Entgeltfortzahlung bei alkoholbedingter Arbeitsunfähigkeit

Autor: RA FAArbR Dr. Detlef Grimm, Loschelder Rechtsanwälte, Köln
Aus: Arbeits-Rechtsberater, Heft 07/2015
Wird ein Arbeitnehmer infolge seiner Alkoholabhängigkeit arbeitsunfähig krank, kann nach dem derzeitigen Stand der Medizin nicht von einem schuldhaften Verhalten i.S.d. § 3 Abs. 1 Satz 1 EFZG ausgegangen werden. Im Falle eines Rückfalls nach einer erfolgreich durchgeführten Therapie wird die Multikausalität der Alkoholabhängigkeit sich häufig in den Ursachen eines Rückfalls widerspiegeln und deshalb ein schuldhaftes Verhalten im entgeltfortzahlungsrechtlichen Sinn nicht festzustellen sein. Da es jedoch keine gesicherten wissenschaftlichen Erkenntnisse gibt, die in diesem Fall ein Verschulden i.S.d. § 3 Abs. 1 Satz 1 EFZG generell ausschließen, kann nur ein fachmedizinisches Gutachten genauen Aufschluss über die willentliche Herbeiführung des Rückfalls geben. (Amtl. LS)

BAG, Urt. v. 18.3.2015 - 10 AZR 99/14

Vorinstanz: LAG Köln - 13 Sa 516/13

EFZG § 3Abs. 1 Satz 1; BGB §§ 276, 277, 617 Abs. 1 Satz 1; SGB X § 115 Abs. 1

Das Problem

Die Klägerin ist eine Krankenkasse. Ihr alkoholabhängiges Mitglied, das schon zweimal eine stationäre Entzugstherapie durchgeführt hatte, war nach einer Alkoholvergiftung (4,9 Promille) zehn Monate arbeitsunfähig erkrankt gewesen. Auskunft über die Umstände der Alkoholabhängigkeit gab der Arbeitnehmer nicht. In Höhe des geleisteten Krankengeldes macht die Klägerin gegenüber der beklagten Arbeitgeberin Ansprüche auf Entgeltfortzahlung aus übergegangenem Recht (§ 115 Abs. 1 SGB X) geltend.

Die Entscheidung des Gerichts

Die gegen ihre Verurteilung gerichtete Revision der beklagten Arbeitgeberin weist das BAG zurück. Beim Verschulden i.S.v. § 3 Abs. 1 Satz 1 EFZG handele es sich um ein Verschulden gegen sich selbst. Der Arbeitnehmer müsse in erheblichem („grobem oder gröblichem”) Maße gegen die von einem verständigen Menschen im eigenen Interesse zu erwartende Verhaltensweise verstoßen (HWK/Schliemann, § 3 EFZG Rz. 51). Das BAG gibt mit der aus dem ersten Leitsatz zu entnehmenden Formulierung endgültig die Ansicht auf, dass das Entstehen einer Alkoholabhängigkeit vom Betroffenen selbst verschuldet ist (stark relativierend schon BAG, Urt. v. 7.8.1991 – 5 AZR 410/90, MDR 1992, 166 = ArbRB online; HWK/Schliemann, § 3 EFZG Rz. 62).

Auch beim Rückfall nach einer erfolgreichen Therapie fehle es regelmäßig an einem solchen Verschulden. Alkoholismus sei nicht heilbar. Es gebe allerdings auch keine gesicherten wissenschaftlichen Erkenntnisse, dass ein Rückfall nicht auch schuldhaft i.S.v. § 3 Abs. 1 Satz 1 EFZG durch den Arbeitnehmer herbeigeführt worden sein könne. Der Senat lehnt es auch beim Rückfall ab, schematisch eine Umkehr der Beweislast zu Lasten des Arbeitnehmers (MüKoBGB/Müller-Glöge, § 3 EFZG Rz. 43) oder zumindest ein wichtiges Indiz für ein Verschulden anzunehmen. Auf Nachfrage des Arbeitgebers müsse sich der Arbeitnehmer erklären, ob ein Rückfall in die Alkoholabhängigkeit vorliege. Zu den Gründen könne er schweigen. Habe der Arbeitgeber dies vorgetragen, müsse er zur Schuldfrage Beweis durch Sachverständigengutachten oder ggf. durch Vernehmung eines sachverständigen Zeugen anbieten, sofern nicht durch unstreitigen und medizinisch fundierten Tatsachenvortrag die Verschuldensfrage „eindeutig” geklärt sei. Blieben danach Zweifel, gehe dies – wie bisher – zu Lasten des Arbeitgebers (BAG, Urt. v. 1.6.1983 – 5 AZR 536/80).


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