Gaffen und Filmen am Unfallort: Wie mache ich mich strafbar?

18.01.2024, Redaktion Anwalt-Suchservice
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Unfall,Gaffen,Filmen,Handy,Strafe Gaffer behindern oft Rettungskräfte. Dies kann strafrechtliche Folgen haben. © Rh - Anwalt-Suchservice
Das Wichtigste in Kürze

1. Langsam Fahren auf Gegenspur: Gaffen kann als Ordnungswidrigkeit geahndet werden, nämlich nach § 3 Abs. 2 der Straßenverkehrsordnung (StVO) wegen Verkehrsbehinderung durch langsamen Fahren ohne Grund.

2. Behinderung von Helfern: Wer Personen, die nach einem Unfall Hilfe leisten, behindert, begeht eine Straftat, die mit einer Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft wird ( § 323c Abs. 2 StGB).

3. Fotografieren und Filmen: Gaffer, die Menschen in einer hilflosen Lage fotografieren und so ihre Hilflosigkeit zur Schau stellen, müssen gemäß § 201a Abs. 1 Nr. 2 StGB mit einer Geldstrafe oder einer Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren rechnen.
Rettungsarbeiten nach Verkehrsunfällen werden oft durch Gaffer und Handyfilmer behindert. Die Schaulustigen fahren filmend im Schritttempo an Unfallstellen vorbei und verursachen Staus, in denen Rettungsfahrzeuge stecken bleiben. Manchmal steigen Sie sogar aus, um mit dem Handy aus der Nähe zu filmen. Zum Teil werden sogar Feuerwehrleute oder Rettungssanitäter angepöbelt, weil diese beim Filmen im Weg sind oder, weil sie die Gaffer auffordern, zur Seite zu gehen. Die Gaffer verstehen das nicht – ihnen geht es einzig darum, möglichst drastische Bilder von blutenden Verletzten zu bekommen, um diese dann online zu stellen. Rettungskräfte und Polizei lassen sich dieses Verhalten jedoch mittlerweile nicht mehr gefallen. Zunehmend werden Gaffer und Handyfilmer zur Verantwortung gezogen, und immer öfter ist dann auch einfach mal das Smartphone weg.

Verkehrsunfall: Hirn aus – Kamera an


Bei sehr vielen schweren Unfällen behindern Unfallgaffer die Arbeit von Polizei und Rettungsdiensten. Oft geht es dabei gar nicht so sehr um die Befriedigung der eigenen Schaulust. Wichtiger ist der Wunsch, mit dem Leid anderer Leute die Klick-Zahlen der eigenen Internetpräsenz in die Höhe zu fahren. Dass es sich hier um echte Menschen handelt, deren Leid angegafft und gefilmt wird, und nicht um Schauspieler im Fernsehen oder Figuren in einem PC-Spiel, scheinen die wenigsten zu realisieren. Ebenso wenig, dass sie sich selbst auch jederzeit in der Rolle des Unfallopfers wiederfinden können und dann auf die zuvor beschimpften und in ihrer Arbeit behinderten Rettungskräfte angewiesen sind.

Welche Gefahren verursachen Gaffer bei Unfällen?


Hier einige Beispiele: Im März 2016 hatte aus der Autobahn A1 ein tödlicher Verkehrsunfall stattgefunden. Ein Transporter war auf einen LKW aufgefahren. Die Autobahn wurde voll gesperrt. Auf der Gegenfahrbahn kam es zu einem weiteren Unfall, weil ein Gaffer auf der Überholspur Schritttempo fuhr, um besser filmen zu können. Dabei wurden drei Fahrzeuge zerstört und es gab zwei Verletzte. Eine Person musste mit einem Rettungshubschrauber in die Klinik gebracht werden. Dem Gaffer geschah nichts.

Zu einem schweren Auffahrunfall mehrerer LKW kam es am 18. Juli 2016 auf der A1 bei Köln. Die Feuerwehr brauchte zwei Stunden, um einen schwer verletzten Fahrer aus dem LKW-Wrack zu schneiden. Es gab mehrere Schwerverletzte. Die Polizei hatte Sichtschutzwände aufgebaut, um die Verletzten vor Blicken zu schützen. Daher fuhren die Gaffer noch langsamer, um an den Sichtschutzwänden vorbei zu fotografieren. Hier wurden sie allerdings selbst von der Polizei fotografiert.

