Hartz IV: Was passiert, wenn ich eine Immobilie erbe?

20.10.2021, Redaktion Anwalt-Suchservice / Lesedauer ca. 6 Min. (46291 mal gelesen)
Hartz IV,Immobilie,Erbschaft,ALG II,Jobcenter Haus oder Wohnung geerbt: Was sagt das Jobcenter dazu? © Bu - Anwalt-Suchservice

Sehr genau achten Jobcenter darauf, ob Bezieher von ALG II („Hartz IV“) plötzlich neue Einkünfte haben. Bekommt man weiter staatliche Leistungen, wenn man unerwartet eine Immobilie erbt?

Eine landläufige Meinung lautet: Wer ein Haus erbt, ist reich. Dies muss jedoch nicht zwingend der Fall sein. Häufig hat der Erbe nämlich gar kein eigenes Vermögen. Wenn er dann in das geerbte Haus einzieht, hat er nicht unbedingt mehr Geld auf dem Konto. Ein Haus verursacht meist höhere Betriebskosten als eine Wohnung. Ist das Haus schon älter, muss es häufig zunächst renoviert oder gar saniert werden, bevor man darin wohnen kann. Erben Empfänger von ALG II ein Haus, stellt sich die Frage, ob dieses als Einkommen anzusehen ist. Dann müssten sie es gleich wieder verkaufen, um von dem Geld zu leben. Vom Staat würden sie erst dann wieder Geld erhalten, wenn der Kaufpreis aufgebraucht ist. Wer als Leistungsempfänger etwas erbt, ist verpflichtet, dies dem Jobcenter zu melden.

Was passiert, wenn ein ALG II-Empfänger erbt?


Um ALG II oder Hartz IV zu bekommen, muss man hilfebedürftig sein. Dies ist eine Grundvoraussetzung. Dies ist der Fall, wenn man seinen Lebensunterhalt nicht mehr aus eigenen Mitteln finanzieren kann. Wenn man nun etwas erbt, kann es sein, dass die Erbschaft auf den ALG II-Bezug angerechnet wird bzw. dass es keine weiteren Leistungen gibt, bis die Erbschaft verbraucht ist.

Wichtig ist jedoch, ob es sich bei den unerwarteten Einkünften nun um Einkommen oder Vermögen handelt. Einkommen nämlich wird komplett angerechnet, beim Vermögen gibt es Einschränkungen. So gibt es beim Vermögen vom Geburtsdatum des Empfängers abhängige Freibeträge. Bestimmte Gegenstände gehören zum sogenannten Schonvermögen, sie dürfen nicht angetastet werden. Und zu diesem Schonvermögen gehören auch selbst bewohnte Immobilien - solange sie von der Größe her angemessen sind.

Wann ist etwas Einkommen und wann Vermögen?


Diese Unterscheidung hängt hauptsächlich davon ab, wann der Betreffende es erhalten hat. Besaß er es bereits zum Zeitpunkt des ALG II-Antrags oder Folgeantrags, ist es Vermögen. Erhält er es erst während des laufenden ALG II-Bezugs, ist es Einkommen.

Bei einer Erbschaft ist also wichtig, wann sie stattfindet. Tritt der Erbfall vor dem ALG II-Antrag des Erben ein, erwirbt dieser Vermögen und kann einen Teil davon behalten. Bei einer Erbschaft mitten im laufenden Leistungsbezug hat man jedoch das Nachsehen: Diese gilt als Einkommen und muss grundsätzlich verwertet werden.

Was gilt für Immobilien, die vor dem ALG II-Antrag geerbt wurden?


