Dürfen Pflegedienste nur qualifiziertes Personal einsetzen?
13.08.2025, Redaktion Anwalt-Suchservice

Viele pflegebedürftige Menschen werden heute bei sich zu Hause gepflegt. Ambulante Pflegedienste leisten dazu einen großen Beitrag. Aber: Welche Anforderungen sind an deren Qualifikation zu stellen?
Dieser Rechtstipp behandelt folgende Themen:
Fall aus der Praxis: Pflegedienst kontra Auftraggeber Was steht im Pflegevertrag? Welche Werbeaussagen machte der Pflegedienst? Kundin kündigt Vertrag mit Pflegedienst Müssen nur Leistungen durch qualifiziertes Pflegepersonal bezahlt werden? Bundesgerichtshof: Ist die Qualifikation maßgeblich? Was ist eigentlich qualifiziertes Pflegepersonal? Kommt es bei der Bezahlung des Pflegedienstes in jedem Fall auf die Qualifikation an? Wie lässt sich das Urteil des BGH zusammenfassen? Praxistipp zur Vergütung von Pflegeleistungen Fall aus der Praxis: Pflegedienst kontra Auftraggeber
Ein behindertes Kind wurde zu Hause gepflegt. Der 2010 geborene Junge litt unter einer sogenannten Zwerchfellhermie und benötigte daher intensive Pflege. Die Familie war privat versichert. Die Versicherung sah eine häusliche Intensiv- und Behandlungspflege als erforderlich an. Sie wollte die Kosten dafür mit einem Stundensatz von 35 Euro übernehmen. Die Mutter des Jungen schloss daraufhin einen Vertrag mit einem privaten Pflegedienst ab. Dieser erbrachte bei dem Kind ambulante Pflegeleistungen.
Was steht im Pflegevertrag?
Der Pflegevertrag besagte, dass der Pflegedienst Leistungen nach Vereinbarung erbringen könne. Er sei durch einen Versorgungsvertrag gemäß § 72 des 11. Sozialgesetzbuches (SGB XI) zugelassen und dürfe mit den Pflegekassen abrechnen. Der Pflegedienst habe einen Vertrag nach § 132a Abs. 2 SGB V abgeschlossen. Daher könne er auch mit den gesetzlichen Krankenkassen abrechnen.
Laut Pflegevertrag rechnete der Pflegedienst Sachleistungen der gesetzlichen Krankenversicherung – soweit bewilligt – und der Pflegeversicherung oder anderer Sozialleistungsträger direkt mit diesen ab. Leistungen, die von den Versicherungen nicht bewilligt würden, müsse der Kunde jedoch selbst bezahlen. Auch dabei werde der mit den gesetzlichen Krankenkassen vereinbarte Vergütungssatz angewendet.
In diesem Fall waren Mutter und Kind privat versichert. Daher schrieb der Pflegedienst Rechnungen, welche die Mutter bei ihrer privaten Krankenkasse wie üblich einreichte.
Welche Werbeaussagen machte der Pflegedienst?
Der Pflegedienst machte auf seiner Homepage Werbung damit, dass das Vertrauen der Kunden durch qualifiziertes Personal zustande komme. Daher würden für dieses Unternehmen ausschließlich festangestellte examinierte Kinderkrankenpflegefachkräfte arbeiten, die ständig durch Fortbildungen weitergebildet würden.
Kundin kündigt Vertrag mit Pflegedienst
Allerdings war die Mutter des Jungen alles andere als zufrieden mit den Leistungen des Pflegedienstes. Sie kündigte den Vertrag und beauftragte einen anderen Pflegedienst. Das letzte halbe Jahr der Pflege durch den bisherigen Pflegedienst bezahlte sie nicht. Daraufhin wurde sie von diesem verklagt. Der Pflegedienst verlangte die ausstehende Vergütung von Juni bis November in Höhe von 40.445 Euro plus Zinsen plus vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten.
Die Mutter wollte nun mit eigenen Schadenersatz- bzw. Rückforderungsansprüchen aufrechnen. Der Pflegedienst habe kein ausreichend qualifiziertes Personal eingesetzt. Eine der Kinderkrankenschwestern sei nicht in Deutschland, sondern in Bulgarien ausgebildet worden. Das Gerichtsverfahren zog sich durch mehrere Instanzen. Das Landgericht und das Oberlandesgericht stellten sich zunächst auf die Seite des Pflegedienstes.
Müssen nur Leistungen durch qualifiziertes Pflegepersonal bezahlt werden?
Die Gerichte erläuterten, dass in der gesetzlichen Pflegeversicherung zwar das Prinzip gelte "Leistungen durch nicht qualifiziertes Personal müssen nicht vergütet werden". Dies gelte jedoch nicht für einen privaten, zivilrechtlichen Vertrag zwischen einem Pflegedienstleister und einer Privatperson. In diesem Fall sei nicht vereinbart worden, dass der Vergütungsanspruch bei unzureichender Qualifikation der Mitarbeiter entfallen solle.