Im November 2017 kippte auf der A3 ein Kieslaster um. Mehrere LKW kollidierten miteinander. Drei LKW-Fahrer wurden getötet. Dies hielt Schaulustige nicht davon ab, im Schritttempo an der Unfallstelle vorbeizufahren und zu filmen. Die Feuerwehr vertrieb die Gaffer durch Bespritzen mit einem Löschrohr. Die Polizei leitete Verfahren gegen mehrere Fahrer ein.

Im Dezember 2017 geriet in Gelsenkirchen das Auto eines 20-Jährigen ins Gleisbett der Straßenbahn und prallte gegen einen Mast. Ersthelfer und Rettungskräfte kümmerten sich um die beiden schwerverletzten Insassen. Allerdings wurden die Rettungsmaßnahmen massiv behindert, weil sich eine ganze Menschenmenge von per Handy filmenden und fotografierenden Gaffern bildete und den Rettern im Weg herumstand. Die Polizei musste mehrere Platzverweise aussprechen, den uneinsichtigsten Gaffer nahm sie mit und erstattete Strafanzeige.

Was ist am Gaffen bei Verkehrsunfällen problematisch?


Wenn bei einem Verkehrsunfall Personen verletzt werden, entscheiden oft Minuten über Leben und Tod. Denn: Die Rettungskräfte müssen erst einmal zur Unfallstelle vordringen, sich dann Zugang zu den womöglich eingeklemmten Unfallopfern verschaffen, die Situation einschätzen und dann geeignete Maßnahmen einleiten. Häufig müssen verbogene Blechteile weggeschnitten, Blutungen gestillt und Wiederbelebungsmaßnahmen eingeleitet werden. Für die Unfallopfer können Verzögerungen bei der Anfahrt der Rettungskräfte und bei deren Arbeit vor Ort tödlich sein. Zu Verzögerungen kommt es aber unvermeidlich, wenn Schritttempo fahrende Autoschlangen filmend und fotografierend an der Unfallstelle vorbeischleichen, andere Schaulustige auf dem Pannenstreifen wild parken und Fußgänger den Rettungskräften im Weg stehen. Wenn es durch Gaffer zu weiteren Unfällen kommt, wird weiteres Rettungspersonal gebunden. Nicht zuletzt ist das Fotografieren und Filmen der Unfallopfer ein schwerer Eingriff in deren Persönlichkeitsrecht. Oder möchte man sich selbst nach einem Unfall etwa auf YouTube wiederfinden?

Wie wird Gaffen und Filmen bei Verkehrsunfällen bestraft?


Gaffen kann je nach Situation unterschiedlich bestraft werden. Es kann zum Beispiel eine Ordnungswidrigkeit sein, nämlich nach § 3 Abs. 2 der Straßenverkehrsordnung (StVO): Verkehrsbehinderung durch grundloses langsam Fahren. Das Bußgeld beträgt 20 Euro. Wenn jedoch andere Leute dadurch gefährdet werden, etwa durch mangelnde Bremsbereitschaft oder zu geringen Seitenabstand, erhöht es sich auf 80 Euro und einen Punkt in Flensburg (bei Unfall: 100 Euro und ein Punkt). Gaffen kann aber auch eine Straftat sein. Dann bleibt es nicht bei so geringen Beträgen.

Wie wird die Behinderung von Rettungskräften und Ersthelfern bestraft?


Seit Mai 2017 ist die Behinderung von Personen, die nach einem Unfall oder Unglücksfall Hilfe leisten oder Hilfe leisten wollen, eine Straftat. Dies gilt unabhängig davon, ob es sich um professionelle Rettungskräfte handelt oder um Laien, die Erste Hilfe leisten. Wer diese Personen behindert, ihnen im Weg herumsteht oder sie anpöbelt, riskiert eine Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder eine Geldstrafe. Festgelegt ist dies in § 323c Abs. 2 StGB.

Wie wird das Fotografieren und Filmen von Unfallopfern bestraft?


Wer Menschen in einer hilflosen Lage fotografiert und so ihre Hilflosigkeit zur Schau stellt, muss gemäß § 201a Abs. 1 Nr. 2 StGB mit einer Geldstrafe oder einer Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren rechnen. Dazu reicht das reine Fotografieren von Verletzten aus, das Bild muss also nicht online gestellt werden.