In diesem Fall ist das Hausgrundstück oder die Eigentumswohnung Bestandteil des nicht antastbaren Schonvermögens. Voraussetzung ist aber, dass der Leistungsempfänger die Immobilie selbst nutzt, also selbst darin wohnt. Auch muss die Größe der Immobilie angemessen sein. Was angemessen ist, wird meist nach einem Urteil des Bundessozialgerichts von 2006 beurteilt (Az. B 7b AS 2/05 R): Bei einem Haushalt mit ein bis zwei Personen gelten in der Regel 80 qm Wohnfläche in einer Eigentumswohnung oder 90 qm in einem Eigenheim noch als angemessen. Bei drei Personen sind es 100 und 110 qm. Wenn diese Wohnungsgrößen eingehalten werden, wird die Angemessenheit meist nicht weiter geprüft. Werden die Quadratmeter-Zahlen überschritten, findet jedoch eine genaue Prüfung statt.

Aber: Die genannten Zahlen sind nicht „in Stein gemeißelt“. Was angemessen ist, richtet sich immer auch sehr stark nach den Lebensumständen des Antragstellers zum Zeitpunkt des ALG II-Antrags. Diese werden normalerweise nicht allzu luxuriös sein. Wenn das Haus zu groß ist, kann das Jobcenter unter Umständen verlangen, dass es geteilt, teilweise verkauft oder, wenn dies nicht möglich ist, zum Teil vermietet wird.

Was gilt für Immobilien, die nach dem ALG II-Antrag geerbt wurden?


Früher zählten auch geerbte Immobilien zum Einkommen, wenn die Erbschaft während des Bezuges der ALG-II-Leistungen stattfand. Dann musste unter Umständen die Immobilie verkauft werden.

Aber: Das 2. Sozialgesetzbuch – kurz SGB II – wurde zum 1. August 2016 geändert. Nun gehören zum Einkommen grundsätzlich nur noch "Einnahmen in Geld" (§ 11 Abs. 1 SGB II). Zum 20.10.2017 hat die Bundesagentur für Arbeit ihre fachlichen Weisungen an die einzelnen Jobcenter angepasst. Diese besagen nun, dass geerbte Sachwerte – wie Immobilien – nicht mehr als Einkommen zu berücksichtigen sind. Vielmehr werden diese im Monat nach dem Erhalt dem Vermögen zugeordnet.

Das heißt: Eine geerbte Immobilie gehört im Monat nach dem Erbfall zum anrechenbaren Vermögen des ALG-II-Empfängers. Dann wird sie nach § 12 Abs. 3 Nr. 4 SGB II nicht weiter berücksichtigt, wenn sie selbst genutzt wird und eine angemessene Größe hat.

In diesem Fall gilt also jetzt das Gleiche wie bei einer Erbschaft vor dem ALG II-Bezug: Leistungsempfänger können nur dann zur Verwertung der Immobilie (oder zur teilweisen Verwertung bzw. Vermietung) gezwungen werden, wenn diese von Größe und Standard her nicht angemessen ist.

Was passiert, wenn man die Immobilie nicht selbst nutzt?


Dann ist sie kein Teil des Schonvermögens, sondern zählt zum verwertbaren Vermögen. ALG II-Bezieher müssen dieses verwenden, um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Bedeutet: Das Haus muss verkauft werden, danach kann der Leistungsempfänger immerhin die Freibeträge nach § 12 Abs. 2 des 2. Sozialgesetzbuches behalten. Diese sind nach dem Alter der Person gestaffelt. Der Grundfreibetrag beträgt mindestens 3.100 Euro für jede Person der Bedarfsgemeinschaft (auch Kinder).

Die unwirtschaftliche Verwertung


Führt die Verwertung des geerbten Vermögens zu einer unzumutbaren Härte für den Betroffenen oder wäre ein Verkauf des Hauses komplett unwirtschaftlich, kann das Jobcenter im Rahmen seines Ermessens von einer Verwertung absehen. Allerdings kommt dies nur im Ausnahmefall vor.

Darf man das Erbe ausschlagen?


Grundsätzlich dürfen Erben eine Erbschaft innerhalb von sechs Wochen nach dem Erbfall ausschlagen. Dazu kommt es normalerweise, weil man keine Schulden erben will.