Bei dem Pflegevertrag handle es sich rechtlich gesehen um einen Dienstvertrag. Bei diesem Vertragstyp könne der Kunde nicht – wie zum Beispiel bei einem Kauf- oder Werkvertrag – wegen mangelhafter Leistungen die Vergütung mindern. Auch habe die Mutter keinen Anspruch auf Schadensersatz, mit dem sie gegen die Bezahlungsforderung des Pflegedienstes aufrechnen könne.
Bundesgerichtshof: Ist die Qualifikation maßgeblich?
Der Rechtsstreit ging jedoch noch weiter. Wie sich zeigte, war der Bundesgerichtshof grundlegend anderer Ansicht: Der Vertrag zwischen Pflegedienst und Kundin spreche nur von den gesetzlichen Regelungen zur gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung und verweise auf das fünfte Sozialgesetzbuch.
Die Vertragspartner hätten die Grundsätze der gesetzlichen Regelungen als Standard vereinbart. Damit müssten hier die gleichen Maßstäbe angewendet werden, wie bei einer Abrechnung zwischen einem Pflegedienst und einer gesetzlichen Kranken- bzw. Pflegeversicherung.
Daher seien wie bei einer Abrechnung zwischen Pflegedienst und gesetzlicher Kasse nur Leistungen zu bezahlen, die durch Personal mit vorschriftsmäßiger Qualifikation erbracht würden. Nicht maßgeblich sei, ob das Personal tatsächlich einwandfrei gearbeitet habe.
Was ist eigentlich qualifiziertes Pflegepersonal?
Der Bundesgerichtshof verwies den Fall an die Vorinstanz zurück, um die genaue Qualifikation der eingesetzten Krankenschwestern zu klären. Es komme hier darauf an, ob diese "staatlich anerkannte Kinderkrankenpflegefachkräfte" seien. Dies könne auch auf eine im Ausland ausgebildete Fachkraft zutreffen, wenn ihre Qualifikation in Deutschland anerkannt werde. Hier hatte die bulgarische Pflegekraft ein Diplom einer Medizinischen Fachschule in Bulgarien mit der Fachrichtung "Kinderkran-
kenschwester" vorgelegt. Ob dieses in Deutschland anerkannt werde, müsse die Vorinstanz prüfen (Urteil vom 8.10.2015, Az. III ZR 93/15).
Kommt es bei der Bezahlung des Pflegedienstes in jedem Fall auf die Qualifikation an?
Durch Darstellungen dieses Falles in der Presse wurde teilweise der Eindruck erweckt, dass man Leistungen durch nicht (in Deutschland) qualifiziertes Pflegepersonal grundsätzlich nicht bezahlen müsse. Dies ist falsch. Bei privaten Pflegeverträgen kommt es ganz besonders auf den Vertragsinhalt an. In diesem Fall waren die Regeln der Abrechnung mit den gesetzlichen Kassen zugrunde gelegt worden. Daher konnte hier die Bezahlung verweigert werden, wenn das eingesetzte Personal nicht ausreichend qualifiziert war. Das mag bei einem anderen Vertragsinhalt jedoch völlig anders aussehen. Auch kann eine ausländische Ausbildung ebenfalls die Voraussetzungen erfüllen. Gerade im Pflegebereich wird oft osteuropäisches Personal eingesetzt – was durchaus etwas mit der Bezahlung dieser Tätigkeiten zu tun haben dürfte. Heute nehmen viele ambulante Pflegedienste aufgrund von Personalmangel gar keine neuen Patienten mehr an.
Wie lässt sich das Urteil des BGH zusammenfassen?
Die Kernaussagen des Urteils sind:
1. Bei der Abrechnung zwischen Pflegedienst und gesetzlicher Pflegeversicherung kann die Bezahlung davon abhängig gemacht werden, dass nur qualifiziertes Personal eingesetzt wird. Dies bedeutet: Personal mit staatlich anerkannter Ausbildung.
2. Es muss sich nicht zwingend um eine deutsche Ausbildung handeln. Auch eine Ausbildung im Ausland kann in Deutschland anerkannt sein.
3. Bei einem privaten Vertrag zwischen Pflegedienst und Patient ist der Vertragsinhalt entscheidend. Wird nur auf die gesetzlichen Regeln der gesetzlichen Pflegeversicherung verwiesen, gilt Nr. 1. Genauso gut kann aber auch etwas anderes vereinbart werden. Dann muss auch die Arbeit von nicht staatlich geprüften Pflegekräften bezahlt werden.
4. Bei all diesen Überlegungen zur Vergütung spielt die tatsächliche Qualität der Arbeit keine Rolle.
Praxistipp zur Vergütung von Pflegeleistungen
Abrechnungsfragen im Zusammenhang mit Pflegeverträgen sind oft kompliziert. Ein Fachanwalt für Sozialrecht kann Betroffene dazu beraten und in einem Rechtsstreit mit Pflegediensten oder Versicherungen vertreten.
(Bu)