Ist die Beschlagnahmung von Wohnungen zur Unterbringung von Flüchtlingen zulässig?

25.09.2015, Redaktion Anwalt-Suchservice / Lesedauer ca. 3 Min. (1050 mal gelesen)
Flüchtlinge,Straße,Flucht,Krieg Kann der Staat die Zwangsvermietung an Flüchtlinge anordnen? © - freepik
Das Wichtigste in Kürze

1. Rechtsgrundlage: Eine Beschlagnahmung privater Wohnungen und Immobilien zum Zwecke der Unterbringung von Migranten und Flüchtlingen ist über das Polizei- und Ordnungsrecht des jeweiligen Bundeslandes möglich.

2. Bestehende Gefahr: Voraussetzung für die Beschlagnahmung ist eine bestehende Gefahr für Leib und Leben der Unterzubringenden durch drohende Obdachlosigkeit.

3. Verhältnismäßigkeit: Die Beschlagnahme von Wohnungen und Immobilien für Migranten und Flüchtlinge muss verhältnismäßig und darf deshalb nur das letzte Mittel sein, nachdem alle anderen Unterbringungsmöglichkeiten ausgeschöpft sind. Zur Verhältnismäßigkeit zählt auch eine Entschädigung an den Eigentümer.
Laut Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) kamen von 2014 bis Ende 2022 gut 2,5 Millionen Migranten nach Deutschland. Im ersten Halbjahr 2023 waren es ca. 162.000 - Tendenz steigend. Deren Unterbringung stellt für viele Städte und Kommunen inzwischen eine fast unlösbare Aufgabe dar.

Gibt schon Beschlagnahmungen von Wohnungen zwecks Unterbringung von Migranten?


Der CDU-Generalsekretär Ziemiak ließ zuletzt in der Sendung Lanz vom 24.10.2023 verlauten, dass eine Stadt in seinem Wahlkreis leerstehende Wohnungen beschlagnahme, "um Wohnraum zu schaffen, damit die Menschen nicht auf der Straße sind“. Auch zuvor gab es schon Beschlagnahmungen von Immobilien zum Zwecke der Unterbringung von Flüchtlingen etc. Die Frage nach der Rechtmäßigkeit einer solchen Zwangsmaßnahme wird somit immer praxisrelevanter.

Was ist die Rechtsgrundlage für die Beschlagnahme von Wohnungen?


Eine zwangsweise Beschlagnahmung privater Wohnungen ist über Ländergesetze zum Polizei- und Ordnungsrecht bereits jetzt schon möglich. Allerdings nur bei "Gefahr im Verzug", d.h. nur als äußerstes Mittel. Das bedeutet, dass die Städte und Kommunen zuvor alle Möglichkeiten ausgeschöpft haben müssen, um Migranten anderweitig unterzubringen - auch dann, wenn dies sehr kostenintensiv ist.

Wie gehen Hamburg und Bremen mit der Beschlagnahmung von Immobilien um?


Hamburg hat im Oktober 2015 angesichts der sehr hohen Migrantenzahlen ein "Gesetz zur Flüchtlingsunterbringung in Einrichtungen" beschlossen. Danach dürfen leerstehende Gewerbeimmobilien auch gegen den Willen der Eigentümer per Gesetz in Flüchtlingsunterkünfte umgewandelt werden. Mit diesem Gesetz will der Gesetzgeber die Problematik mit der Verhältnismäßigkeit der Beschlagnahmung umgehen und einen direkten Zugriff ermöglichen. Aufgrund des § 1 des Gesetzes wurde der § 14 a SOG in das Hamburger Polizeigesetz eingefügt. § 14 a SOG bezweckt allerdings ausdrücklich nicht die Inanspruchnahme kleiner privater ungenutzter Wohnungen oder die Einquartierung von Flüchtlingen in nicht genutzte Räume von Wohnungen.

In Bremen ist die Beschlagnahmung von Wohnungen zu Abwehr von bestehenden Gefahren für Leib und Leben in § 23 a BremPolG geregelt.

Wie wird die Beschlagnahmung von Wohnungen andernorts gehandhabt?


