Kind verursacht einen Schaden: Haften die Eltern?

31.05.2023, Redaktion Anwalt-Suchservice
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Eltern,Kind,Aufsichtspflicht,Haftung Eltern haften für ihre Kinder - stimmt, aber auch nicht © Bu - Anwalt-Suchservice
Das Wichtigste in Kürze

1. Verletzung der Aufsichtspflicht: Eltern haften für einen von ihrem minderjährigen Kind verursachten Schaden, wenn sie ihre Aufsichtspflicht verletzt haben und dieser Verstoß ursächlich für das Schadensereignis ist.

2. Deliktsunfähige Kinder: Kinder unter 7 Jahren (im Straßenverkehr unter 10 Jahren) gelten als deliktsunfähig, haften also nicht selbst für Schäden, die sie verursacht haben. In diesem Fall gibt es nur dann Schadensersatz, wenn die Eltern ihre Aufsichtspflicht verletzt haben.

3. Deliktsfähige Kinder: Kinder ab 7 Jahren (und im Straßenverkehr ab 10 Jahren) sind grundsätzlich deliktsfähig und haften deshalb in aller Regel selbst für von ihnen verursachte Schäden. Haben die Eltern allerdings ihre Aufsichtspflicht verletzt, haftet nicht das Kind, sondern die Eltern.
Viele Eltern kennen das Schild noch aus ihrer eigenen Kindheit: "Eltern haften für ihre Kinder". Doch haften sie wirklich immer für ihre Kinder? Juristen antworten darauf gerne wie folgt: Das kommt ganz darauf an. Tatsächlich haften Eltern nur dann für die von ihren Kindern verursachten Schäden, wenn sie ihre Aufsichtspflicht verletzt haben. Kinder unter sieben Jahren haften nie selbst.

Wann haften Eltern für Schäden durch fahrradfahrende Kinder?


Sabine Sorglos ist Mutter von zwei kleinen Kindern im Alter von fünf und sieben Jahren. Die Familie wohnt in der Ruhrmetropole Dortmund, die nicht gerade als besonders fahrradfreundlich gilt. Davon einmal abgesehen, lässt Frau Sorglos ihre Kinder grundsätzlich nur auf dem Bürgersteig fahren. Das ist auch richtig, denn nach § 2 Abs. 5 StVO müssen Kinder bis zum vollendeten achten Lebensjahr zum Radfahren den Gehweg nutzen. Ausnahme sind baulich von der Fahrbahn getrennte Radwege, die sie ebenfalls benutzen dürfen. Fehlt ein Gehweg, dürfen sie auf der Fahrbahn fahren.

Ihr Lebensgefährte Peter Panik stirbt jedoch regelmäßig tausend Tode, wenn er die Jungs auf dem Bürgersteig - dicht an den vielen teuren Autos - Fahrradfahren sieht. Vor seinem inneren Auge sieht er dann, wie sich die Pedale von Conrad und die Lenkstange von Hugo in die Beifahrertür eines Audi Q7 bohren und einen schweren Lackschaden verursachen - mindestens. Gleichzeitig taucht dieses gelbe Schild mit schwarzer Schrift aus seiner eigenen Kindheit auf, auf dem steht "Eltern haften für ihre Kinder". Sabine lächelt nur, wenn sie Peter völlig verkrampft auf seinem Fahrrad sitzen sieht und sagt dann süffisant: "Da passiert nichts. Und wenn, dann ist das wie bei einem Erdbeben. Da müssen wir nichts zahlen". Aber: Wie ist ein vermeintlicher Lackschaden denn eigentlich juristisch zu beurteilen? Und wie sieht es mit einem möglichen Versicherungsschutz aus?

Ab wann sind Kinder "deliktsfähig"?


Kinder unter sieben Jahren sieht das Gesetz als deliktsunfähig an. Das bedeutet: Verursachen sie einen Schaden, müssen sie nicht dafür haften. Bei Unfällen im Straßenverkehr sind Kinder erst haftbar, wenn sie das zehnte Lebensjahr vollendet haben. Oberhalb dieser Altersgrenzen können Kinder selbst für den verursachten Schaden zur Haftung herangezogen werden. Nun könnte man denken: Ein Kind kann doch keinen Schadensersatz bezahlen? Aber: Ein Gerichtsurteil ist 30 Jahre lang vollstreckbar ...

Haben die Eltern jedoch ihre Aufsichtspflicht verletzt, haftet nicht das Kind, sondern die Eltern. Dies gilt unabhängig davon, ob das Kind deliktsfähig ist.

Ist den Eltern keine Vernachlässigung ihrer Aufsichtspflicht nachzuweisen und ist das Kind nicht deliktsfähig, haftet niemand für den Schaden. Dann bleibt den Besitzern des zerkratzten Autos oder Fahrzeugs keine andere Möglichkeit, als den Lackschaden selbst zu bezahlen.

Natürlich können sie diesen auch über eine Vollkaskoversicherung reparieren lassen. Dies wird jedoch zu einer Beitragserhöhung führen. Ob sich das bei einem Lackschaden lohnt, sollte sorgfältig überlegt sein.

