Schuldunfähigkeit: Was sind die Folgen für Straftäter?

27.06.2025, Redaktion Anwalt-Suchservice
schuldunfähig,Unterbringung,Freispruch,Strafverfahren Schuldunfähigkeit bedeutet oft nicht Freiheit. © - freepik
Das Wichtigste in Kürze

1. Definition: Schuldunfähigkeit liegt vor, wenn ein Täter aufgrund einer psychischen Störung, einer tiefgreifenden Bewusstseinsstörung, Intelligenzminderung oder jugendlichen Alters das Unrecht seiner Tat nicht erkennen oder nicht nach dieser Einsicht handeln kann.

2. Rechtsfolge: Bei Schuldunfähigkeit entfällt die Strafbarkeit, es kann jedoch eine Maßregel der Besserung und Sicherung (z. B. Unterbringung in einer psychiatrischen Einrichtung) angeordnet werden.

3. Prüfung: Es wird immer individuell geprüft, ob die Voraussetzungen für Schuldunfähigkeit zum Tatzeitpunkt vorlagen; häufig durch psychiatrische Gutachten unterstützt.
Im Mai 2025 ging wieder einmal der Begriff der Schuldunfähigkeit durch die Presse – und zwar im Zusammenhang mit der obdachlosen Frau, die auf einem Bahnsteig des Hamburger Hauptbahnhofs mit einem Messer insgesamt 18 Reisende verletzt hatte, einige davon schwer. Die Täterin war polizeibekannt, hatte psychische Probleme und kam gerade aus einer mehrwöchigen Behandlung in einer psychiatrischen Klinik. Da von Anfang an vermutet wurde, dass sie schuldunfähig war, kam sie gar nicht erst in Untersuchungshaft, sondern wurde vom Haftrichter in ein psychiatrisches Krankenhaus eingewiesen. Was bedeutet eigentlich Schuldunfähigkeit, welches Verfahren erwartet schuldunfähige Straftäter und wann droht zum Beispiel eine Zwangseinweisung in eine Klinik?

Was bedeutet Schuldunfähigkeit?


Eine Voraussetzung für eine Bestrafung nach dem Strafgesetzbuch ist einerseits, dass der Täter den jeweiligen Tatbestand erfüllt hat, also zum Beispiel einen Diebstahl oder eine Körperverletzung begangen hat. Hinzu kommen muss aber immer, dass dies schuldhaft geschehen ist. Der Täter muss also mit Vorsatz gehandelt haben. Bei vielen Straftatbeständen ist auch eine fahrlässige Tat strafbar.

Es gibt jedoch Fälle, in denen jemand gar nicht fähig war, das Unrecht seiner Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln. Dann hat er oder sie nicht schuldhaft gehandelt und kann nicht für die Tat bestraft werden. Ein wichtiger Grundsatz des Strafrechts lautet nämlich: keine Strafe ohne Schuld. Das bedeutet allerdings nicht zwangsläufig, dass derjenige sofort wieder auf freien Fuß gesetzt wird und keine Konsequenzen zu befürchten hat. Das Gericht kann trotzdem Anordnungen treffen, um die Allgemeinheit vor ihm oder ihr zu schützen.

Wann ist jemand schuldunfähig?


Als schuldunfähig gilt man in Deutschland nach § 20 des Strafgesetzbuches (StGB), wenn einem bei der Tat die Fähigkeit fehlte, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln. Dies ist der Fall bei:

- Vorliegen einer krankhaften seelischen Störung,
- tiefgreifender Bewusstseinsstörung,
- verminderter Intelligenz,
- schwerer anderer seelischer Störung (z. B. einer Neurose).

Kinder unter 14 Jahren sind in Deutschland generell schuldunfähig bzw. nicht strafmündig.

Auch eine verminderte Schuldfähigkeit ist möglich. Diese hat dann nach § 21 StGB ein vermindertes Strafmaß zur Folge. Allerdings kann auch eine Unterbringung in einer psychiatrischen Klinik erfolgen, wenn von dem Betreffenden eine Gefahr ausgeht.

