Unterhaltsanspruch des volljährigen Kindes bei verzögertem Ausbildungsbeginn infolge Betreuung eigener Kinder

Autor: RiOLG Dr. Dagny Liceni-Kierstein, Brandenburg/Havel
Aus: Familien-Rechtsberater, Heft 06/2016
Ein Ausbildungsunterhaltsanspruch des volljährigen Kindes kann auch dann gegeben sein, wenn zwischen Schulabschluss und der Aufnahme seiner Berufsausbildung deshalb neun Jahre liegen, weil es in dieser Zeit zwei Kinder geboren, diese anschließend für jeweils drei Jahre selbst betreut und sodann zeitnah keinen Ausbildungsplatz gefunden hat.Berufsausbildungsbeihilfen sind bedarfsdeckendes Einkommen des Auszubildenden. Das gilt nicht für etwaige darin enthaltene Kinderbetreuungskosten.

OLG Celle, Beschl. v. 19.11.2015 - 17 WF 242/15

Vorinstanz: AG Lüneburg, Beschl. v. 11.8.2015 - 37 F 93/15

BGB §§ 1601, 1610 Abs. 2, 1611

Das Problem

Die in 11/1989 geborene Antragstellerin (Ast.) will ihren Vater, den Antragsgegner (Ag.), ab 9/2014 auf Ausbildungsunterhalt i.H.v. monatlich rd. 211 € in Anspruch nehmen und begehrt hierfür Verfahrenskostenhilfe (VKH). Der Schulbesuch der Ast. dauerte bis 2005 und endete mit dem Hauptschulabschluss. Der daran anschließende Besuch einer Berufsschule wurde schwangerschaftsbedingt abgebrochen. Am 2.2.2006 und am 30.9.2010 brachte die Ast. zwei Töchter zur Welt, die sie nach der jeweiligen Geburt selbst betreute. Ihre zum Schuljahr 2007/2008 begonnene Ausbildung an einer Berufsfachschule gab die Ast. ebenso wie eine in 9/2008 aufgenommene Berufsausbildung wieder auf, nachdem sie sich hierdurch neben der Kinderbetreuung überfordert fühlte. Seit 9/2014 befindet sich die Ast. in einer Ausbildung zur Einzelhandelskauffrau, für die sie eine Ausbildungsvergütung sowie Berufsausbildungsbeihilfe bezieht. Ergänzend verlangt sie vom Ag. Ausbildungsunterhalt. Das AG hat der Ast. die begehrte VKH versagt. Ein Unterhaltsanspruch bestehe dem Grunde nach nicht, denn die Ast. habe ihre berufliche Ausbildung mehrfach abgebrochen und der Ag. habe auch mit Blick auf die längere Zeit zwischen den beiden Geburten nicht mehr mit seiner Inanspruchnahme auf Ausbildungsunterhalt rechnen müssen. Hiergegen wendet sich die Ast. mit ihrem Rechtsmittel.

Die Entscheidung des Gerichts

Das OLG gibt der sofortigen Beschwerde statt. Für das (summarische) VKH-Prüfungsverfahren sei von einem Ausbildungsunterhaltsanspruch der Ast. dem Grunde nach auszugehen. Zwar resultiere aus dem Gegenseitigkeitsverhältnis zwischen Eltern und Kind nicht nur die Obliegenheit, die einmal gewählte Ausbildung mit Fleiß und der gebotenen Zielstrebigkeit durchzuführen sowie in angemessener und üblicher Zeit zu beenden. Daraus folge auch die Obliegenheit des Kindes, sich nach dem Abgang von der Schule innerhalb einer angemessenen Übergangszeit für eine seinen Fähigkeiten und Neigungen entsprechenden Ausbildung zu entscheiden und mit dieser zu beginnen. Dabei gebe es keine feste Altersgrenze für die Aufnahme einer Ausbildung, ab deren Erreichen ein Anspruch auf Ausbildungsunterhalt entfalle. Dies richte sich vielmehr nach den Umständen des Einzelfalls. Der BGH habe jedoch in einer früheren Entscheidung (BGH v. 29.6.2011 – XII ZR 127/09, FamRZ 2011, 1560 = FamRB 2011, 300) festgestellt, dass es an einer Obliegenheitsverletzung fehle, wenn das ausbildungsberechtigte Kind während der ihm zuzubilligenden Orientierungsphase schwanger wird und infolge der anschließenden, bis zur Vollendung des 3. Lebensjahres dauernden Betreuung des eigenen Kindes seine Ausbildung verzögert beginnt. Vor dem Hintergrund dieser Rspr., die auch im Fall mehrerer Kinder gelte, und unter Berücksichtigung der besonderen Bedeutung der in Rede stehenden beruflichen Erstausbildung fehle es trotz der Zeitspanne von 9 Jahren zwischen dem Hauptschulabschluss (2005) und dem Beginn der Berufsausbildung (2014) an einer Obliegenheitsverletzung der Ast. Sie habe in dieser Zeit besondere Belastungen und Herausforderungen bewältigen müssen. Der Ag. habe in Kenntnis aller Umstände auch mit einer Ausbildungsverzögerung und seiner weiteren Inanspruchnahme auf Ausbildungsunterhalt rechnen müssen. Der Unterhaltsbedarf der Ast. sei mit dem für Studierenden geltenden Regelsatz zu bemessen. Hierauf seien die um die ausbildungsbedingten Aufwendungen gekürzte Ausbildungsvergütung und die Berufsausbildungsbeihilfe nach Abzug der darin enthaltenen Kinderbetreuungskosten anzurechnen. Der ungedeckte Unterhaltsbedarf der Ast. belaufe sich danach auf monatlich 233 € und liege damit sogar über der von ihr geltend gemachten Unterhaltsforderung. Mit einem bereinigten Monatseinkommen von 2.200 € sei der Ag. auch leistungsfähig.


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