Sturz im Bus: Wer haftet für den Schaden?

10.10.2024, Redaktion Anwalt-Suchservice
Bus,Unfall,Verletzung,Sturz,Fahrgast Wer haftet, wenn man im Bus stürzt und sich verletzt? © - freepik
Das Wichtigste in Kürze

1. Sorgfaltspflicht des Fahrgastes: Fahrgäste öffentlicher Verkehsmittel, wie bspw. von Bussen, müssen darauf achten, dass sie einen sicheren Platz oder sicheren Halt haben, um sich vor Stürzen zu schützen.

2. Pflichten von Busfahrern: Busfahrer müssen - insbesondere beim Anfahren - nicht prüfen, ob alle Passagiere bereits einen Sitzplatz oder einen sicheren Halt gefunden haben. Eine Ausnahme gilt bei offensichtlich behinderten und hilfsbedürftigen Fahrgästen.

3. Plötzliches Bremsen: Bremst ein Bus plötzlich heftig ab und kommt es deshalb zum Sturz eines Fahrgastes, haften Busgesellschaft und der Busfahrer, wenn das Abbremsen nicht im normalen Betrieb, sondern als Folge eines Verkehrsverstoßes des Busfahrers erfolgt ist.
Auch Fahrer von Bussen und Straßenbahnen müssen manchmal eine Vollbremsung machen. Beispielsweise, weil ihnen andere Verkehrsteilnehmer oder Fußgänger in die Quere kommen. Darauf sind stehende Fahrgäste oft nicht eingestellt – für sie besteht Sturzgefahr. Allerdings ist auch beim ruckartigen Anfahren schon mancher Fahrgast gestürzt. Denn: Viele Busfahrer fahren los, bevor sich alle Fahrgäste einen Platz oder einen Punkt zum Festhalten gesucht haben. Dabei ist die Verletzungsgefahr für ältere Mitmenschen besonders groß.

Wer haftet nach einem Sturz im Bus?


Schnell stellt sich nach einem Sturz im Bus die Frage, ob das Verkehrsunternehmen bzw. die Busgesellschaft für das Fahrverhalten ihres Mitarbeiters haftet und Schadensersatz und Schmerzensgeld zahlen muss. Oder gehören ruckartiges Bremsen und Anfahren zum Alltagsbetrieb eines öffentlichen Verkehrsmittels, sodass sich der Fahrgast darauf einstellen muss?

Oft bleiben verletzte Fahrgäste auf ihrem Schaden sitzen. Die Gerichte sind nämlich der Ansicht, dass Passagiere öffentlicher Verkehrsmittel selbst dafür verantwortlich sind, sich einen sicheren Platz oder sicheren Halt zu suchen.

So hat zum Beispiel das Landgericht Bonn entschieden. In diesem Fall war eine sitzende Mitfahrerin, die in einem Buch las, bei einer Vollbremsung des Busses mit dem Kopf gegen eine Haltestange geprallt. Aus Sicht des Gerichts hatte sich die Frau wegen ihrer mangelnden Aufmerksamkeit nicht ausreichend festgehalten. Daher habe sie den Unfall zum überwiegenden Teil selbst verschuldet. Obendrein übertrugen auch die Beförderungsbedingungen des Busunternehmens in solchen Fällen den Fahrgästen die Verantwortung. Der Busfahrer müsse auf den Verkehr achten und könne sich gar nicht darum kümmern, ob alle Fahrgäste einen sicheren Platz gefunden hätten (Urteil vom 19.9.2012, Az. 5 S 43/12).

Worauf müssen Busfahrer beim Anfahren achten?


