behandlung einer psychischen Erkrankung, aus der eine Suizidgefahr resultiert, nicht mitwirkt. Eine solche Sichtweise würde dem in Art. 2 Abs. 2 GG enthaltenen Gebot zum Schutz des Lebens und der körperlichen Unversehrtheit nicht gerecht, das auch dann gilt, wenn der Schuldner unfähig ist, aus eigener Kraft oder mit zumutbarer fremder Hilfe die Konfliktsituation angemessen zu bewältigen, unabhängig davon, ob dieser Unfähigkeit Krankheitswert zukommt oder nicht (Hinweis auf BGH v. 20.2.2020 – V ZB 17/19, WuM 2000, 364).


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