BGH, Urt. 9.10.2019 - VIII ZR 21/19

Härtegründe bei energetischer Sanierung

Autor: RiLG Dr. jur. Dr. phil. Andrik Abramenko, Idstein
Aus: Miet-Rechtsberater, Heft 01/2020
1. Ob der Mieter eine unangemessen große Wohnung nutzt, ist zwar bei der Abwägung der beiderseitigen Interessen nach § 559 Abs. 4 S. 1 BGB zu berücksichtigen, aber weder anhand der Vorschriften des Sozialrechts noch isoliert anhand der Größe pro Nutzer zu beurteilen.2. Bei freiwilligen energetischen Sanierungsmaßnahmen entfällt die Abwägung nicht nach § 559 Abs. 4 S. 2 Nr. 2 BGB.

BGB § 559 Abs. 4; EnEV § 9 Abs. 1

Das Problem

Die Mietvertragsparteien streiten um die Erhöhung der Miete aufgrund einer Modernisierung. Der Mieter wohnt seit 1962 in der ursprünglich von seinen Eltern angemieteten, 85, 65 qm großen Drei-Zimmer-Wohnung. Die Bruttokaltmiete beträgt zwischenzeitlich 574, 34 € pro Monat. Die Vermieterin ließ u.a. die Außenfassade dämmen und die vorhandenen Balkone durch größere ersetzen, ferner den ab Mitte der siebziger Jahre stillgelegten Fahrstuhl wieder in Betrieb nehmen. Sie begehrt vom Mieter die Erhöhung der Miete um 240 €, wobei 70 € auf die Dämmarbeiten, 100 € auf den Anbau der neuen Balkone und 70 € auf die Wiederinbetriebnahme des Fahrstuhls entfallen. Der Mieter sieht hierin eine nicht hinzunehmende Härte. Seine Klage auf Feststellung, dass er nicht zur Zahlung der erhöhten Miete verpflichtet ist, war in der Berufungsinstanz mit Ausnahme eines Betrages von 4, 16 € für die Dämmung der obersten Geschossdecke erfolgreich. Das Berufungsgericht ging bei der Abwägung nach § 559 Abs. 4 BGB von einem Überwiegen der Mieterinteressen aus, da dieser seinen angestammten Lebensmittelpunkt infolge der Mieterhöhung voraussichtlich verlieren werde. Hiergegen richtet sich die Revision.

Die Entscheidung des Gerichts

Das Rechtsmittel hatte einstweilen teilweise Erfolg. Das Berufungsgericht ist allerdings bei der Prüfung des Härteeinwandes im Ergebnis zu Recht in der Abwägung der Interessen beider Mietvertragsparteien nicht zu Lasten des Mieters davon ausgegangen, dass dieser eine unangemessen große Wohnung benutzt. Zwar kann dieser Umstand entgegen der Auffassung des Berufungsgerichtes durchaus bei der Abwägung der beiderseitigen Interessen zu Lasten des Mieters ins Gewicht fallen. Dies ist aber entgegen der Annahme der Revision nicht schon dann der Fall, wenn die Wohnung gemessen an den Ausführungsvorschriften zur Gewährung staatlicher Transferleistungen zu groß ist. Denn diese Vorschriften sollen sicherstellen, dass sich der Mieter nicht auf Kosten der Allgemeinheit eine zu große Wohnung leistet. Im Rahmen des § 559 Abs. 4 S. 1 BGB geht es dagegen darum, ob der Mieter aufgrund einer von ihm nicht zu beeinflussenden Entscheidung des Vermieters wegen Modernisierungsmaßnahmen seinen bisherigen Lebensmittelpunkt verliert. Dabei ist zu berücksichtigen, dass nicht nur das Eigentum des Vermieters, sondern auch die Besitzposition des Mieters Bestandsschutz nach Art. 14 Abs. 1 GG genießt. Die Unangemessenheit einer Wohnung kann daher nicht isoliert nach einer bestimmten Größe für die jeweilige Anzahl der Bewohner beurteilt werden. Vielmehr kommt es darauf an, ob die Wohnung unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles für die Bedürfnisse des Mieters zu groß ist, wobei auch seine Verwurzelung in der Wohnung, seine gesundheitliche Verfassung und weitere Gesichtspunkte eine Rolle spielen können. Ohne Bedeutung ist auch der Einwand der Vermieterin, wonach der Mieter die Wohnung aufgrund steigender Betriebskosten zukünftig ohnehin nicht mehr finanzieren könne. Denn solche alternativen Ursachen, die zum Wohnungsverlust führen können, haben bei der Abwägung nach § 559 Abs. 4 BGB außer Betracht zu bleiben. Auf Seiten der Vermieterin ist hier alleine ihr Refinanzierungsinteresse zu berücksichtigen. Belange des Klimaschutzes und der Energieeinsparung sind anders als bei § 555d Abs. 2 S. 1 BGB außer Acht zu lassen. Durch den Ausschluss der Mieterhöhung nach § 559 Abs. 4 S. 1 BGB wird sie nicht unangemessen benachteiligt, weil es ihr unbenommen bleibt, die Miete gem. §§ 558 ff. BGB über die Jahre an die ortsübliche Vergleichsmiete anzupassen.


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