Auch andere Gerichte haben bestätigt, dass Busfahrer nicht auf die Fahrgäste achten müssen. Insbesondere brauchen sie nicht vor dem Anfahren zu prüfen, ob schon alle Passagiere einen Sitzplatz oder einen sicheren Halt gefunden haben. Das Landgericht Osnabrück hat entschieden, dass der Fahrer darauf vertrauen darf, dass seine Passagiere eigenständig einen sicheren Platz finden (Urteil vom 11.8.2006, Az. 5 O 1439/06). Auch das Oberlandesgericht Bremen sah keine Pflichtverletzung des Fahrers darin, dass sich dieser nicht rückversichert hatte, dass alle Fahrgäste sicher standen und saßen und keine Sturzgefahr bestand (Urteil vom 9.5.2011, Az. 3 U 19/10). In diesem Fall war der Fahrer allerdings ganz normal angefahren und die gestürzte Person war nicht offensichtlich hilfsbedürftig gewesen.

Müssen Busfahrer auf behinderte und hilfsbedürftige Fahrgäste Rücksicht nehmen?


Allerdings gibt es auch Ausnahmen vom Grundsatz der Eigenverantwortung der Fahrgäste. So ergibt sich ja schon aus dem letztgenannten Urteil, dass Busfahrer auch nicht komplett ignorieren dürfen, was hinter ihnen passiert. Ist ein Fahrgast offensichtlich hilfebedürftig, dürfen sie nicht einfach losfahren. Das Bremer Urteil besagt allerdings auch, dass es für eine offensichtliche Hilfebedürftigkeit nicht ausreicht, wenn der Fahrgast schon älter ist.

In einem anderen Fall ließ das Oberlandesgericht Saarbrücken ein Busunternehmen nach einem Sturz haften. Der Fahrgast sei erkennbar schwerbehindert gewesen und die Gefahr eines Sturzes sei offensichtlich gewesen (Urteil vom 3.4.2014, Az. 4 U 484/11). In solchen Fällen darf der Busfahrer also tatsächlich erst losfahren, wenn der Fahrgast einen sicheren Halt oder Sitzplatz gefunden hat.

Wie viel Zeit müssen Fahrgäste im Bus zum Hinsetzen haben?


In Berliner Bussen ähnelt die Platzsuche der "Reise nach Jerusalem": Schnelles Hinsetzen ist angesagt. Das Berliner Kammergericht gesteht Fahrgästen eine Zeitspanne von fünf bis acht Sekunden nach dem Schließen der Bustüren zu, um sich einen sicheren Platz zu suchen. Der Busfahrer darf nach Ablauf dieser Zeitspanne davon ausgehen, dass alle sicher untergebracht sind und dass er auch ruckartig losfahren kann. Mit dieser Argumentation wies das Gericht die Klage einer 80-jährigen Frau auf Schadensersatz ab, die beim Anfahren einer Straßenbahn gestürzt war und sich verletzt hatte (Urteil vom 7.5.2012, Az. 22 U 251/11).

Muss der Bus mit dem Losfahren warten, bis die Fahrkarte entwertet ist?


In manchen Städten müssen die Fahrgäste ihre Fahrkarte in einem Automaten im Bus selbst entwerten. Ohne Entwertungsstempel fährt man schwarz. So ist es zum Beispiel in München. Das Amtsgericht München hat entschieden, dass ein Busfahrer mit dem Losfahren zumindest so lange warten muss, bis die Fahrgäste ihre Fahrkarten entwertet haben. Wenn der Bus überfüllt ist, muss der Fahrer den Fahrgästen, wenn nötig, mehr Zeit geben, um einen sicheren Platz oder Halt zu finden (Urteil vom 3.2.2009, Az. 343 C 27136/08). Das Amtsgericht sprach einem Bus-Fahrgast, der gestürzt war, ein Schmerzensgeld von 100 Euro wegen einer Kopfwunde zu.

Wer haftet, wenn der Bus für einen Fußgänger bremsen muss?


