Unfallversicherungsrecht: Berufskrankheiten und ihre Anerkennung

13.01.2021, Redaktion Anwalt-Suchservice
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Laptop,Handgelenk,Schmerzen Oft wird vor Gericht um die Anerkennung einer Berufskrankheit gekämpft. © - freepik

Auch für Berufskrankheiten kommt die gesetzliche Unfallversicherung auf. Allerdings stellt sich immer wieder die Frage, welche Erkrankungen als Berufskrankheiten anerkannt werden.

Typische Berufskrankheiten sind beispielsweise Allergien, Hauterkrankungen oder Arthrosen, Bandscheibenschäden, aber auch Lärmschwerhörigkeit, Krebserkrankungen oder Lungenkrankheiten bei Personen, die Schadstoffen ausgesetzt waren. Die Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung (BKV) listet die anerkannten Berufskrankheiten auf. Allerdings ist diese Liste nicht abschließend. Die Gerichte haben in verschiedenen Fällen auch Erkrankungen als Berufskrankheit anerkannt, die nicht auf der Liste standen - allerdings eben erst auf eine Klage der betroffenen Arbeitnehmer hin.

Der umstrittene "Mausarm"


Wer viel mit der Computermaus arbeitet, kann sich eine schmerzhafte Erkrankung des Ellenbogens zuziehen, ähnlich wie den von Sportlern bekannten "Tennisarm". Anfangs sahen die Gerichte dies nicht als Berufskrankheit an, so etwa das Hessische Landessozialgericht im Fall eines Arbeitnehmers, der seine Erkrankung an Epicondylitis humeri radialis (sogenannter Tennisellenbogen) auf seine Bürotätigkeit zurückführte. Mehr als drei Viertel seiner täglichen Arbeitszeit habe er am Computer komplexe Datenlisten bearbeiten und dabei ständig mit der Computermaus hoch- und runterscrollen müssen. Das Gericht war hier der Meinung, dass solche Arbeitsabläufe keinen "Tennisellenbogen" auslösen könnten. Schließlich sei die Arbeit mit der Maus nicht so anstrengend wie das Klavierspielen. Warum gerade dieses Beispiel gewählt wurde, blieb unklar (29.10.2013, Az. L 3 U 28/10).

Es gibt jedoch auch andere Urteile.

Das Verwaltungsgericht Aachen hat 2011 in Fall einer Finanzbeamtin eine Sehnenscheidenentzündung im Unterarm infolge dauernder PC-Arbeit als Berufskrankheit anerkannt. Ein vom Gericht eingeholtes Gutachten bestätigte den Zusammenhang zwischen Arbeit und Erkrankung (14.4.2011, Az. 1 K 1203/09).

Das Verwaltungsgericht Ansbach stellte fest, dass eine "Epicondylitis lateralis humeri" grundsätzlich als Berufskrankheit im Sinne der BKV in Betracht kommen kann. Allerdings muss die dortige Definition erfüllt sein: Es muss sich nämlich um eine Erkrankung "der Sehnenscheiden oder des Sehnengleitgewebes sowie der Sehnen- oder Muskelansätze" handeln, die zur Unterlassung der sie auslösenden Tätigkeiten zwingt. Ein laienhafter Verdacht auf "Tennisarm" reicht nicht aus (Urteil vom 14.03.2019 – Az. AN 1 K 17.00813).

Hier zeigt sich auch: Erkrankungen der Sehnen und Sehnenscheiden stehen nunmehr in der Liste der BKV. Teilweise wird jedoch eine Sehnenscheidenentzündung trotzdem nicht anerkannt und es folgt der Gang vor Gericht.

Parkinson wegen „Chemischer Keule“ im Hopfenanbau?


Auf den Umgang mit Pestiziden kann die Parkinson-Krankheit zurückgehen. Die Symptome treten oft erst mit zeitlicher Verzögerung auf, was die Anerkennung als Berufskrankheit erschwert. In einem vom Bayerischen Landessozialgericht zu entscheidenden Fall hatte ein Landwirt fast 30 Jahre lang Hopfen angebaut und mehrmals im Jahr Schädlingsbekämpfungs-, Unkrautvernichtungsmittel sowie Fungizide eingebracht. Erst in den letzten Jahren seiner Tätigkeit benutzte er eine Atemmaske. Schließlich gab er den Hopfenanbau auf. Über zehn Jahre später wurde ein Parkinson-ähnliches Krankheitsbild festgestellt.