Besteht die Erbschaft nicht nur aus Schulden, nützt ALG II-Empfängern eine Erbausschlagung allerdings nichts. Das Jobcenter wird davon ausgehen, dass sie vorsätzlich oder fahrlässig die Voraussetzungen für einen Bezug von Leistungen herbeigeführt haben. Die Folge: Sie müssen dem Staat die zu Unrecht gezahlten Leistungen ersetzen. Dies ergibt sich aus § 34 Abs. 1 SGB II.

Übrigens: Erben verlieren bei einer Erbausschlagung auch ihren Pflichtteil. Davon gibt es jedoch Ausnahmen. In diesen Ausnahmefällen kann das Jobcenter den Pflichtteil auf sich überleiten (§ 33 Abs. 1 SGB II).

ALG II-Empfänger sollten also nur eine Erbschaft ausschlagen, wenn der Nachlass tatsächlich überwiegend aus Schulden besteht. In diesem Fall ist eine Erbausschlagung auch unbedingt zu empfehlen.

Enterbung und Pflichtteil


Was gilt nun aber, wenn jemand enterbt wird? Ein Erbe, der per Testament enterbt wird, behält seinen Pflichtteil. ALG II-Empfänger müssen den Pflichtteil jedoch unter den oben genannten Voraussetzungen für die Anrechnung einer Erbschaft grundsätzlich für ihre Lebensführung verwenden.

Ausnahmen bestehen, wenn eine solche Verwendung allzu sehr gegen den Willen des Testamentsverfassers verstoßen würde. Dies kann etwa beim sogenannten Berliner Testament der Fall sein. Bei diesem beerben sich die Eltern gegenseitig und die Kinder sollen eigentlich erst dann erben, wenn beide Elternteile verstorben sind.

Ein Kind kann jedoch theoretisch auch schon beim Tod des ersten Elternteils vom Überlebenden den Pflichtteil fordern (sofern dies nicht durch besondere Formulierungen im Testament verhindert wird). Natürlich ist das sofortige Einfordern des Pflichtteils kein feiner Zug und kann den überlebenden Elternteil in finanzielle Bedrängnis bringen (Hausverkauf). Deshalb passiert dies normalerweise nur in sehr zerstrittenen Familien.

Die Sozialbehörden erwarten trotzdem oft, dass Erben in jedem rechtlich möglichen Fall den Pflichtteil einfordern und zur Lebensführung verwenden, um dem Staat nicht auf der Tasche zu liegen. Das Bundessozialgericht will nur bei besonderen Härtefällen Ausnahmen zulassen (Urteil vom 6.5.2010, Az. B 14 AS 2/09 R). Das Sozialgericht Mainz verlangte in einem ähnlichen Fall, dass der Erbe den Pflichtteil von seiner gebrechlichen Mutter einzufordern habe – es strich ihm die Leistungen mit dem Hinweis, dass er dies ja tun könne (SG Mainz, Urteil v. 23.08.2016, Az.: S 4 AS 921/15).

Praxistipp


Bei vielen Internet-Tipps zur geschickten Erstellung eines vor dem Jobcenter sicheren Testaments ist Vorsicht angesagt. So wird zum Beispiel manchmal empfohlen, den ALG II-Empfänger im Testament oder Erbvertrag als sogenannten nicht befreiten Vorerben und andere Personen als Nacherben einzusetzen und außerdem einen Testamentsvollstrecker zu bestellen. Dann kann der Vorerbe zumindest die Erträge aus seiner Erbschaft nutzen, die ihm der Testamentsvollstrecker häppchenweise auszahlt. Ob man sich jedoch einen Testamentsvollstrecker mit diesen Befugnissen wünscht, ist eine andere Frage. Manche der empfohlenen Enterbungs-Konstruktionen führen wieder dazu, dass ein Pflichtteil anfällt. Alle denkbaren Regelungen hängen sehr vom Einzelfall ab. Pauschale Ratschläge sind kaum möglich. Unbedingt zu empfehlen ist eine Beratung durch einen Fachanwalt für Erbrecht.

(Wk)


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 Günter Warkowski
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