Wann vernachlässigen die Eltern ihre Aufsichtspflicht?


Wird den Eltern eine Vernachlässigung ihrer Aufsichtspflicht nachgewiesen, müssen sie für den entstandenen Schaden haften. Wie weit die Aufsichtspflicht geht und was Eltern in deren Rahmen tun müssen, hängt von Alter und Reife des Kindes, der konkreten Situation und damit immer vom Einzelfall ab.

Urteil zur Vernachlässigung der Aufsichtspflicht


Mit diesem Fall befasste sich das Amtsgericht Mönchengladbach im Februar 2012: Ein sechsjähriges Kind hatte mit seinem Fahrrad den Seat Ibiza einer Dame in einer Spielstraße beschädigt. Der Schaden lag bei rund 1.350 Euro. Dazu das Gericht: "Kollidiert ein sechsjähriges Kind mit seinem Fahrrad auf einer solchen Spielstraße mit einem anderen Fahrzeug, trifft die Eltern des Kindes, das im Fahrradfahren geübt und mit den Verkehrsvorschriften vertraut ist und Fahrten in dem Wohnbereich bereits selbständig gemeistert hat, kein Aufsichtsverschulden".

Hier konnte man dem Kind also aufgrund seiner Entwicklung und Erfahrungen zutrauen, sich unfallfrei in der Spielstraße zu bewegen - daher mussten die Eltern es dabei nicht ständig beaufsichtigen. Da das Kind selbst wegen seines Alter (= unter sieben Jahren) auch nicht deliktsfähig war, haftete also niemand für den Schaden (Az. 11 C 106/11).

Sollte das Auto einem Nachbarn gehören, ist dies natürlich eine sehr ungünstige Situation. Dies könnte die Beziehung sehr belasten. Hier kann man dann nur hoffen, dass die Privathaftpflichtversicherung einen Versicherungsschutz für deliktsunfähige Personen einschließt.

Update vom 31.05.2023: Zweijähriger startet Auto - haftet die Mutter?


Das Oberlandesgericht Oldenburg befasste sich mit einer Klage gegen eine Mutter. Diese hatte mit ihrem zweieinhalbjährigen Kind und der Großmutter eine Familienfeier besucht. Danach setzte sie ihr Kind auf den Beifahrersitz, ohne es anzuschnallen, und ging noch einmal ins Haus. Ihr Sohn ergriff seine Chance und den auf dem Armaturenbrett liegenden Autoschlüssel, steckte diesen erfolgreich ins Zündschloss und startete das Auto. Dieses machte dank nicht getretener Kupplung einen Sprung nach vorn und erfasste die Großmutter, die davor auf einer Bank saß. Sie wurde erheblich an beiden Knien verletzt und musste ins Krankenhaus. Ihre Krankenversicherung zahlte zwar, nahm aber anschließend die Mutter in Regress: Diese habe ihre Aufsichtspflicht verletzt.

Während das Gericht erster Instanz noch eine Haftung der Mutter ablehnte, weil diesen Geschehensablauf niemand hätte vorhersehen können, urteilte das Oberlandesgericht Oldenburg strenger. Es sei geradezu typisch für kleine Kinder, dass diese nach Schlüsseln greifen und versuchen würden, damit die Erwachsenen nachzuahmen. Generell müssten Kleinkinder permanent beaufsichtigt werden. Durch das Zurücklassen des Kindes ohne Aufsicht und mit dem Autoschlüssel in Reichweite habe die Mutter ihre Aufsichtspflicht verletzt. Daher musste sie der Versicherung die Behandlungskosten für die Verletzungen der Großmutter ersetzen (Urteil vom 20.4.2023, Az. 14 U 212/22).

Wann zahlt die Privathaftpflichtversicherung für von Kindern verursachte Schäden?


Wenn ein Kind deliktsfähig ist, ist ein von ihm verursachter Schaden in der Regel durch die private Haftpflichtversicherung der Eltern abgedeckt. Die Versicherungen zahlen jedoch nicht immer.

Übrigens enthalten heute viele Versicherungsverträge bei der Privathaftpflicht eine Klausel, nach der auch Schäden durch deliktsunfähige Personen versichert sind. Hier lohnt es sich jedoch, genau hinzuschauen: Zum Teil greift diese Klausel nur, wenn kein anderer Versicherer für den Schaden einstehen würde (Vollkaskoversicherung!), zum Teil ist Voraussetzung, dass die Eltern die Aufsichtspflicht nicht verletzt haben.

Ist das Schild "Eltern haften für ihre Kinder" unsinnig?


Ja, das Schild "Eltern haften für ihre Kinder", dass an vielen Baustellenzäunen hängt, ist unsinnig. Eltern müssen zwar grundsätzlich dafür sorgen, dass ihre Kinder keine Baustellen betreten. Haben sie allerdings jegliche Sorgfalt walten lassen und ist etwas passiert, obwohl sie ihre Aufsichtspflicht nicht verletzt haben, haften sie nicht für eventuelle Schäden. Stattdessen trägt der Unternehmer eine Mitschuld an dem vom Kind verursachten Schaden, da die Baustelle allem Anschein nach nicht ordentlich abgesichert war.

