OLG Stuttgart, Beschl. 29.10.2020 - 15 UF 194/20

Zulässigkeit der Teilungsversteigerung des Familienheims vor Ehescheidung

Autor: RA Dr. Walter Kogel, FAFamR, Dr. Kogel & Mast Familienanwälte, Aachen
Aus: Familien-Rechtsberater, Heft 05/2021
2. Ob der Antrag zulässig ist, ergibt sich nach einer einzelfallbezogenen Abwägung der beiderseitigen Interessen. Das aus § 1353 Abs. 1 S. 2 BGB herzuleitende Rücksichtnahmegebot orientiert sich daran, ob eine Wohnungszuweisung gem. § 1361b BGB erfolgen könnte.3. Es bleibt dem in der Wohnung verbliebenen Miteigentümer unbenommen, auch während eines laufenden Teilungsversteigerungsverfahrens einen Antrag auf Zuweisung der Ehewohnung nach § 1361b BGB zu stellen.

BGB § 1353 Abs. 1 S. 2, § 1361b Abs. 1, § 1568a; ZPO § 771; ZVG § 57a, § 180

Das Problem

Zwischen den Eheleuten läuft seit Ende 2017 das Scheidungsverfahren. Die Ehefrau wohnt mit einer gemeinsamen Tochter in dem Einfamilienhaus, das den Beteiligten zu je 1/2 gehört. Der Ehemann finanziert das Objekt und ist ausgezogen. Nunmehr stellt er einen Teilungsversteigerungsantrag. Ein Einstellungsantrag der Ehefrau gem. § 180 Abs. 3 ZVG wurde bereits abgelehnt. Daraufhin reicht sie einen Drittwiderspruchsantrag ein. Zur Begründung beruft sie sich darauf, dass generell ein Teilungsversteigerungsverfahren vor Rechtskraft der Scheidung gegen das Gebot der Rücksichtnahme (§ 1353 BGB) verstoße. Das AG lehnt den Antrag ab.

Die Entscheidung des Gerichts

Die hiergegen eingereichte Beschwerde der Ehefrau wird zurückgewiesen. Zunächst ist der Senat der Auffassung, dass während der Trennungszeit ein Teilungsversteigerungsantrag nicht generell ausgeschlossen sei. Einen solch rigiden Ansatz hatte allerdings das Hans. OLG Hamburg v. 28.7.2017 – 12 UF 163/16, FamRZ 2017, 1829 = FamRB 2018, 5 im Anschluss an die Entscheidung des BGH v. 28.9.2016 – XII ZB 487/15, FamRZ 2017, 22 = FamRB 2017, 2 vertreten. In dieser Entscheidung des BGH wurde festgehalten, dass die eheliche Wohnung bis zur Rechtskraft der Scheidung den Charakter als Ehewohnung behalte. Deswegen sei ein dingliches Herausgabeverlangen nach § 985 BGB nicht möglich. Daraus hatte das Hans. OLG Hamburg geschlossen, dass auch eine Teilungsversteigerung nach Treu und Glauben gem. § 242 BGB vor einer Scheidung grundsätzlich unzulässig sei. Ansonsten werde der Charakter der Ehewohnung unterlaufen. Demgegenüber vertritt der 15. Zivilsenat des OLG Stuttgart die Auffassung, dass eine einzelfallbezogene Abwägung der beiderseitigen Interessen erfolgen müsse. Das aus § 1353 Abs. 1 Satz 2 BGB herzuleitende Rücksichtnahmegebot orientiere sich daran, ob eine Wohnungszuweisung gem. § 1361b BGB erfolgen könne. Ein derartiger Antrag sei sogar noch während einer Teilungsversteigerung zulässig. Bei der Frage, ob eine „unbillige Härte“ vorliege, müssten alle Umstände des Einzelfalls geprüft werden. Hierzu gehöre vor allen Dingen der Gesichtspunkt des Kindeswohls. Sofern die häusliche Atmosphäre nachhaltig gestört werde und dies zu untragbaren Belastungen des Kindes führe, könne eine Wohnungszuweisung geboten sein. Darüber hinaus seien zu beachten:
  • die Möglichkeiten einer angemessenen Beschaffung von Ersatzwohnraum, insbesondere angesichts begrenzter finanzieller Verhältnisse
  • der Verlust der bisherigen vertrauten Umgebung und des Freundeskreises des Kindes
  • die fehlende räumliche Nähe zu engen Verwandten
  • die Zeitdauer der Trennung
  • das wirtschaftliche Interesse eines der Beteiligten daran, sich von der Zahlungsverpflichtung aus bestehenden Darlehensverbindlichkeiten zu lösen.
Nach Abwägung aller Gesichtspunkte kommt der Senat zu dem Schluss, dass eine Wohnungszuweisung gem. § 1361b BGB nicht möglich wäre. Deswegen sei die Teilungsversteigerung derzeit bereits zulässig.


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