Immobilienkauf unter Wert: Ab wann ist es Wucher?

22.06.2021, Redaktion Anwalt-Suchservice / Lesedauer ca. 3 Min. (3401 mal gelesen)
Mann,besorgt,Geld,Sparschwein,Haus,Immobilie Immobilienkauf unter Wert: Ab wann ist es Wucher? © - freepik

Immer wieder kommt es vor, dass Immobilienerwerber die finanzielle Notlage von Immobilienbesitzern ausnützen, indem sie die Immobilien weit unter ihrem tatsächlichen Wert kaufen. In besonders krassen Fällen erfüllt dies den Tatbestand des Wuchers.

Müssen Immobilienbesitzer ihr Haus oder ihre Eigentumswohnung aufgrund finanzieller Schwierigkeiten veräußern, wird diese Notlage vom Erwerber oft ausgenutzt und Immobilien werden weit unter ihrem tatsächlichen Wert veräußert. Ist der Unterschied zwischen Kaufpreis und Verkehrswert zum Zeitpunkt des Verkaufs zu groß, kann der Kaufvertrag wegen Wuchers nichtig sein - so jedenfalls das Landgericht Oldenburg.

Was versteht das Gesetz grundsätzlich unter Wucher?


In Deutschland regelt § 138 Abs. 2 BGB (Bürgerliches Gesetzbuch) den Tatbestand des Wuchers. Liegt Wucher vor, ist das zugrundeliegende Rechtsgeschäft, regelmäßig ein Vertrag, nichtig. Das Rechtsgeschäft entfaltet dann keine rechtlichen Verbindlichkeiten.

Im Einzelnen müssen dazu zwei Voraussetzungen erfüllt sein: Zum einen muss die Leistung in einem „auffälligen Missverhältnis“ zur Gegenleistung stehen. Diese Einschätzung ist immer eine Sache des Einzelfalls. Ein solches Missverhältnis wird aber regelmäßig ngenommen, wenn der Wert der Gegenleistung den der Leistung um das Doppelte übersteigt. Dies allein reicht aber noch nicht, damit Wucher vorliegt. Vielmehr muss der Bewuchernde eine schlechte Situation, in der sich der Bewucherten befindet, ganz bewusst ausbeuten, um sich einen völlig unverhältnismäßigen Vermögensvorteil zu verschaffen. Eine solche schlechte Situation liegt vor, wenn eine Vertragspartei die Zwangslage, die Unerfahrenheit, den Mangel an Urteilsvermögen oder die erhebliche Willensschwäche der anderen Vertragspartei bewusst für seine Zwecke ausnützt.

Eine realer Fall - was war passiert?


Die Kläger waren Eigentümer zweier Eigentumswohnungen. Als sie in finanzielle Schwierigkeiten gerieten und die auf den Immobilien lastenden Kreditverbindlichkeiten nicht mehr bedienen konnten, drohte die Zwangsversteigerung. In dieser Situation bot ihnen die Beklagte, eine Wohnungsmaklergesellschaft mit Sitz in Oldenburg zunächst an, sie bei der Veräußerung ihrer Wohnungen zu unterstützen. Als die Maklerin bis zum Ablauf der Frist für einen freihändigen Verkauf der Wohnungen keine Käufer vermitteln konnte, bot sie selbst den Erwerb der Wohnungen an und erklärte gleichzeitig, diese an die Kläger wieder vermieten zu wollen. Die Kläger willigten ein und veräußerten die Wohnungen zu einem Preis von insgesamt 90.000 Euro. Der Erlös war gerade ausreichend, um die offenen Verbindlichkeiten tilgen zu können. Den freien Restbetrag von 27 Cent zahlte die Maklerin den Klägern in bar aus. Tatsächlich hatten die Wohnungen zum Zeitpunkt des Verkaufs nach den Feststellungen eines Sachverständigen einen Verkehrswert von 187.000 Euro.

Ist ein Preisabschlag von mehr als 50 Prozent Wucher?


Das Landgericht Oldenburg (Aktenzeichen 9 O 1195/14) nahm hier den seltenen Fall des Wuchers an und bejahte das Vorliegen von dessen Tatbestandsvoraussetzungen.

Zum einen stünden Leistung und Gegenleistung in einem besonders groben Missverhältnis, da der tatsächliche Wert der Eigentumswohnungen mehr als doppelt so hoch sei, wie der vereinbarte Kaufpreis.

Darüber hinaus habe die Maklerin eine auf einer Zwangslage beruhende besondere Schwächesituation der Kläger ausgenutzt. Sie habe gewusst, dass die Zwangsversteigerung der Immobilien unmittelbar bevorstehe und die Kläger damit rechneten, ihre Wohnungen zu verlieren und ausziehen zu müssen. Diese Zwangslage habe sich die Maklerin bewusst zunutze gemacht und den Erwerb der Eigentumswohnungen zu einem Kaufpreis von lediglich 90.000 € initiiert.

„Dass ihr dabei das auffällige Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung bekannt war, liegt bereits deshalb nahe, weil es sich bei der Verfügungsbeklagten um ein in der Region tätiges Immobilienunternehmen handelt, das im Bereich An- und Verkauf von Grundstücken und Eigentumswohnungen tätig ist“, urteilten die Richter. Hinzu komme, dass die Maklerin die Wohnungen innerhalb von nur etwa fünf Monaten zu einem Gesamtkaufpreis von 160.000 € weiterveräußert habe. Zudem habe die Beklagte den Klägern den Rückkauf der Wohnungen zu einem Kaufpreis von insgesamt 150.000 Euro angeboten, als die Kläger den Geschäftsführer der Maklerin auf die Umstände des beabsichtigten Weiterverkaufs ansprachen.

Praxistipp


Kommen Immobilienbesitzer in eine finanzielle Notlage und muss deshalb das Haus oder die Eigentumswohnung verkauft werden, ist schnell guter Rat gefragt, um die Situation bestmöglich zu bewältigen. Um nicht von windigen Geschäftemachern übers Ohr gehauen zu werden, empfiehlt es sich, einen Rechtsanwalt mit Schwerpunkt Kaufrecht oder Immobilienrecht zu konsultieren.


(Bu)


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 Stephan Buch
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