Sturz im Bus: Wer haftet?

05.05.2021, Redaktion Anwalt-Suchservice / Lesedauer ca. 4 Min. (10910 mal gelesen)
Bus,Unfall,Verletzung,Sturz,Fahrgast Wer haftet, wenn man im Bus stürzt und sich verletzt? © - freepik

Wenn ein Fahrgast in einem öffentlichen Verkehrsmittel stürzt, haftet das Nahverkehrsunternehmen meist nicht. Aber: Es gibt Ausnahmen, in denen Gerichte Fahrgästen Schadensersatz zugestanden haben.

Auch Fahrer von Bussen und Straßenbahnen müssen gelegentlich eine Vollbremsung machen. Zum Beispiel, weil ihnen andere Verkehrsteilnehmer oder Fußgänger in die Quere kommen. Stehende Fahrgäste sind darauf oft nicht eingestellt. Dadurch besteht Sturzgefahr. Allerdings ist auch beim ruckartigen Anfahren schon mancher gestürzt. Häufig fährt ein Bus nämlich los, bevor sich alle Fahrgäste einen Platz oder einen Punkt zum Festhalten gesucht haben. Dabei besteht besondere Verletzungsgefahr für ältere Mitmenschen.
Nach einem Sturz im Bus stellt sich schnell die Frage, ob die Busgesellschaft für das Fahrverhalten ihres Mitarbeiters einstehen und Schadensersatz und Schmerzensgeld zahlen muss. Oder gehören ruckartiges Bremsen und Anfahren zum Alltagsbetrieb eines öffentlichen Verkehrsmittels, auf das sich der Fahrgast einzustellen hat?

Grundsatz: Der Fahrgast trägt den Schaden


Die Faustregel lautet, dass Fahrgäste auf ihrem Schaden sitzen bleiben. Die Gerichte stehen nämlich auf dem Standpunkt, dass Passagiere öffentlicher Verkehrsmittel selbst dafür verantwortlich sind, sich einen sicheren Platz oder sicheren Halt zu suchen.

Dementsprechend hat das Landgericht Bonn entschieden (Urteil vom 19.9.2012, Az. 5 S 43/12). Eine sitzende Mitfahrerin, die in einem Buch las, war bei einer Vollbremsung des Busses mit dem Kopf gegen eine Haltestange geprallt. Für das Gericht stand fest: Sie hatte sich wegen ihrer mangelnden Aufmerksamkeit nicht ausreichend festgehalten. Daher hatte sie den Unfall zum überwiegenden Teil selbst verschuldet. Auch die Beförderungsbedingungen des Busunternehmens wiesen in solchen Fällen die Verantwortung den Fahrgästen zu. Der Fahrer jedenfalls müsse auf den Verkehr achten und könne sich gar nicht darum kümmern, ob alle Fahrgäste einen sicheren Platz gefunden hätten.

Was muss der Fahrer vor dem Anfahren beachten?


Auch andere Gerichte haben bestätigt, dass Busfahrer nicht auf die Fahrgäste achten und insbesondere nicht vor dem Anfahren überprüfen müssen, ob alle schon einen Sitzplatz oder einen sicheren Halt gefunden haben. So hat das Landgericht Osnabrück entschieden, dass der Fahrer darauf vertrauen darf, dass seine Passagiere eigenständig einen sicheren Platz finden (Urteil vom 11.8.2006, Az. 5 O 1439/06). Und auch das Oberlandesgericht Bremen sah auf Seiten des Fahrers keine Pflichtverletzung, wenn dieser sich nicht rückversichert, dass alle Fahrgäste sicher stehen und sitzen und keine Sturzgefahr besteht (Urteil vom 9.5.2011, Az. 3 U 19/10). In diesem Fall war der Fahrer allerdings auch ganz normal angefahren und die gestürzte Person war nicht offensichtlich hilfsbedürftig gewesen.

Welche Ausnahmen gibt es?


Aus dem letztgenannten Urteil ergibt sich bereits, dass der Fahrer auch nicht komplett ignorieren darf, was hinter ihm passiert. Wenn ein Fahrgast offensichtlich hilfebedürftig ist, darf er nicht einfach losfahren. Aus dem Bremer Urteil ergibt sich allerdings auch, dass es für eine offensichtliche Hilfebedürftigkeit nicht ausreicht, wenn der Fahrgast schon älter ist.