Wann verstößt ein Gaffer gegen das Recht am eigenen Bild?


Jeder Mensch hat das Recht, über Bilder von sich selbst auch selbst zu verfügen. Dies nennt man auch das Recht am eigenen Bild. Wer Foto- und Filmaufnahmen von anderen Personen online stellt oder veröffentlicht, ohne dass diese zugestimmt haben, verletzt dieses Recht und begeht eine Straftat. Dies geht aus § 22 Kunsturheberrechtsgesetz hervor. Hier droht eine Geldstrafe oder eine Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr. Zusätzlich sind teure Folgen möglich etwa durch eine Klage auf Unterlassung und ggf. auf Schadensersatz. Ein entsprechendes Urteil fällte das Landgericht Essen (10.07.2014, Az. 4 O 157/14). Der Beklagte muss dann damit rechnen, die Gerichtskosten und die Kosten des gegnerischen Anwalts zahlen zu müssen.

Wann liegt bei einem Verkehrsunfall unterlassene Hilfeleistung vor?


Wer bei einem Unfall oder Unglück nicht Hilfe leistet, obwohl ihm dies zuzumuten ist und er sich nicht dadurch selbst in erhebliche Gefahr bringt, begeht eine unterlassene Hilfeleistung. Diese Straftat wird mit einer Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit einer Geldstrafe geahndet. Wer also fotografiert und filmt, anstatt zu helfen, macht sich strafbar. Dies regelt § 323c Abs. 1 StGB.

Werden Gaffer tatsächlich zu Strafen verurteilt?


Ja. Beispielsweise hat das Amtsgericht Günzburg Mitte November 2017 einen Gaffer zu einer Geldstrafe von 2.700 Euro und einem Monat Fahrverbot verurteilt. Dieser hatte nach einem Unfall einen sterbenden Motorradfahrer gefilmt. Im sogenannten "Gaffer-Prozess" in Bremervörde verurteilte das dortige Amtsgericht den Hauptangeklagten zu vier Monaten Haft ohne Bewährung und seine beiden Brüder zu Geldstrafen. Diese hatten sich nach einem Unfall mit zwei Toten Rangeleien mit Rettungskräften und Polizei geliefert.

Im Jahr 2022 wurden in Deutschland insgesamt 21 Personen wegen Straftaten nach § 201a StGB verurteilt. In zwei Fällen wurden die Verfahren eingestellt. 2021 erfolgten 24 Verurteilungen bei 31 Gerichtsverfahren.

Welche Folgen drohen Gaffern nach einem Verkehrsunfall noch?


Die Polizei zieht immer häufiger die Smartphones von Gaffern ein. Diese gelten nämlich als Tatmittel dar und können daher nach § 74 StGB eingezogen werden. Dann ist das Handy weg.

Welche Ansprüche hat das Unfallopfer gegen Gaffer?


Wer als Unfallopfer Bilder von sich selbst im Internet findet, hat einen Anspruch auf Unterlassung (also Löschung) sowie auf Schadensersatz und Schmerzensgeld wegen einer Verletzung des Rechts am eigenen Bild. Dazu ist es nicht erforderlich, dass man das Gesicht des Fotografierten erkennen kann. Irgendeine Erkennbarkeit über Auto oder Kleidung und Statur reicht aus. So entschied etwa das Landgericht Essen (Urteil vom 10.7.2014, Az. 54 O 157/14).

Praxistipp zum Gaffen bei einem Verkehrsunfall


Früher einmal hatte Gaffen, Filmen und Fotografieren nach Unfällen keine Konsequenzen. Dies hat sich geändert. Denn: Polizei und Rettungskräfte werden oft derart durch Gaffer behindert, dass sie ihrer Arbeit kaum noch nachgehen können. Vom Behindern von Rettungsarbeiten durch Gaffen, Filmen und Fotografieren ist dringend abzuraten. Möchten Sie als Unfallopfer Ansprüche gegen Gaffer und Handyfilmer geltend machen, sollten Sie sich an einen Rechtsanwalt für Zivilrecht wenden. Dieser kann die Chancen einer Klage am besten beurteilen.

(Ma)


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 Ulf Matzen
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