EuGH, Urt. 29.11.2017 - Rs. C-214/16

Urlaubsabgeltung – Europarechtskonforme Auslegung nationaler Regeln

Autor: RAin FAinArbR Dr. Cornelia Marquardt,Norton Rose Fulbright LLP, München
Aus: Arbeits-Rechtsberater, Heft 01/2018
Ein Arbeitnehmer, der aus von seinem Willen unabhängigen Gründen nicht in der Lage war, seinen Jahresurlaub vor Ende des Arbeitsverhältnisses zu nehmen, hat Anspruch auf dessen Abgeltung. Werden Urlaubsansprüche aufgrund der Weigerung des Arbeitgebers, den Urlaub zu vergüten, nicht realisiert, können sie auch über mehrere Jahre angesammelt werden.

EuGH, Urt. v. 29.11.2017 - Rs. C-214/16

Vorinstanz: Court of Appeal England & Wales

Richtlinie 2003/88/EG Art. 1, 7; Working Time Regulations 1998, Reg. 13, Reg. 16, Reg. 30

Das Problem

Der Kläger war vom 1.6.1999 bis zum 6.10.2012 auf der Grundlage eines „Selbstständigen-Vertrags” für einen britischen Fensterhersteller tätig. Laut Vertrag erhielt er für Urlaub keine Bezahlung. Bei Beendigung des Vertragsverhältnisses verlangt er Entschädigung sowohl für genommenen, aber nicht bezahlten, als auch für nicht genommenen Urlaub für den gesamten Zeitraum seiner Beschäftigung.

Im Lauf des über mehrere Instanzen geführten Rechtsstreits stellen die Gerichte fest, dass der Kläger Arbeitnehmer i.S.d. Richtlinie 2003/88/EG war und Anspruch auf bezahlten Urlaub hatte. Streitig ist zuletzt noch, ob Ansprüche nach den britischen „Working Time Regulations” bereits verfallen sind.

Mit der Vorlage fragt das britische Berufungsgericht den EuGH insbesondere, ob es mit Unionsrecht vereinbar ist, wenn ein Arbeitnehmer Urlaub nehmen muss, ehe sein Anspruch auf dessen Bezahlung feststeht. Es will außerdem wissen, ob ein an der Ausübung des Urlaubsanspruchs gehinderter Arbeitnehmer diesen so lange übertragen kann, bis er die Möglichkeit zur Ausübung hat.

Die Entscheidung des Gerichts

Der EuGH entscheidet, dass der Zweck des europarechtlich besonders geschützten Anspruchs auf bezahlten Jahresurlaub darin liegt, Arbeitnehmern Erholung zu ermöglichen. Ein Arbeitnehmer, der sich während seines Urlaubs mit der Unsicherheit über dessen Bezahlung konfrontiert sehe, könne diesen nicht uneingeschränkt zur Entspannung genießen. Zudem könne die Unsicherheit den Arbeitnehmer ganz davon abhalten, Urlaub zu nehmen. Daher müsse kein Arbeitnehmer Urlaub nehmen, ehe feststehe, dass er Anspruch auf dessen Bezahlung habe.

Zudem sei es Mitgliedstaaten nicht erlaubt vorzusehen, dass Urlaubsansprüche eines an ihrer Ausübung gehinderten Arbeitnehmers nach Ablauf des Bezugs- bzw. eines festgelegten Übertragungszeitraums erlöschen. Anders sei dies zum Schutz der Arbeitgeber nur, wenn Urlaub aufgrund langandauernder Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers nicht genommen werden könne.

Verhindere der Arbeitgeber, dass Urlaub genommen werde, scheine ein Schutz seiner Interessen nicht zwingend notwendig. In diesem Fall solle er die Folgen tragen und nicht unrechtmäßig bereichert werden. Urlaubsansprüche könnten dann auch über mehrere Jahre angesammelt und übertragen werden.


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