OLG Koblenz, Beschl. 2.4.2025 - 13 UF 398/24
Sittenwidrigkeit eines Ehevertrags mit weitgehendem Ausschluss der Scheidungsfolgen zu Lasten eines erkrankten Ehegatten
Autor: VorsRiOLG Prof. Dr. Alexander Schwonberg, Celle
Aus: Familien-Rechtsberater, Heft 09/2025
Aus: Familien-Rechtsberater, Heft 09/2025
Aus der gemeinsamen Verantwortung der Ehegatten füreinander können ehevertraglich bereits bei Eheschließung bestehende Risiken, wie z.B. eine vorhandene Erkrankung, grundsätzlich herausgenommen werden.Geringfügige ehebedingte Nachteile sind nicht schlechthin mit dem Gebot (nach-)ehelicher Solidarität unvereinbar und auf eine Halbteilungskontrolle ist die richterlicher Wirksamkeitskontrolle auch im Kernbereich des Scheidungsfolgenrechts nicht gerichtet.
BGB §§ 138, 242, 313, 1378, 1408, 1569; VersAusglG §§ 6, 8
Im Scheidungsverfahren hat die Antragsgegnerin die Durchführung des Versorgungsausgleichs begehrt sowie Stufenanträge in den Folgesachen Güterrecht und Unterhalt gestellt. Die Scheidungsfolgenvereinbarung sei unwirksam, weil es sich um einen unzulässigen Globalverzicht handele, sie durch das Verhalten des Antragstellers, in dessen Haushalt mit seiner Lebensgefährtin beide Kinder leben, unter Druck gesetzt wurde sowie auch durch ihre Erkrankung in seelischer und psychischer Anspannung gewesen sei. Das AG hat die Ehe geschieden, die Anträge zum Unterhalt und Zugewinnausgleich abgewiesen und festgestellt, dass ein Versorgungsausgleich nicht stattfindet.
Hiervon sei vorliegend nicht auszugehen, weil die notarielle Vereinbarung fast ein Jahr nach der Trennung geschlossen und der Vertragsentwurf den Eheleuten 14 Tage zuvor übersandt worden sei. Auf Seiten der Antragsgegnerin als Justizfachangestellte sei von einem „bestimmten Problembewusstsein“ auszugehen, so dass sie sich mit den Ansprüchen hätte vertraut machen und Einfluss auf den Vertragsinhalt nehmen können. Eine Ausnahmesituation aufgrund ihrer Erkrankung oder des Verhaltens ihres Ehemanns, die zu einem Ausgeliefertsein und einer Fremdbestimmung geführt hätten, habe die Antragsgegnerin nicht konkret dargelegt, zumal „innere Gefühle und Stimmungen“ bei dem Notartermin nicht erkennbar gewesen seien. Auch ihr Verhalten zur Regelung der Betreuung beider Kinder sprächen für die Möglichkeit einer abwägenden Beurteilung.
Trotz ihrer erheblichen Erkrankung habe die Antragsgegnerin ihrer Tätigkeit in Vollzeit nachgehen können. Auch wenn zu einem späteren Zeitpunkt eine krankheitsbedingte Dienstunfähigkeit eintreten könnte, können die Ehegatte aus der gemeinsamen Verantwortung füreinander von vornherein bestimmte Lebensrisiken eines Partners herausnehmen (BGH v. 22.11.2006 – XII ZB 199/04, FamRZ 2007, 450 = FamRB 2007, 129 [Grziwotz]). Weiterhin sei zu berücksichtigen, dass die Antragstellerin als Beamtin auf Lebenszeit durch die beamtenrechtliche Mindestversorgung von rund 2.900 € brutto über eine auskömmliche Absicherung erheblich über dem Existenzminimum verfüge. Einen ehebedingten Einkommens- oder Versorgungsnachteil habe die Antragsgegnerin nicht aufgezeigt. Denn bei einer Ehedauer von 7 ½ Jahren bestünde ein etwaiger nachehelicher Unterhaltsanspruch voraussichtlich nur für wenige Jahre. Einem etwaigen Versorgungsnachteil durch die Betreuung der gemeinsamen Kinder stünden die die Pension erhöhenden Kindererziehungszuschläge gegenüber. Zum Zugewinnausgleich hätte die Antragsgegnerin gegenüber dem Vorbringen des Antragstellers, in der Ehe sei beiderseits kein Zugewinn erwirtschaftet worden, einen etwaigen Anspruch zumindest in groben Zügen darstellen müssen.
