OLG Stuttgart, Beschl. 3.8.2017 - 16 UF 118/17

Barunterhaltspflicht trotz Betreuung eines behinderten Kindes

Autor: RiOLG Dr. Dagny Liceni-Kierstein, Brandenburg/Havel
Aus: Familien-Rechtsberater, Heft 02/2018
1. Die Betreuung eines behinderten Kindes befreit den betreuenden Elternteil im Hinblick auf ein von ihm nicht betreutes minderjähriges Geschwisterkind nicht von der Verpflichtung zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit.2. Für die Frage, ob der nicht betreuende Elternteil als anderer unterhaltspflichtiger Verwandter i.S.v. § 1603 Abs. 2 Satz 3 BGB zu beurteilen ist, hat das Pflegegeld im Regelfall gem. § 13 Abs. 6 Satz 1 SGB XI unberücksichtigt zu bleiben.

OLG Stuttgart, Beschl. v. 3.8.2017 - 16 UF 118/17

Vorinstanz: AG Wangen, Beschl. v. 12.4.2017 - 6 F 41/17

BGB §§ 1603 Abs. 1, Abs. 2 S. 1, S. 3; SGB XI § 13 Abs. 6 S. 1, S. 2

Das Problem

Aus der geschiedenen Ehe der Antragsgegnerin (Ag.) und des Kindesvaters sind 3 Kinder hervorgegangen. Die 2003 geborene Tochter (Ast.) wohnt im Haushalt des Vaters. Sie verlangt von der Ag. den Mindestunterhalt zzgl. anteiliger Mehrbedarfskosten. Die beiden Geschwister der Ast., bei denen es sich um 2006 geborene Zwillinge handelt, leben bei der Ag. und beziehen Barunterhalt vom Vater. Einer der Zwillinge ist schwerbehindert mit einem anerkannten Pflegegrad 5 und sowohl geistig als auch körperlich erheblich beeinträchtigt. Das Pflegegeld von monatlich 901 € wird an die Ag. als Pflegeperson ausgezahlt. Im Rahmen des Besuchs einer Sonderschule wird das behinderte Kind 31 Stunden pro Woche betreut. Der andere Zwilling besucht die Regelschule. Die Ag. ist gelernte Schreinerin. Sie arbeitet nach einer Umschulung stundenweise bei einem Gitarrenbauer, bislang mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von 5 Stunden und ab 9/2017 mit 10 Wochenstunden. Sie bezieht einen Stundenlohn von 17 €. Die Ag. wohnt mit den Zwillingen in einem eigenen Haus, das sie neben Krediten teilweise mit Mitteln finanziert hat, die ihr im Rahmen der Ehescheidung zugeflossen sind. Das AG hat die Ag. zur Zahlung von Mindestunterhalt abzgl. hälftigen Kindergeldes und zzgl. anteiliger Mehrbedarfskosten verpflichtet. Dabei ist es davon ausgegangen, dass die Ag. mit Blick auf die schulische Betreuung des behinderten Sohnes eine Erwerbsobliegenheit von 120 Stunden im Monat treffe. Unter Berücksichtigung eines Wohnvorteils sowie des Pflegegeldes sei sie zur Zahlung des Mindestunterhalts sowie anteiliger Mehrbedarfskosten – sogar unter Wahrung ihres angemessenen Selbstbehalts – in der Lage. Dagegen richtet sich die Beschwerde der Ag., die die vollständige Zurückweisung des Unterhaltsbegehrens beantragt.

Die Entscheidung des Gerichts

Das OLG gibt der Beschwerde teilweise statt. Die Ag., der mit Blick auf die guten Einkommensverhältnisse des Vaters (§ 1603 Abs. 2 Satz 2 BGB) der angemessene Selbstbehalt zu belassen sei, sei wegen des nicht als Einkommen zu berücksichtigenden Pflegegeldes und einer nur eingeschränkten Erwerbsobliegenheit lediglich i.H.v. mtl. 179 € leistungsfähig. Auf Seiten der Ag. bestehe mit Blick auf die erhebliche Betreuungsbedürftigkeit des behinderten Sohnes auch nach der Schule (er trägt Windeln, muss teilweise gefüttert werden und benötigt Hilfe bei vielen alltäglichen Dingen) – bestätigt durch den hohen Pflegegrad 5 – sowie die notwendige Betreuung auch des anderen Zwillings und auch unter Berücksichtigung der Fahrzeit zu ihrer Arbeitsstelle nur eine Erwerbsobliegenheit von 80 Monatsstunden. Wegen Verletzung dieser Erwerbsobliegenheit sei der Ag. ein entsprechendes Erwerbseinkommen auf der Grundlage ihrer tatsächlichen Einkünfte abzgl. notwendiger Fahrtkosten fiktiv zuzurechnen. Unter Hinzurechnung eines nach Abzug von Zinsen und Tilgung verbleibenden Wohnvorteils ergebe sich ein bereinigtes unterhaltsrelevantes Monatseinkommen von rd. 1.479 €. Das Pflegegeld sei hierbei unberücksichtigt zu lassen. Denn mit Blick auf seine guten Einkommensverhältnisse sei der Vater auch unter Berücksichtigung seiner Verpflichtung zur Zahlung des Barunterhalts für die Zwillinge als anderer unterhaltspflichtiger Verwandter i.S.v. § 1603 Abs. 2 Satz 3 BGB zu beurteilen, so dass die Ag. keine gesteigerte Erwerbsobliegenheit treffe. Folglich stelle auch das an sie ausgezahlte Pflegegeld kein unterhaltsrelevantes Einkommen dar. Die Einkommensdifferenz zwischen den Eltern betrage im Fall der Unterhaltszahlung durch die Ag. über 850 €; ihr stehe dann auch nur noch ein Betrag von monatlich rund 1.115 € zur Verfügung. Dieses finanzielle Ungleichgewicht führe dazu, dass sich die Unterhaltspflicht der Ag. auf den Betrag beschränke, der ihren angemessenen Selbstbehalt übersteige, also monatlich 179 €. Für den Rest habe der Vater aufzukommen.


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