Ist man unter Alkohol- oder Drogeneinfluss schuldunfähig?


Als krankhafte seelische Störung gilt auch ein Vollrausch oder ein massiver Drogenrausch. Beispiel: Die Gerichte gehen ab 3,0 Promille Blutalkohol meist von Schuldunfähigkeit aus, bei vorsätzlichen Tötungsdelikten jedoch erst ab 3,3 Promille. Eine verminderte Schuldunfähigkeit wird oft zwischen 2 und 3 Promille angenommen.

Aber: Hier wird immer der Einzelfall berücksichtigt. Gibt es Anhaltspunkte für eine Sucht, wird das Gericht einbeziehen, dass der oder die Betreffende den Alkohol oder die Drogen gewohnt ist und deshalb die Schwelle für die Schuldunfähigkeit höher ansetzen.
Anhaltspunkte für eine Sucht können dazu führen, dass der Betreffende zwar nicht im Gefängnis, aber dafür in einer geschlossenen Entzugsklinik landet.

Wichtig: Wer nun glaubt, sich nur ausreichend betrinken zu müssen, um straflos Straftaten begehen zu können, irrt sich: Genau dies wird nach § 323a StGB ebenfalls bestraft. Das Delikt nennt sich "Vollrausch". Strafbar macht sich, wer sich vorsätzlich oder fahrlässig betrinkt oder berauscht und in diesem Zustand eine Straftat begeht. Ist der oder die Betreffende deshalb schuldunfähig, droht ihm wegen des Vollrausches trotzdem eine Geldstrafe oder eine Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren.

Kommen Schuldunfähige in Untersuchungshaft?


In Untersuchungshaft kommen Personen, die dringend einer Straftat verdächtig sind und bei denen ein Haftgrund vorliegt. Dies kann zum Beispiel Fluchtgefahr oder Verdunkelungsgefahr sein. Aber auch bei schweren Straftaten generell droht Untersuchungshaft zur Sicherung des Strafverfahrens.

Liegt diese Situation nun bei einer voraussichtlich schuldunfähigen Person vor, wird der Haftrichter keinen Untersuchungshaftbefehl verhängen, sondern einen sogenannten Unterbringungsbefehl. Dieser ist in § 126a der Strafprozessordnung (StPO) geregelt. Der Beschuldigte wird dann vorläufig in einem psychiatrischen Krankenhaus oder – bei Suchtkrankheiten – in einer Entziehungsanstalt untergebracht, bis eine endgültige gerichtliche Entscheidung stattfinden kann.

Voraussetzung dafür ist, dass es dringende Gründe für die Annahme gibt, dass jemand im Zustand der Schuldunfähigkeit oder verminderten Schuldfähigkeit gehandelt hat und daher eine längerfristige Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder einer Entziehungsanstalt angeordnet werden wird. Außerdem muss dies im Interesse der öffentlichen Sicherheit erforderlich sein, von dem Betreffenden muss also eine Gefahr ausgehen.

Beispiel: Die oben erwähnte psychisch kranke Frau aus Hamburg wurde nach ihrem Messerangriff auf Bahnreisende nicht in Untersuchungshaft genommen. Stattdessen erließ der Haftrichter einen Unterbringungsbefehl für eine Einweisung in eine psychiatrische Klinik.

Wie geht es nach der vorläufigen Unterbringung weiter?


Zeigt sich schon im Stadium des Ermittlungsverfahrens, dass der Täter oder die Täterin voraussichtlich schuldunfähig ist und mit der Unterbringung in einer Einrichtung gerechnet werden muss, findet ein anderes Verfahren statt als üblich. Es wird dann keine Anklage erhoben, sondern ein sogenanntes Sicherungsverfahren eröffnet. Die Staatsanwaltschaft beantragt beim Gericht, eine sogenannte Maßregel der Besserung und Sicherung zu verhängen.