Auch in anderen Bundesländern gibt es Bestrebungen, die im Notfall eine Beschlagnahmung leerstehender Wohnungen in Betracht ziehen. Ziel sind zumeist leerstehende Häuser und Bürogebäude.
Derartige Ideen stoßen bei der Immobilienwirtschaft auf wenig Gegenliebe. Hier beruft man sich auf das Eigentumsrecht als elementares Grundrecht (Art. 14 Abs. 1 GG) und hält Beschlagnahmungen als Enteignungen für rechtswidrig.

Wie entscheiden die Gerichte zur Beschlagnahmung von Wohnungen?


In Niedersachsen gab es im Jahr 2015 vor dem Verwaltungsgericht Lüneburg bzw. Oberverwaltungsgericht Niedersachsen ein Verfahren, bei dem es um die Beschlagnahme eines Grundstückes in Lüneburg zur Bereitstellung von Wohnraum für Flüchtlinge ging. Die Stadt hatte ein privates Grundstück, auf dem zuvor ein Kinder- und Jugendheim betrieben wurde, zur Unterbringung von Flüchtlingen beschlagnahmt und berief sich dazu auf die polizeiliche Generalklausel. Die Beschlagnahme der Immobilie wurde auf sechs Monate befristet. Die Eigentümerin sollte das Grundstück bis zum 12. Oktober 2015 räumen. Gleichzeitig wurden per Verfügung der Stadt 50 Migranten in das Gebäude eingewiesen und eine Entschädigung festgesetzt. Die Eigentümerin war damit nicht einverstanden und beantragte einstweiligen Rechtsschutzes beim Verwaltungsgericht Lüneburg. Der Antrag war erfolgreich, denn die Beschlagnahme war nach Ansicht der Richter rechtswidrig. Die Voraussetzungen für eine Beschlagnahme nach Polizeirecht lagen demnach nicht vor. Zwar sei drohende Obdachlosigkeit eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit. Die Ursache hierfür läge aber nicht beim Eigentümer der beschlagnahmten Immobilie. Ein Dritter, also der Eigentümer, könne nur als letztes Mittel unter den engen Voraussetzungen des so genannten polizeilichen Notstandes zur Gefahrenabwehr herangezogen werden. Die Beschlagnahmung stelle einen erheblichen Eingriff in das Grundrecht auf Eigentum (Art. 14 Abs. 1 GG) dar. Sie setze deshalb voraus, dass die Stadt die drohende Obdachlosigkeit von Flüchtlingen nicht rechtzeitig selbst oder durch Beauftragte abwehren könne. Zu diesem Zweck müsse sie zunächst einmal alle eigenen Unterbringungsmöglichkeiten ausschöpfen und ggf. sogar auch Räumlichkeiten in Hotels etc. anmieten, selbst, wenn dadurch hohe Kosten entstünden. Es sei zuvorderst Aufgabe der Allgemeinheit und nicht von Privatpersonen, für soziale Fürsorge Gewähr zu bieten. Die Inanspruchnahme von Privatpersonen sei deshalb nur das letztes Mittel. Die Stadt Lüneburg habe nicht ausreichend dargelegt, dass alle anderen Möglichkeiten der Unterbringung ausgeschöpft seien.

Die Stadt Lüneburg hatte gegen den Beschluss Beschwerde beim Oberverwaltungsgericht Lüneburg eingelegt, die aber mit der Begründung abgewiesen wurde, dass die Beschlagnahme des ehemaligen Kinderheims zur Flüchtlingsunterbringung unzulässig sei (OVG Lüneburg v. 1.12.2015; Az. 11 ME 230/15).

Praxistipp zur Beschlagnahmung von Wohnungen


Die Beschlagnahme von Immobilien und Wohnungen ist mit Blick auf das grundgesetzlich geschützte Eigentumsrecht (Art. 14 Abs. 1 GG) nur unter sehr engen Voraussetzungen möglich. Wenn Sie von einer solchen Zwangsmaßnahme betroffen sind, ist ein Fachanwalt für Verwaltungsrecht der richtige Ansprechpartner zur Wahrnehmung Ihrer Rechte.

(Bu)


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 Stephan Buch
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