OLG Frankfurt, Beschl. 4.4.2018 - 2 UF 135/17

Unterhaltspflicht während eines freiwilligen sozialen Jahres

Autor: RiOLG a.D. RAin Dr. Dagny Liceni-Kierstein, Berlin
Aus: Familien-Rechtsberater, Heft 08/2018
Die Unterhaltspflicht von Eltern während eines freiwilligen sozialen Jahres ihres Kindes kann auch dann bestehen, wenn dies nicht zwingende Voraussetzung für den weiteren Ausbildungsweg ist, sondern nur der beruflichen Orientierung des Kindes dient. Die gesteigerte Erwerbsobliegenheit des barunterhaltspflichtigen Elternteils bei guten Einkommensverhältnissen des betreuenden Elternteils entfällt nicht, wenn dieser für den Unterhalt eines weiteren gemeinsamen, nicht privilegierten volljährigen Kindes aufkommt.

OLG Frankfurt, Beschl. v. 4.4.2018 - 2 UF 135/17

Vorinstanz: AG Kassel, Beschl. v. 29.5.2017 - 512 F 3598/16

BGB § 1602, § 1603 Abs. 2 S. 1, S. 2, S. 3, § 1610 Abs. 2

Das Problem

Die im Verlauf des Unterhaltsverfahrensrechts geschiedenen Beteiligten sind die Eltern der Tochter B (geb. 1998) und des Sohnes A (geb. 2000). Die Kinder leben seit der Trennung im Haushalt der Mutter und Antragstellerin (Ast). Der Antragsgegner (Ag) hat der Mutter anlässlich der Trennung eine Vollmacht erteilt, alle Angelegenheiten der gemeinsamen Kinder B und A alleine zu regeln. Im Streit steht zuletzt im Wesentlichen nur noch der Kindesunterhalt für A ab 2/2017. A nahm bis 6/2017 an einem Berufsvorbereitungsjahr teil, das er mit dem qualifizierten Hauptschulabschluss beendete. Ab 1.9.2017 begann A mit einem freiwilligen sozialen Jahr. Hierfür erhielt er eine monatliche Vergütung von zunächst 300 €, ab 12/2017 von 330 €. Zum 1.4.2018 nahm A eine Berufsausbildung auf, für die er eine Ausbildungsvergütung von brutto rund 876 € monatlich bezieht. B besuchte bis zum 31.8.2016 die höhere Berufsfachschule für Sozialassistenz. Nach einer längeren krankheitsbedingten Unterbrechung hat sie ihre 2-jährige Ausbildung am 1.8.2017 fortgesetzt. Bei erfolgreichem Abschluss wird B berechtigt sein, die Berufsbezeichnung staatlich geprüfte ... zu führen.

Die Ast verfügt über ein bereinigtes Erwerbseinkommen von monatlich 1.730 €. Der Ag hat nach der Trennung mehrfach die Arbeitsstelle gewechselt, was mit einer Arbeitszeitverringerung verbunden war. Im Jahr 2016 erzielte er noch ein Nettoeinkommen von rund 1.915 €, das sich jedoch im Zuge der Arbeitsstellenwechsel reduzierte. Das AG hat den Ag antragsgemäß verpflichtet, für den Sohn A ab 2/2017 monatlichen Kindesunterhalt von 387 € zu leisten. Dagegen richtet sich die Beschwerde des Ag, der die Einkommensberechnung des AG beanstandet und sich auf eine vorrangige alleinige Unterhaltspflicht der Ast aufgrund ihrer höheren Erwerbseinkünfte (§ 1603 Abs. 2 S. 3 BGB) sowie die fehlende Unterhaltsberechtigung von A während eines freiwilligen sozialen Jahres beruft.

Die Entscheidung des Gerichts

Das OLG gibt der Beschwerde teilweise statt. Für den Zeitraum von 9/2017 bis 3/2018 reduziert es die Unterhaltsverpflichtung des Ag auf mtl. 245 € bzw. 213 €. Für die Zeit ab 4/2018 (beginnende Berufsausbildung des A) weist es den Unterhaltsantrag zurück. Die Ast sei gegenüber A nicht vorrangig unterhaltspflichtig. Dem Ag sei sein früheres Einkommen nach der Trennung weiter fiktiv zuzurechnen. Dieses belaufe sich bereinigt auf 1.601 €. Dem stehe ein bereinigtes Erwerbseinkommen der Ast i.H.v. 1.730 € gegenüber. Mangels hinreichender Leistungsfähigkeit des Ag gegenüber beiden Kindern müsse die Ast für den Unterhalt der unterhaltsrechtlich nachrangigen Tochter B allein aufkommen, die sich nicht mehr in der allgemeinen Schulausbildung befände und daher nicht zu den privilegierten Volljährigen i.S.v. § 1603 Abs. 2 S. 2 BGB zähle. Nach Abzug des Ausbildungsunterhalts für B und ihres angemessenen Selbstbehalts verbleibe der Ast nur noch ein Betrag von (1.730 – 362 – 1.300 =) 68 €. Im Hinblick darauf habe es bei der alleinigen Barunterhaltspflicht des Ag für den minderjährigen A zu bleiben. Daran ändere auch die Ableistung des freiwilligen sozialen Jahres ab 9/2017 nichts. Auch wenn dieses für die weitere Ausbildung des A nicht erforderlich war, so diene es mit Blick auf die Gesetzesmaterialien neben der beruflichen Orientierung der Vermittlung wichtiger persönlicher und sozialer Kompetenzen. Ferner sei die Besonderheit zu berücksichtigen, dass A bei Beginn des freiwilligen Jahres noch minderjährig war und der Ag die Ast bei ihrer Trennung eine Vollmacht erteilt habe, sämtliche Angelegenheiten der Kinder alleine zu regeln. Schließlich sei A im Zuge seiner beruflichen Orientierung von dem Z.-Heim empfohlen worden, zunächst ein freiwilliges soziales Jahr zu absolvieren, um festzustellen, ob er dem von ihm ins Auge gefassten Beruf in psychischer und physischer Hinsicht gewachsen sei. Damit sei die Situation vergleichbar gewesen mit Fällen, in denen die Durchführung des freiwilligen sozialen Jahres als Voraussetzungen für eine Berufsausbildung gefordert werde. Schließlich reduziere sich die Unterhaltspflicht durch die zur Hälfte anrechenbare eigene Vergütung des minderjährigen A in dieser Zeit und erscheine angesichts der Einkommensverhältnisse des Ag auch angemessen. Ab Beginn seiner Berufsausbildung erziele der A bedarfsdeckende Eigeneinkünfte und sei deshalb nicht mehr unterhaltsbedürftig. Die im Hinblick auf die Frage des Unterhaltsanspruchs während eines sozialen Jahres sowie die Behandlung einer nachrangigen Unterhaltsverpflichtung im Rahmen von § 1603 Abs. 1 S. 3 BGB zugelassene Rechtsbeschwerde ist nicht eingelegt worden.


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