Wann ist eine Abmahnung rechtsmissbräuchlich?

30.11.2015, Redaktion Anwalt-Suchservice
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Abmahnung Wecker Abmahnungen können rechtsmissbräuchlich sein © - freepik

Das Abmahnwesen blüht – aber nicht alle Abmahnungen sind zulässig. Denn immerhin sollen Abmahnungen dem Schutz des fairen Wettbewerbs dienen und nicht in erster Linie dem Geldbeutel des Abmahners. Das OLG Hamm hat im September 2015 zu diesem Thema ein interessantes Urteil gesprochen.

Wann wird eine wettbewerbsrechtliche Abmahnung generell als rechtsmissbräuchlich angesehen?


Dies ist in erster Linie dann der Fall, wenn die Abmahnung nicht die Einhaltung der Regeln des fairen Wettbewerbs bezweckt, sondern die Erzielung von Umsatz mit Hilfe von Abmahngebühren. So soll es im Einzelfall auch schon zu Gebührenteilungsabsprachen zwischen Abmahnanwalt und Auftraggeber gekommen sein. Missbräuchlich ist auch die Abmahnung nur zur Schädigung eines Konkurrenten oder als Vergeltung für eine Abmahnung von dessen Seite. Wann das Verhalten eines anderen Unternehmers wettbewerbswidrig ist, ergibt sich aus dem Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG), das Teil der Regelungen im Bereich "gewerblicher Rechtsschutz" ist.

Was sagt das UWG?


Laut § 8 Absatz 4 UWG liegt Rechtsmissbrauch vor, wenn eine Abmahnung "unter Berücksichtigung der gesamten Umstände missbräuchlich ist, insbesondere wenn sie vorwiegend dazu dient, gegen den Zuwiderhandelnden einen Anspruch auf Ersatz von Aufwendungen oder Kosten der Rechtsverfolgung entstehen zu lassen. In diesen Fällen kann der Anspruchsgegner Ersatz der für seine Rechtsverteidigung erforderlichen Aufwendungen verlangen."

Was sind die Folgen des Rechtsmissbrauchs?


Eine rechtsmissbräuchliche Abmahnung begründet keinen Anspruch auf die Erstattung der Abmahngebühren. Der in der Abmahnung aufgeführte Anspruch auf Unterlassung eines bestimmten Verhaltens – zum Beispiel einer Werbung – existiert nicht. Ein vom Abmahner angestrengtes Gerichtsverfahren mit einer Klage auf Unterlassung und Schadensersatz wird scheitern. Unter Umständen kann der Abgemahnte Anspruch auf Schadensersatz haben.

Beispiele für rechtsmissbräuchliche Abmahnungen


Als unzulässig werden zum Beispiel bestimmte Mehrfachabmahnungen angesehen, bei denen mehrere Personen, die sich in ihren Rechten für verletzt halten, mit Hilfe des gleichen Rechtsanwalts gegen einen Verursacher vorgehen (etwa LG Paderborn, Urteil vom 22.07.2010, Aktenzeichen 6 O 43/10). Auch muss das Verhältnis zwischen dem Umfang des Geschäftsbetriebes des Abmahners und der Anzahl der von ihm veranlassten Abmahnungen stimmen. Mahnt der Inhaber eines kleinen Onlineshops in Massen Konkurrenten ab, weil diese relativ geringfügige Wettbewerbsverstöße begehen, kann dies als rechtsmissbräuchlich angesehen werden. Unzulässig ist es nach dem Bundesgerichtshof in Karlsruhe auch, eine Vertragsstrafe verschuldensunabhängig zu verlangen (Urteil vom 15.12.2011, Aktenzeichen I ZR 174/10). Seltsame Gebührenabsprachen zwischen Abmahner und Rechtsanwalt sind ebenfalls unzulässig (LG Gera, Urteil vom 29.04.2010, Aktenzeichen 1 HK O 62/10 ). Achtung: Derartige Konstellationen sind als Indiz für einen Rechtsmissbrauch anzusehen. Manche Gerichte verlangen, dass mehrere solche Indizien vorliegen.

Problem: die Beweislage


Es ist allerdings für den Abgemahnten oft schwierig zu beweisen, dass eine Abmahnung rechtsmissbräuchlich ist. Meist weiß er beispielsweise nicht, an wie viele andere Gewerbetreibende eine ähnliche Abmahnung ergangen ist. Ebenso kann er oft kaum beurteilen, ob der Abmahnende überhaupt ein Konkurrent von ihm ist und dementsprechend eine Abmahnung aussprechen darf. Zudem müssen Gegenargumente oft innerhalb kürzester Zeit gesammelt werden – denn die Frist, innerhalb der eine Unterlassungserklärung abgegeben werden muss, beträgt in der Regel nur eine Woche.

Das Urteil des OLG Hamm: Briefkastenfirmen


Sehr unterschiedlich entscheiden die Gerichte bei der Frage, wie viele Abmahnungen erforderlich sind, um eine Abmahnaktion als unzulässige Massenabmahnung zu qualifizieren. Das Landgericht Bielefeld etwa hielt 100 Abmahnungen innerhalb weniger Tage für nicht mehr zulässig (Beschluss vom 2.6.2006, Az. 15 O 53/06). Im Fall des OLG Hamm ging es um 43 Abmahnungen innerhalb von sieben Tagen. Der Abmahner war hier ein Betrieb, der unter anderem Briefkästen verkaufte. Abgemahnt worden waren andere Händler, die Briefkästen vertrieben und diese mit den Aussagen bewarben "umweltfreundlich produziert“ und/oder „geprüfte Qualität“. Das Landgericht Hagen hatte diese Werbeaussagen zuvor für wettbewerbswidrig erklärt (Aktenzeichen 23 O 25/15). Das OLG Hamm wies darauf hin, dass eine hohe Anzahl von Anmahnungen allein noch keinen Rechtsmissbrauch begründe. Es komme auch auf die Schwere des Verstoßes an und darauf, ob zwischen der Abmahntätigkeit und der wirtschaftlichen Betätigung des Abmahners ein vernünftiges Verhältnis bestehe.

Was ist wirtschaftlich vernünftig?


Das OLG Hamm stellte fest, dass Eigenkapital und Jahresüberschuss die Kennzahlen seien, auf die es hier ankomme. 2013 habe die Abmahnerin ein Eigenkapital von 299.684 Euro gehabt und einen Jahresüberschuss von 5.491 Euro. Es sei unklar, wie viel davon auf den Verkauf von Briefkästen entfalle. Das aus den Abmahnungen entstehende Prozesskostenrisiko bezifferte das Gericht mit 296.691,60 Euro. Einen Betrag für Abmahnungen zu riskieren, der praktisch dem verfügbaren Eigenkapital entspreche und in keinem Verhältnis zum Jahresüberschuss stehe, sei völlig unwirtschaftlich. Durch das unlautere Werben der Konkurrenz sei das Unternehmen auch nicht so sehr in Bedrängnis geraten, dass es sich um jeden Preis habe verteidigen müssen. Dass der Geschäftsführer mittlerweile auf seinen Flügen nach Hongkong nur noch "Economy" buchen könne statt "Business-Class", wollte das Gericht nicht als Indiz für eine schwer wiegende Gefährdung der Geschäfte durch die Konkurrenz akzeptieren. Die Abmahnwelle war damit rechtsmissbräuchlich (OLG Hamm, Urteil vom 15.9.2015, Aktenzeichen 4 U 105/15).

(Wk)


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 Günter Warkowski
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