Dies kann zum Beispiel die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt oder einer psychiatrischen Klinik sein. Auch hier gibt es ein Hauptverfahren vor Gericht, in dem ein Gutachter hinzugezogen wird. Auch dieses Verfahren endet mit einem Gerichtsurteil, in dem jedoch nur eine Maßregel wie die Unterbringung verhängt werden kann.

Wie lange kann eine Unterbringung erfolgen?


Die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt kann bis zu zwei Jahre dauern (§ 67d StGB). Die Dauer der Unterbringung in einer psychiatrischen Klinik ist grundsätzlich nicht zeitlich begrenzt. Die Unterbringung soll jedoch aufgehoben werden, sobald die Voraussetzungen dafür nicht mehr vorliegen. Nach sechs Jahren gilt die Unterbringung grundsätzlich als nicht mehr verhältnismäßig, wenn von dem Betreffenden keine Gefahr für andere mehr ausgeht (§ 67d Abs. 6 StGB).

Wann kommt es zu einem Freispruch wegen Schuldunfähigkeit?


Es gibt immer wieder Fälle, in denen der Zustand der Schuldunfähigkeit nicht permanent ist. Gibt es keine Gründe für eine Unterbringung in einer psychiatrischen Klinik oder einer Entziehungsanstalt, erfolgt ein Freispruch ohne weitere Folgen.

Beispiel: Das Amtsgericht Olpe befasste sich mit dem Fall einer Frau, die in Suizidabsicht auf dem Pannenstreifen der Autobahn angehalten hatte, ausgestiegen war und dann direkt absichtlich vor ein LKW-Gespann gelaufen war. Dieses nahm eine Vollbremsung vor, woraufhin das hinter ihm fahrende LKW-Gespann ihm auffuhr. Die Frau wurde verletzt, überlebte aber. Es gab keine weiteren Verletzten, die Autobahn verwandelte sich jedoch in ein Trümmerfeld und der Sachschaden lag bei 300.000 Euro.

Hier wurde zunächst ein normales Strafverfahren wegen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr eingeleitet. Das Gericht kam zu dem Schluss, dass die Frau zur Tatzeit schuldunfähig gewesen sei. Ein Gutachter bescheinigte ihr eine komplexe psychische Erkrankung und eine schwere depressive Störung. Da sie das Unrecht ihrer Tat nicht hatte erkennen können, wurde sie freigesprochen.

Das Gericht prüfte jedoch auch, ob ihre Unterbringung in einer psychiatrischen Klinik anzuordnen sei. Es kam zu dem Ergebnis, dass dies nicht der Fall wäre: Sie habe sich nach der Tat über mehrere Monate in eine stationäre fachpsychiatrische Behandlung begeben. Anschließend habe sie sich in ambulanter psychiatrischer Nachbetreuung befunden. Die behandelnde Psychiaterin bestätigte vor Gericht, dass ihr Zustand sich stabilisiert habe. Das Gericht ging daher davon aus, dass von der Frau mittlerweile keine Gefahr für andere mehr ausginge. Daher sah es von einer Unterbringung ab (Urteil vom 29.3.2022, Az. 50 Ls-67 Js 938/20-21/21).

Praxistipp zur Schuldunfähigkeit


Dem statistischen Bundesamt zufolge lautete im Jahr 2021 das Urteil vor bundesdeutschen Strafgerichten insgesamt 1.147 Mal auf schuldunfähig. In 125 dieser Fälle wurde keine Unterbringung angeordnet. Es zeigt sich: Meist werden Personen als schuldunfähig behandelt, bei denen eine ernsthafte psychische Störung oder eine Suchtkrankheit vorliegt und die Gerichte von einer Gefahr für die Allgemeinheit ausgehen. Wie sinnvoll es ist, sich als Angeklagter in einem Strafverfahren auf Schuldunfähigkeit zu berufen, hängt von der individuellen Situation ab. Dies sollte gründlich mit dem Strafverteidiger besprochen werden. Ein Fachanwalt für Strafrecht ist hier der beste Ansprechpartner.

(Wk)


 Günter Warkowski
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