Eine gute Zusammenfassung der Überlegungen der verschiedenen Gerichte enthält ein Urteil des Münchner Oberlandesgerichts von 2019. Damals war ein Arbeitnehmer auf dem Rückweg von der Arbeit in einen Bus gestiegen. Als er noch auf dem Weg zum Fahrkartenentwerter war, fuhr der Bus auf normale Weise an und in eine Kreuzung ein. Dort lief jedoch ein Fußgänger vor den Bus. Der Busfahrer machte eine Vollbremsung. Dadurch stürzte der Fahrgast und erlitt einen komplizierten Bruch. Letztlich war eine Schultervollprothese erforderlich. Hier trat als Kläger nicht der Fahrgast auf, sondern die Berufsgenossenschaft, die den Schaden gezahlt hatte, weil es ein Unfall auf dem Arbeitsweg war. Die Schadenssumme lag bei über 121.000 Euro, da diverse Krankenhausaufenthalte und Operationen angefallen waren.

Auch hier betonte das Gericht, dass es Sache der Fahrgäste sei, sich einen sicheren Platz zu suchen. Der Busfahrer müsse sich nur bei erkennbar schwer behinderten Fahrgästen vor dem Anfahren vergewissern, dass diese nicht gefährdet seien. Fahrgäste müssten mit ruckartigen Bewegungen und plötzlichen Bremsmanövern rechnen.

Trotzdem erlegte das Gericht dem Busunternehmen eine Haftung in Höhe von 20 Prozent des Schadens auf. Dies begründete es mit der Betriebsgefahr des Busses – also der Gefahr, die allein dadurch entsteht, dass man ein Kraftfahrzeug auf öffentlichen Straßen betreibt. Der Busfahrer hatte sich laut Gericht nichts zuschulden kommen lassen – obwohl ein Streitpunkt des Verfahrens war, ob er rechtzeitiger hätte bremsen können (Urteil vom 20.12.2019, Az. 10 U 3110/17).

Wer haftet bei einem Fahrfehler des Busfahrers?


Das Oberlandesgericht Schleswig beschäftigte sich mit dem Fall einer rüstigen 82-jährigen Frau, die an einem regnerischen Winterabend per Bus nach Hause gefahren war. Kurz vor ihrer Haltestelle stand sie von ihrem Sitzplatz auf und hielt sich an der Haltestange nahe der Tür fest. Vor der Haltestelle musste der Bus noch einmal links abbiegen. Dabei übersah der Busfahrer eine Fußgängerin. Er bemerkte sie erst in letzter Sekunde und leitete eine Vollbremsung ein. Die Fußgängerin blieb unverletzt, aber die alte Dame verlor den Halt und stürzte. Die Folge waren mehrere Knochenbrüche. Sie musste auf Dauer im Pflegeheim untergebracht werden. Die Verletzte verklagte die Busgesellschaft und den Busfahrer.

Das Gericht entschied, dass die Busgesellschaft und der Busfahrer als Gesamtschuldner auf Schadensersatz haften müssten. Die Klägerin kann sich also aussuchen, von wem sie das Geld verlangt. Die Vollbremsung sei hier nicht im normalen Betrieb erfolgt, sondern als Folge eines Verkehrsverstoßes. Busgesellschaft und Fahrer müssten in diesem Fall für die reine Betriebsgefahr und die Folgen des Fahrfehlers haften. Allerdings musste sich die alte Dame ein erhebliches Mitverschulden anrechnen lassen: Sie habe sich nur mit einer Hand festgehalten, weil sie Tasche und Regenschirm in der anderen Hand hielt. Sie hätte sich aber laut Gericht gerade in ihrem Alter mit beiden Händen festhalten müssen, um ein mögliches ruckartiges Fahrverhalten auszugleichen (OLG Schleswig, Urteil vom 25.4.2023, Az. 7 U 125/22).

Praxistipp zum Sturz im Bus


Eine Haftung des Busunternehmens ist nach einem Sturz im Bus nicht ausgeschlossen. Hier kommt es aber sehr auf den Einzelfall an. Ein Fachanwalt für Verkehrsrecht kann in Ihrem individuellen Fall für Sie prüfen, ob ein Vorgehen vor Gericht Aussicht auf Erfolg hat.

(Ma)


 Ulf Matzen
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