BGB §§ 138, 242, 313, 1378, 1408, 1569; VersAusglG §§ 6, 8
Das Problem
Der als Gerichtsvollzieher tätige Antragsteller und die als Justizfachangestellte beamtete Antragsgegnerin hatten 2016 die Ehe geschlossen, aus der zwei 2018 und 2020 geborene Kinder hervorgegangen sind. Die Antragsgegnerin war bereits bei Heirat mit einem GdB von 80 % an Multiple Sklerose erkrankt. Etwa ein Jahr nach der Trennung schlossen die Beteiligten eine notarielle Vereinbarung, in dem sie den Zugewinn- und Versorgungsausgleich vollständig und den nachehelichen Unterhalt mit Ausnahme des auf den Fall der krankheitsbedingten Betreuung eines Kindes beschränkten Unterhaltsanspruch nach § 1570 BGB ausgeschlossen haben. In der notariellen Urkunde erklärten beide Eheleute, dass sie in ihrer gegenwärtigen Erwerbssituation ihren Lebensunterhalt auch bei fürsorglicher Betreuung ihrer Kinder aus eigenen Mitteln finanzieren können.Im Scheidungsverfahren hat die Antragsgegnerin die Durchführung des Versorgungsausgleichs begehrt sowie Stufenanträge in den Folgesachen Güterrecht und Unterhalt gestellt. Die Scheidungsfolgenvereinbarung sei unwirksam, weil es sich um einen unzulässigen Globalverzicht handele, sie durch das Verhalten des Antragstellers, in dessen Haushalt mit seiner Lebensgefährtin beide Kinder leben, unter Druck gesetzt wurde sowie auch durch ihre Erkrankung in seelischer und psychischer Anspannung gewesen sei. Das AG hat die Ehe geschieden, die Anträge zum Unterhalt und Zugewinnausgleich abgewiesen und festgestellt, dass ein Versorgungsausgleich nicht stattfindet.
Die Entscheidung des Gerichts
Die hiergegen gerichtete Beschwerde der Antragsgegnerin, mit der sie u.a. geltend macht, dass ihr Krankheitsverlauf nicht absehbar sei und sie auch deswegen ihrem Ehemann unterlegen und psychisch grenzbelastet gewesen sei, zumal sie seit längerem an einer nicht therapiebaren schweren depressiven Störung leide, hatte keinen Erfolg. Die notarielle Scheidungsfolgenvereinbarung, die nahezu einem Globalverzicht entspreche, sei nicht nach § 138 Abs. 1 BGB sittenwidrig oder im Wege der Ausübungskontrolle anzupassen. Auf der Grundlage der Rechtsprechung des BGH (v. 27.5.2020 – XII ZB 447/19, FamRZ 2020, 1347 = FamRB 2020, 344 [Schwonberg]) könne eine Nichtigkeit eines Ehevertrages nicht nur bei einer Zwangslage, sondern auch bei einer Gesamtabwägung, die sich als eine gravierende Verletzung der ehelichen Solidarität darstelle, gegeben sein, wobei zu den objektiv einseitig belastenden Regelungen eine verwerfliche Gesinnung, insb. infolge einer ungleichen Verhandlungssituation, hinzutreten müsse.Hiervon sei vorliegend nicht auszugehen, weil die notarielle Vereinbarung fast ein Jahr nach der Trennung geschlossen und der Vertragsentwurf den Eheleuten 14 Tage zuvor übersandt worden sei. Auf Seiten der Antragsgegnerin als Justizfachangestellte sei von einem „bestimmten Problembewusstsein“ auszugehen, so dass sie sich mit den Ansprüchen hätte vertraut machen und Einfluss auf den Vertragsinhalt nehmen können. Eine Ausnahmesituation aufgrund ihrer Erkrankung oder des Verhaltens ihres Ehemanns, die zu einem Ausgeliefertsein und einer Fremdbestimmung geführt hätten, habe die Antragsgegnerin nicht konkret dargelegt, zumal „innere Gefühle und Stimmungen“ bei dem Notartermin nicht erkennbar gewesen seien. Auch ihr Verhalten zur Regelung der Betreuung beider Kinder sprächen für die Möglichkeit einer abwägenden Beurteilung.
Trotz ihrer erheblichen Erkrankung habe die Antragsgegnerin ihrer Tätigkeit in Vollzeit nachgehen können. Auch wenn zu einem späteren Zeitpunkt eine krankheitsbedingte Dienstunfähigkeit eintreten könnte, können die Ehegatte aus der gemeinsamen Verantwortung füreinander von vornherein bestimmte Lebensrisiken eines Partners herausnehmen (BGH v. 22.11.2006 – XII ZB 199/04, FamRZ 2007, 450 = FamRB 2007, 129 [Grziwotz]). Weiterhin sei zu berücksichtigen, dass die Antragstellerin als Beamtin auf Lebenszeit durch die beamtenrechtliche Mindestversorgung von rund 2.900 € brutto über eine auskömmliche Absicherung erheblich über dem Existenzminimum verfüge. Einen ehebedingten Einkommens- oder Versorgungsnachteil habe die Antragsgegnerin nicht aufgezeigt. Denn bei einer Ehedauer von 7 ½ Jahren bestünde ein etwaiger nachehelicher Unterhaltsanspruch voraussichtlich nur für wenige Jahre. Einem etwaigen Versorgungsnachteil durch die Betreuung der gemeinsamen Kinder stünden die die Pension erhöhenden Kindererziehungszuschläge gegenüber. Zum Zugewinnausgleich hätte die Antragsgegnerin gegenüber dem Vorbringen des Antragstellers, in der Ehe sei beiderseits kein Zugewinn erwirtschaftet worden, einen etwaigen Anspruch zumindest in groben Zügen darstellen müssen.