BVerfG, Beschl. 27.4.2017 - 1 BvR 563/17

Gerichtliche Feststellungen bei Trennung des Kindes von seinen Eltern

Autor: DirAG Dr. Michael Giers, Neustadt a. Rbge.
Aus: Familien-Rechtsberater, Heft 08/2017
Der strengen verfassungsgerichtlichen Kontrolle eines Eingriffs in das Elternrecht durch Trennung eines Kindes von seinen Eltern aufgrund einer gravierenden Gefährdung des Kindeswohls kann eine fachgerichtliche Entscheidung auch dann standhalten, wenn ein Sachverständigengutachten für sich genommen keine verlässliche Grundlage für die Feststellung einer Kindeswohlgefährdung bietet, soweit die Entscheidung die Mängel thematisiert, die fachliche Qualifikation des Sachverständigen näher klärt und nachvollziehbar darlegt, inwiefern Aussagen aus dem Gutachten gleichwohl verwertbar sind und zur Entscheidungsfindung beitragen können.

BVerfG, Beschl. v. 27.4.2017 - 1 BvR 563/17

Vorinstanz: OLG Oldenburg, Beschl. v. 23.1.2017 - 11 UF 150/16

BGB §§ 1666, 1666a

Das Problem

Die Beschwerdeführerin ist die Mutter dreier in den Jahren 2005, 2008 und 2011 geborener Kinder, die von verschiedenen Vätern stammen. Die elterliche Sorge übt sie für die beiden älteren Söhne zusammen mit deren Vätern und für die jüngste Tochter allein aus. Nachdem zahlreiche ambulante Hilfemaßnahmen fehlgeschlagen waren, entzog das AG den Eltern bzw. der Mutter die elterliche Sorge. Die Beschwerde blieb ohne Erfolg. Zur Begründung führte das OLG u.a. aus, die Sachverständige habe nachvollziehbar ausgeführt, dass die Kindesmutter zumindest an einer Depression leide. Bei der Anhörung seien die psychischen Auffälligkeiten der Mutter wie der Kinder deutlich zu Tage getreten. Die tatsächlichen Anhaltspunkte für eine Kindeswohlgefährdung (insbesondere ungenügende Versorgung durch die Mutter, Einbeziehung der Kinder in ihre Ängste, ihr Bedürfnis nach Abgrenzung zur Außenwelt mit der Folge, dass die Kinder weder im Fußballverein sein noch Freundschaften pflegen dürfen) werden ausführlich dargestellt.

Die Entscheidung des Gerichts

Die hiergegen gerichtete Verfassungsbeschwerde der Mutter wird nicht zur Entscheidung angenommen. Das BVerfG betont erneut, dass Entscheidungen, die die Trennung eines Kindes von seinen Eltern aufgrund einer gravierenden Gefährdung des Kindeswohls betreffen, wegen des besonderen Eingriffsgewichts einer strengen verfassungsgerichtlichen Überprüfung unterliegen, die sich nicht darauf beschränkt, ob die angegriffene Entscheidung Fehler erkennen lässt, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von der Bedeutung des Grundrechts beruhen, sondern die sich auch auf einzelne Auslegungsfehler sowie auf deutliche Fehler bei der Feststellung und Würdigung des Sachverhalts erstreckt (vgl. BVerfG v. 19.11.2014 – 1 BvR 1178/14, FamRZ 2015, 112 = FamRB 2015, 54).

Das betrifft in besonderem Maße die Verwertung eines Sachverständigengutachtens. Hier hatte das OLG zutreffend festgestellt, dass das Sachverständigengutachten den Anforderungen, die an ein psychiatrisches Gutachten zu stellen sind, nicht vollständig entspricht. Nachvollziehbar festgestellt hatte die Sachverständige jedoch, dass die Mutter an einer depressiven Erkrankung leidet. Im Übrigen stützen OLG und AG ihre Entscheidungen auf eine vom Sachverständigengutachten unabhängige Begründung. Sie legen ausführlich dar, auf welchen Ereignissen und Entwicklungen ihre Annahme einer Kindeswohlgefährdung im Einzelnen basiert.


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