OLG Frankfurt, Beschl. 22.12.2020 - 2 UF 94/20

Widersprüchlicher Tatsachenvortrag im Zugewinnausgleichsverfahren zum (Mit-)Eigentum

Autor: RA Dr. Walter Kogel, FAFamR, Dr. Kogel & Mast Familienanwälte, Aachen
Aus: Familien-Rechtsberater, Heft 08/2021
1. Es liegt ein Fall des nach § 242 BGB verbotenen widersprüchlichen Verhaltens (venire contra factum proprium) vor, wenn im Zugewinnausgleichsverfahren gemeinschaftliches Eigentum behauptet und im nachfolgenden Verfahren betreffend die Auflösung des Miteigentums der Standpunkt vertreten wird, Alleineigentümer zu sein.2. Wegen der prozessualen Wirkungen des § 138 ZPO muss dasselbe gelten, wenn sich die Änderung des Tatsachenvortrags daraus ergibt, dass in dem einen Verfahren der Vortrag des Gegners nicht ausreichend bestritten wird und erst in dem nachfolgenden Verfahren substantiierter gegenteiliger Vortrag gehalten wird.

BGB § 242, § 741, § 823 Abs. 1, § 1008, § 1373, § 1374, § 1390; ZPO § 138

Das Problem

Der Stichtag für die Berechnung des Endvermögens war Februar 2016. Zu diesem Zeitpunkt bestand ein Depot (Wert ca. 13.000 €). Dieses Depot hatten die Eheleute gemeinsam angelegt. Der Antragsgegner verwaltete es allein. Den Aktienbestand löste er im November 2016 auf. Er übertrug den Erlös (nunmehr ca. 19.000 €) auf ein eigenes Konto. In der Auskunft zum Zugewinn führte der Antragsgegner das Depot in seinem Endvermögen als Alleininhaber auf. Nachdem die Antragstellerin dies zunächst akzeptiert hatte, behauptete sie in der Folgezeit, dass das Depot auf beide Eheleute laute und ihnen beiden gehöre. Ihr stehe daher ein hälftiger Anspruch zu. Das AG ging bei seiner Entscheidung in der Folgesache Zugewinn von einer unstreitigen hälftigen Beteiligung der Eheleute aus. Der Antragsgegner legte gegen den Beschluss Beschwerde ein. Neben dem Depot gab es verschiedene andere Positionen, deren Bewertung er angriff. Allerdings wandte er sich in der Begründung nicht gegen die gemeinsame Inhaberschaft am Depot. Nunmehr reichte die Antragstellerin Anschlusseschwerde ein. Jetzt behauptete sie, dass das Depot vollständig im Endvermögen des Antragsgegners zu berücksichtigen sei. Insoweit habe er sich von Anfang an als Alleininhaber ausgegeben. In einem weiteren Schriftsatz schloss der Antragsgegner sich dieser Rechtsansicht an. Er behauptete auch in der Anhörung beim Senat die Alleineigentümerschaft am Depot. Nachdem der Senat zu erkennen gegeben hatte, dass die Anschlussbeschwerde Erfolg haben könnte, zog der Antragsgegner seine Beschwerde zurück.

Nunmehr macht die Antragstellerin Schadensersatzansprüche wegen der unabgestimmten und damit unberechtigten Verfügung geltend. Sie fordert die Hälfte des Erlöses, den der Antragsteller im November 2016 mit dem Verkauf erzielt hat (9.500 €). Sie verlangt also nicht etwa nur die Hälfte des Betrags, der zum Stichtag vorhanden war (6.500 €). Das AG gab diesem Antrag statt.

Die Entscheidung des Gerichts

Der Senat weist die hiergegen gerichtete Beschwerde des Antragsgegners zurück. Dabei lässt er dahingestellt, ob die Rechtsprechung des BGH zur Inhaberschaft an einem gemeinsamen Depot im konkreten Fall noch anzuwenden sei. Grundlage der rechtskräftigen Zugewinnausgleichs-entscheidung des AG sei nämlich, dass die Eheleute zu gleichen Anteilen Miteigentümer der Wertpapiere gewesen seien. Dem entsprechenden Sachvortrag der Antragstellerin sei der Antragsgegner erstinstanzlich nicht substantiiert entgegengetreten. Der Antragsgegner sei gem. § 242 BGB nicht berechtigt, in einem nachfolgenden Verfahren betreffend die Aufteilung des Depots oder betreffend Schadensersatzansprüchen wegen einseitiger Verfügung etwas anderes zu behaupten. Es liege eine Fallkonstellation des widersprüchlichen Verhaltens (venire contra factum proprium) vor. Zwar könne ein Verfahrensbeteiligter im Prozess grundsätzlich einen in sich widersprüchlichen Sachvortrag unterbreiten oder seinen Vortrag im Rahmen des prozessual Zulässigen ändern. Auch könne er seine Rechtsansicht ändern. Ein von Amts wegen zu berücksichtigendes widersprüchliches Verhalten liege aber vor, wenn ein Beteiligter die Vorteile für sich in Anspruch nehme, ohne die damit korrespondierenden Nachteile tragen zu wollen. Wenn im Zugewinnausgleichsverfahren von einer hälftigen Beteiligung ausgegangen werde, könne der andere Ehepartner jedenfalls später über die Ausgleichsberechtigung nach Gemeinschaftsrecht hälftig am Vermögenswert profitieren. Sofern der Verpflichtete im Verfahren betreffend die Aufteilung des Depots nunmehr das Miteigentum bestreite, werde der Berechtigte aber gänzlich von der Beteiligung ausgeschlossen. Weder über Zugewinn noch über den Ausgleich aus der Bruchteilsgemeinschaft erhalte er ja einen Ausgleich. Diese Rechtsfolge müsse selbst dann gelten, wenn – wie hier – die Änderung des Tatsachenvortrags darauf beruhe, dass er in dem einen Verfahren den Vortrag des Gegners nicht ausreichend bestritten und erst im danach folgenden Verfahren substantiierten gegenteiligen Vortrag unterbreitet habe. In beiden Varianten stelle es gem. § 138 ZPO eine unzulässige Rechtsausübung dar.


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