EuGH, Urt. 6.11.2018 - C-619/16

Verfall von Urlaub nur bei vorherigem Hinweis des Arbeitgebers auf bestehende Urlaubsansprüche

Autor: RA FAArbR Dr. Detlef Grimm, Loschelder Rechtsanwälte, Köln
Aus: Arbeits-Rechtsberater, Heft 12/2018
Ein Arbeitnehmer darf seine erworbenen Ansprüche auf bezahlten Jahresurlaub nicht automatisch deshalb verlieren, weil er keinen Urlaub beantragt hat. Weist der Arbeitgeber jedoch nach, dass der Arbeitnehmer aus freien Stücken und in voller Kenntnis der Sachlage darauf verzichtet hat, seinen bezahlten Jahresurlaub zu nehmen, nachdem er in die Lage versetzt worden war, seinen Urlaubsanspruch tatsächlich wahrzunehmen, steht das Unionsrecht dem Verlust dieses Anspruchs und – bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses – dem entsprechenden Wegfall einer finanziellen Vergütung nicht entgegen.

EuGH, Urt. v. 6.11.2018 - C-619/16 „Kreuziger”

Vorinstanz: OVG Berlin-Brandenburg - OVG 4 B 38.14

RL 2003/88/EG Art. 7 Abs. 1 u. 2; BUrlG § 7 Abs. 3 u. 4

Das Problem

Der Kläger – Rechtsreferendar beim beklagten Land Berlin – beantragte nach dem Ende des Vorbereitungsdienstes die finanzielle Abgeltung für die von ihm nicht genommenen Urlaubstage. Einen Urlaubsantrag hatte er nicht gestellt. Unter Hinweis auf die Erholungsurlaubsverordnung, deren Regelungen insoweit dem BUrlG entsprechen, hatte das Land Berlin die Abgeltung abgelehnt. Gegen den Ablehnungsbescheid war der Kläger beim VG vorgegangen und unterlegen. Das OVG hatte dem EuGH die Frage vorgelegt, ob nicht genommene Urlaubsansprüche ohne weiteres Tun des Arbeitgebers verfallen oder ob in diesem Fall aus einer unmittelbaren Anwendung des Art. 7 Abs. 2 RL 2003/88/EG wegen unterbliebener Umsetzung dieser Richtlinie ein Abgeltungsanspruch folge.

Die Entscheidung des Gerichts

Eine gesetzliche Regelung der Mitgliedstaaten, aufgrund derer der in der RL 2003/88/EG geregelte vierwöchige bezahlte Jahresurlaub automatisch zum Jahresende verfalle, unabhängig davon, ob der Arbeitnehmer tatsächlich in der Lage gewesen sei, den Urlaub wahrzunehmen, sei europarechtswidrig.

Der Urlaub dürfe nicht schon deshalb verloren gehen, weil der Arbeitnehmer vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses – oder im jeweils geltenden Bezugszeitraum (z.B. 31.3. des Folgejahres) – keinen Urlaub beantragt habe. Da der Arbeitnehmer die schwächere Partei des Arbeitsverhältnisses sei, müsse er u.a. mittels angemessener Aufklärung durch den Arbeitgeber in die Lage versetzt werden, die Urlaubstage rechtzeitig zu beantragen. Das müsse der Arbeitgeber beweisen. Eine andere Auslegung oder eine entgegenstehende nationale Regelung verstoße gegen Art. 7 RL 2003/88/EG.

Könne der Arbeitgeber den ihm obliegenden Beweis erbringen, dass der Arbeitnehmer aus freien Stücken und in voller Kenntnis der Sachlage auf die tatsächliche Nutzung des bezahlten Jahresurlaubs verzichtet habe und sei der Arbeitnehmer auch in die Lage versetzt worden, den Urlaub tatsächlich wahrzunehmen, stehe das Unionsrecht aber dem Verlust des Urlaubsanspruchs bzw. bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses dem Verlust des Abgeltungsanspruchs nicht entgegen.

Der Arbeitgeber müsse „konkret und in völliger Transparenz” dafür „sorgen”, dass der Arbeitnehmer in der Lage sei, den bezahlten Jahresurlaub zu nehmen. Dazu müsse er ihn „erforderlichenfalls förmlich” auffordern und ihm „rechtzeitig” mitteilen, dass der Urlaub ansonsten am Ende des Bezugs- bzw. eines Übertragungszeitraums verfalle und dass dies auch der Fall sei, wenn die Beendigung des Arbeitsverhältnisses in diesen Zeitraum falle.


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