Seine Erkrankung wurde vom Bayerischen Landessozialgericht nicht als Berufskrankheit anerkannt. Das Gericht bezweifelte hier den ursächlichen Zusammenhang zwischen der Erkrankung und den konkret eingesetzten Chemikalien. Auch der lange Zeitraum zwischen Arbeit und Erkrankung sorgte für Zweifel (6.11.2013, Az. L 2 U 558/10).

Hier muss darauf hingewiesen werden, dass solche Urteile immer sehr von der Situation im Einzelfall abhängen - etwa von der Beweislage und vorgelegten Gutachten.

Was gilt für Meniskusschäden bei Profifußballern?


Meniskusschäden zählen als Berufskrankheit, wenn sie auf mehrjährigen andauernden oder häufig wiederkehrenden, die Kniegelenke überdurchschnittlich belastenden Tätigkeiten beruhen. Das Hessische Landessozialgericht hat Profi-Fußball in der 1. bis 4. Liga als solche Tätigkeit angesehen.
Aufgrund der sportartspezifischen Kniebelastung reiche bei einem Fußballspieler in der 1. bis 4. Liga eine Expositionsdauer von drei Jahren aus, damit eine Meniskuserkrankung mit ausreichender Wahrscheinlichkeit auf die sportliche Betätigung zurückgeführt werden könne (30.9.2013, Az. L 9 U 214/09).

Posttraumatische Belastungsstörung bei Rettungskräften


Ein Rettungssanitäter, der unter anderem beim Amoklauf von Winnenden und zwei Suiziden im Einsatz gewesen war, litt unter einer posttraumatischen Belastungsstörung. Das Sozialgericht Stuttgart hat diese jedoch nicht als Berufskrankheit anerkannt.

Das Gericht verwies darauf, dass für die Anerkennung einer bisher nicht aufgelisteten Berufskrankheit eine bestimmte Personengruppe durch die versicherte Tätigkeit besonderen Einwirkungen in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung ausgesetzt (gewesen) sein müsse. Außerdem müssten neue medizinisch-wissenschaftliche Erkenntnisse darüber vorliegen, dass diese Tätigkeit die jeweilige Krankheit verursache. Derzeit sei eine Anerkennung von psychischen Gesundheitsschäden als Berufskrankheit mangels Nachweises dieser Anforderungen nicht möglich (8.11.2018, Az. S 1 U 1682/17).

Aus ähnlichen Gründen scheiterte die Klage eines Straßenwärters, der über viele Jahre Verkehrsunfälle aufnehmen und bis zum Abschluss der Einsätze von Feuerwehr und Notarzt vor Ort bleiben musste (Hessisches Landessozialgericht, Urteil vom 13.8.2019, Az. L 3 U 145/14).

Krebs durch Umgang mit Giftstoffen


Blasenkrebs infolge beruflichen Umgangs mit Giftstoffen wurde bereits mehrfach als Berufskrankheit anerkannt, so vom Hessischen Landessozialgericht bei einem KfZ-Mechaniker, der vor Einführung bleifreier Kraftstoffe den darin enthaltenen Azofarbstoffen ausgesetzt gewesen war und an Harnblasenkrebs erkrankte. Dem Gericht zufolge war der Gefahrstoff o-Toluidin gesichert als krebserzeugender Arbeitsstoff anzusehen. Hier wurde auch einbezogen, dass der Mann Nichtraucher war und damit eine andere häufige Ursache für diese Krebsart ausschied (2.4.2019, Az. L 3 U 48/13).

Das gleiche Gericht entschied, dass bei einem Beschäftigten aus der Gummi-Industrie der Kontakt mit dem Gefahrenstoff 2-Naphthylamin ebenfalls eine wesentliche (Mit-) Ursache für Blasenkrebs sein kann. Auch bei einem Raucher sei die Erkrankung als Berufskrankheit anzuerkennen (19.6.2018, Az. L 3 U 129/13).

Auch Lungenkrebs infolge einer Chrombelastung am Arbeitsplatz wurde vom Sozialgericht Karlsruhe als Berufskrankheit anerkannt. Da der sogenannte Chromatlungenkrebs auch noch Jahre nach der entsprechenden Tätigkeit auftreten kann, ist ein längerer Zeitraum zwischen Tätigkeit und Erkrankung hier kein Gegenargument (25.9.2018, Az. S 4 U 4163/16).