Kita, Schule und Kindergarten: Wann haften Erzieher und andere?


Die Eltern können ihre Aufsichtspflicht per Vertrag auf andere Leute übertragen, zum Beispiel auf Erzieher in der Kita. Ein solcher Vertrag entsteht mit der Anmeldung des Kindes in der Kita. Für die Zeit der vereinbarten Betreuung hat dann die Kita die Aufsichtspflicht über das Kind. Sie beginnt mit der Übergabe des Kindes an die Einrichtung und endet mit dem Abholen durch die dazu berechtigte Person. Wenn die Eltern ihr Kind nicht oder verspätet abholen, bleibt die Aufsichtspflicht der Kita bestehen. Auch in der Schule, beim Babysitter oder während des Unterrichts durch private Musik- oder Sportlehrer wird die Aufsichtspflicht von den Eltern zeitweise auf diese Personen übertragen.

Aufsichtspflicht der Eltern: Wie lange darf man Kinder alleine lassen?


Klare gesetzliche Altersgrenzen gibt es dafür nicht. Die Eltern müssen dies selbst entscheiden, abhängig von der Reife und Entwicklung des Kindes und davon, was sich dieses selbst zutraut.

Als sehr grobe Faustregeln werden oft genannt:

- Kinder sollten bis zum dritten Lebensjahr immer beaufsichtigt werden und nie allein zu Hause sein.
- Ab dem 4. Lebensjahr kann man ein Kind auch mal 15 bis 30 Minuten allein lassen. Allerdings nur in der eigenen Wohnung oder auf einem anderen sicheren Gelände, und wenn die Eltern in der Nähe bleiben.
- Etwa ab dem siebenten Lebensjahr kann ein Kind auch schon bis zu zwei Stunden alleine zu Hause bleiben.

Kurz unbeaufsichtigt, Schaden durch Kleinkind: Haften die Eltern?


Das Landgericht Heidelberg hat entschieden, dass Eltern in der Wohnung einer Verwandten auch ein Kleinkind nicht lückenlos kontrollieren müssen. Hier ging es um ein Kind im Alter von einem Jahr und acht Monaten. Dieses war kurz in der Küche verschwunden, als Mutter und Großmutter sich in deren Wohnung für einen Gang zum Spielplatz anzogen. Als es wiederkam, hatte es sein Lieblingsspielzeug bei sich. Allerdings hatte es nicht nur das Spielzeug geholt, sondern auch den Herd angeschaltet. In Abwesenheit der Familie kam es zu einem Wohnungsbrand.
Nach Ansicht des Gerichts hatte die Mutter ihre Aufsichtspflicht nicht verletzt: Sie hatte das Kind in der Wohnung der Großmutter nur für einen kurzen Moment aus den Augen gelassen. Das Kind habe nie zuvor versucht, einen Herd einzuschalten (Landgericht Heidelberg, Urteil vom 12.11.2018, Az. 3 O 229/16).

10- bis 13-jährige Kinder spielen mit Softair-Waffen: Haften die Eltern?


Vier Jungen zwischen zehn und 13 Jahren hatten auf einem Parkplatz mit Softairwaffen gespielt, die Plastikkugeln verschießen. Nur zwei der Kinder hatten Schutzbrillen auf. Ein Junge traf einen der ungeschützten Spielkameraden ins Auge, das Kind trug eine schwere Augenverletzung davon.
Die Mutter des Kindes, das geschossen hatte, hatte ihren Sohn nur allgemein gewarnt, vorsichtig zu sein und auch bei anderen Spielern darauf zu achten, dass diese Schutzbrillen trugen. Dies reichte dem Gericht nicht aus: Es sei klar, dass der Junge diese Anweisungen nicht gegenüber anderen Kindern durchsetzen könne, die auch an dem aus ihrer Sicht faszinierenden Spiel teilnehmen wollten. Bei unter 14-Jährigen müssten die Eltern beim Spiel mit Softairwaffen eine umfassende Kontrolle ausüben und zum Eingreifen bereit in der Nähe bleiben, anstatt nur vorher Anweisungen zu erteilen. Hier musste die Mutter ein Schmerzensgeld von 5.000 Euro und Schadensersatz zahlen (Oberlandesgericht Oldenburg, Urteil vom 17.7.2014, Az. 1 U 3/14).

Praxistipp zu "Eltern haften für ihre Kinder"


Zwar ist das typische Baustellenschild "Eltern haften für ihre Kinder" unsinnig. Trotzdem kann es zu einer Haftung der Eltern kommen, wenn diese ihre Aufsichtspflicht verletzen. Wurde die Aufsichtspflicht nicht verletzt, haftet bei Kindern unter sieben Jahren (bzw. zehn Jahren im Straßenverkehr) niemand. Kinder über diesen Altersgrenzen haften dann unter Umständen selbst. Urteile können 30 Jahre lang vollstreckt werden. Ein Rechtsanwalt für Zivilrecht berät Sie zu allen Fragen rund um die elterliche Aufsichtspflicht und Schadensersatzforderungen seitens Dritter.

(Ma)


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 Ulf Matzen
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