Das Oberlandesgericht Saarbrücken ließ eine Busgesellschaft nach einem Sturz haften. Der Fahrgast sei erkennbar schwerbehindert gewesen und es habe offensichtlich die Gefahr eines Sturzes bestanden (Urteil vom 3.4.2014, Az. 4 U 484/11). In derartigen Fällen darf der Busfahrer also tatsächlich erst losfahren, wenn der Fahrgast einen sicheren Halt oder Sitzplatz gefunden hat.

Fünf bis acht Sekunden müssen reichen


In Berlin ist schnelles Hinsetzen angesagt, ähnlich der "Reise nach Jerusalem". Das Berliner Kammergericht gesteht Fahrgästen generell eine Zeitspanne von fünf bis acht Sekunden nach dem Schließen der Türen zu, um sich einen sicheren Platz zu suchen. Nach Ablauf dieser Zeit dürfe der Fahrer davon ausgehen, dass alle sicher untergebracht seien und könne losfahren. Das Gericht wies damit die Klage einer 80-jährigen Frau auf Schadensersatz ab. Diese war beim Anfahren einer Straßenbahn gestürzt und hatte sich verletzt (Urteil vom 7.5.2012, Az. 22 U 251/11).

Warten, bis die Fahrkarte entwertet ist?


Mancherorts müssen die Fahrgäste ihre Fahrkarte in einem Automaten im Bus selbst entwerten. Ohne Entwertungsstempel fährt man schwarz. Dies gilt beispielsweise in München. Das Amtsgericht München hat entschieden, dass ein Busfahrer mit dem Losfahren zumindest solange warten muss, bis die Fahrgäste ihre Fahrkarten entwertet haben. Ist der Bus überfüllt, muss der Fahrer den Fahrgästen, wenn nötig, mehr Zeit geben, um einen sicheren Platz oder Halt zu finden (Urteil vom 3.2.2009, Az. 343 C 27136/08). In diesem Fall sprach das Gericht dem Fahrgast ein Schmerzensgeld von 100 Euro wegen einer Kopfwunde zu.

Vollbremsung für Fußgänger: Busunternehmen haftet teilweise


Eine gute Zusammenfassung der Erwägungen der verschiedenen Gerichte enthält ein Urteil des Münchner Oberlandesgerichts von 2019. In diesem Fall war ein Arbeitnehmer auf dem Rückweg von der Arbeit in einen Bus gestiegen. Während er auf dem Weg zum Fahrkartenentwerter war, fuhr der Bus auf normale Weise an und in eine Kreuzung ein. Auf dieser lief jedoch ein Fußgänger vor den Bus. Der Busfahrer leitete eine Vollbremsung ein. Der Fahrgast stürzte und erlitt einen komplizierten Bruch, der schließlich eine Schultervollprothese erforderlich machte. Als Kläger trat hier nicht der Fahrgast auf, sondern die Berufsgenossenschaft, die den Schaden gezahlt hatte, weil es ein Unfall auf dem Arbeitsweg war. Es ging dabei um eine Schadenssumme von über 121.000 Euro für diverse Krankenhausaufenthalte und Operationen.

Das Gericht betonte auch hier, dass es Sache der Fahrgäste sei, sich einen sicheren Platz zu suchen. Nur bei erkennbar schwer behinderten Fahrgästen müsse der Fahrer sich vor dem Anfahren vergewissern, dass diese nicht gefährdet seien. Fahrgäste müssten ihrerseits mit ruckartigen Bewegungen und plötzlichen Bremsmanövern rechnen.

Trotzdem wurde hier dem Busunternehmen eine Haftung in Höhe von 20 Prozent des Schadens auferlegt. Dies begründete das Gericht mit der Betriebsgefahr des Busses - also der Gefahr, die allein dadurch entsteht, dass man ein Kraftfahrzeug auf öffentlichen Straßen betreibt. Ein Verschulden beim Busfahrer lag aus Sicht des Gerichts nicht vor - obwohl ein Streitpunkt des Verfahrens war, ob dieser rechtzeitiger hätte bremsen können (Urteil vom 20.12.2019, Az. 10 U 3110/17).

Praxistipp


Nach einem Sturz im Bus ist eine Haftung des Busunternehmens nicht ausgeschlossen. Es kommt aber sehr auf den Einzelfall an. Ein Fachanwalt für Verkehrsrecht kann im Ernstfall für Sie prüfen, ob ein Vorgehen vor Gericht Aussicht auf Erfolg hat.

(Ma)


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 Ulf Matzen
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