Legionelleninfektion auf Dienstreise


Eine tödlich verlaufene Legionelleninfektion - vermutlich - durch Duschen in einem Hotel mit verseuchter Warmwasseranlage wurde nicht als Berufskrankheit anerkannt. So entschied das Landessozialgericht Baden-Württemberg im Fall eines Monteurs und Inbetriebnehmers aus der Automobilbranche, der sich die Infektion offenbar beim Duschen in einem belgischen Hotel zugezogen hatte. Das Urteil beruhte aber auch darauf, dass nicht klar nachgewiesen werden konnte, wie und wo es tatsächlich zu der Infektion gekommen war - das Hotel war längst geschlossen und weitere Fälle waren nicht bekannt (16.5.2018, Az. L 3 U 4168/17).

Halswirbelerkrankungen bei Berufsgeigern


Zwei Berufsmusiker hatten geklagt, weil sie an Bandscheibenvorfällen im Bereich der Halswirbelsäule litten. Diese waren ihrer Ansicht nach durch die Körperhaltung beim Violinespielen in einem Orchester ausgelöst worden. Die Unfallversicherung wollte dies nicht als Berufskrankheit anerkennen.

Das Bundessozialgericht versagte den Musikern ebenfalls die Anerkennung ihrer Beschwerden als Berufskrankheit. Zwar seien sie sicherlich durch die sogenannte "Schulter-Kinn-Zange", in der die Geige gehalten werde, einer erhöhten Belastung ausgesetzt. Neue medizinische Erkenntnisse dazu, dass dies Erkrankungen auslöse, lägen jedoch nicht vor. Dass bei kleineren Berufsgruppen gar keine Studien zu diesem Thema durchgeführt würden, ändere nichts. Der Gesetzgeber habe die Einführung einer Sonderregelung zum Schutze kleiner Berufsgruppen im Berufskrankheitenrecht ausdrücklich abgelehnt (18.6.2013, Az. B 2 U 3/12 R, B 2 U 6/12 R).

Corona-Infektion am Arbeitsplatz


Damit eine Corona-Infektion als Arbeitsunfall anerkannt wird, muss glaubhaft gemacht werden, dass sich diese am Arbeitsplatz bei der beruflichen Tätigkeit ereignet hat. Hat der infizierte Arbeitnehmer länger und näher mit einem bestimmten Kollegen zusammengearbeitet, der sich dann als infiziert erwies, kann eine Anerkennung in Frage kommen, sodass die Berufsgenossenschaft dafür einstehen müsste. Eine Warnmeldung der Corona-App wird meist nicht als ausreichend angesehen, da diese zu allgemein ist.

Als Berufskrankheit wird eine COVID-19-Erkrankung sehr wahrscheinlich nur bei bestimmten Berufsgruppen anerkannt, die ständig einem erhöhten Risiko ausgesetzt sind, wie etwa Ärzten oder Pflegekräften. Die DGUV (Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung) nennt folgende Voraussetzungen:

- Kontakt mit SARS-CoV-2-infizierten Personen im Rahmen der beruflichen Tätigkeit im Gesundheitswesen und
- relevante Krankheitserscheinungen, wie zum Beispiel Fieber oder Husten,
- positiver Nachweis des Virus durch einen PCR-Test.

Ungeklärt ist, wie es sich mit Beschäftigten aus anderen Branchen verhält, etwa aus der Fleischindustrie. Hier wird es auf die Umstände im Einzelfall ankommen.

Praxistipp


Bei der Anerkennung von bisher nicht gelisteten Berufskrankheiten kommt es sehr auf die Umstände des Einzelfalles an. Wichtig ist, dass eine bestimmte Personengruppe der Gefahr deutlich stärker ausgesetzt ist, als andere Menschen, und dass neue wissenschaftliche Erkenntnisse einen Zusammenhang zwischen Tätigkeit und Krankheit belegen. Oft sind Gutachten entscheidend. Der fachlich beste Ansprechpartner bei einem Rechtsstreit mit der gesetzlichen Unfallversicherung ist ein Fachanwalt für Sozialrecht.

(Wk)


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 Günter Warkowski
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