EuGH, Urt. 22.9.2022 - C-120/21

Urlaubsrecht – Verjährung von Urlaubsansprüchen

Autor: Rechtsanwalt & Mediator Dr. Ralf Steffan, Linde Steffan Prehm Köln
Aus: Arbeits-Rechtsberater, Heft 11/2022
Nach Art. 7 RL 2003/88/EG und Art. 31 Abs. 2 GRCh sind nationale Verjährungsvorschriften auf einen Urlaubsanspruch nicht anwendbar, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer tatsächlich nicht in die Lage versetzt hat, den Urlaubsanspruch wahrzunehmen.

RL 2003/88/EG Art. 7; GRCh Art. 31 Abs. 2; BGB § 194 Abs. 1, § 195, § 196 Abs. 1, § 204; BUrlG § 7 Abs. 3 u. 4; AEUV Art. 267

Das Problem

Nach dem Ende des Arbeitsverhältnisses im Jahr 2017 verlangte eine Arbeitnehmerin von ihrem früheren Arbeitgeber die finanzielle Vergütung für 101 nicht genommene Urlaubstage in der Zeit von 2013 bis 2016.

Das BAG ist unter Berücksichtigung der EuGH-Rechtsprechung der Ansicht, dass die Ansprüche nach § 7 Abs. 3 BUrlG nicht erloschen sind, weil der Arbeitgeber die Arbeitnehmerin nicht in die Lage versetzt habe, ihren Jahresurlaub tatsächlich zu nehmen. Allerdings habe der Arbeitgeber sich auf die Verjährung der Ansprüche berufen.

Weil der Arbeitgeber bei Anwendung der Verjährungsvorschriften letztlich finanziell davon profitieren würde, dass er sich seiner Pflicht, eine Urlaubnahme zu ermöglichen, entzogen habe, fragt das BAG den EuGH, ob in solchen Fällen nationale Verjährungsvorschriften mit dem europäischen Recht in Einklang stehen.

Die Entscheidung des Gerichts

Der EuGH weist darauf hin, dass es Sache der Mitgliedstaaten sei, in den nationalen Rechtsvorschriften dafür zu sorgen, dass die Arbeitnehmer ihren Urlaubsanspruch geltend machen können. Deshalb dürften nationale Regelungen nicht zum Verlust des Urlaubsanspruchs am Ende eines Bezugszeitraums oder eines Übertragungszeitraums führen, wenn der Arbeitnehmer nicht tatsächlich die Möglichkeit gehabt habe, den ihm mit der Richtlinie verliehenen Anspruch wahrzunehmen.

Für den Fall der Unmöglichkeit der Urlaubnahme infolge Krankheit könne das nationale Recht einen Übertragungszeitraum von 15 Monaten vorsehen, bevor der Anspruch erlösche. In diesem Fall lägen besondere Umstände vor, unter denen der Anspruch auf Jahresurlaub nach Art. 7 RL 2003/83/EG eingeschränkt werden könne. § 195 BGB führe zu einer Einschränkung sowohl dieses Anspruchs als auch des Anspruchs nach Art. 31 Abs. 2 GRCh.

Nach Ansicht des EuGH kann jedoch auch unter Berücksichtigung des Zwecks der Verjährungsvorschriften, Rechtssicherheit zu gewähren, die Verantwortung für die Wahrnehmung des Urlaubsanspruchs nicht vollständig auf den Arbeitnehmer verlagert werden. Das Prinzip der Rechtssicherheit dürfe dem Arbeitgeber nicht ermöglichen, sich seinen Aufforderungs- und Hinweisobliegenheiten zu entziehen. Deshalb könne ein Urlaubsanspruch am Ende eines Bezugszeitraums oder eines Übertragungszeitraums nur unter der Voraussetzung verloren gehen, dass der betreffende Arbeitnehmer tatsächlich die Möglichkeit gehabt habe, diesen Anspruch rechtzeitig auszuüben.


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