Erbschaft: Wie wirkt sich eine Schenkung auf den Pflichtteil aus?

07.07.2022, Redaktion Anwalt-Suchservice / Lesedauer ca. 4 Min. (4007 mal gelesen)
Erbe,Pflichtteil,Ergänzung,Schenkung Kann der Erblasser Pflichtteile umgehen, indem er das Geld zu Lebzeiten verschenkt? © - freepik

Wenn man einen nahen Verwandten enterbt, bekommt dieser immer noch den sogenannten Pflichtteil. Einen Ausweg scheint das Verschenken des Vermögens zu Lebzeiten zu bieten. Ist das wirklich so?

Trifft jemand per Testament eine Regelung, durch die sein gesetzlicher Erbe leer ausgeht, hat dieser ein Anrecht auf den sogenannten Pflichtteil. Pflichtteilsberechtigt sind nach § 2303 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) zum Beispiel Abkömmlinge des Erblassers, die per Testament vom Erbe ausgeschlossen worden sind. Dies sind seine Kinder, aber auch seine Enkel, wenn die Kinder bereits verstorben sind. Pflichtteilsberechtigt können auch vom Erbe ausgeschlossene Eltern und Ehepartner des Erblassers sein, sowie gleichgeschlechtliche eingetragene Lebenspartner. Die Eltern erhalten nur dann einen Pflichtteil, wenn der Erblasser keine Kinder hat. Pflichtteilsberechtigt bedeutet: Mit Eintritt des Erbfalls, also dem Todesfall, entsteht ein Anspruch des Pflichtteilsberechtigten gegen die Erben auf Herausgabe des Pflichtteils. Dieser beträgt die Hälfte des gesetzlichen Erbteils des Betreffenden.

Kann der Erblasser den Pflichtteil zu Lebzeiten verschenken?


Viele Menschen haben den Wunsch, Ihr Vermögen nicht zu vererben, sondern lieber "mit warmer Hand zu geben", also es zu ihren Lebzeiten zu verschenken, damit es derjenige bekommt, dem sie es wirklich zuwenden wollen – und nicht etwa ein Verwandter, mit dem sie sich überworfen haben.

Würde das Gesetz dies nun ohne Einschränkungen erlauben, wären die Regelungen über den Pflichtteil praktisch überflüssig. Deswegen gibt es den sogenannten Pflichtteilsergänzungsanspruch. Das bedeutet: Der Erblasser kann zwar zu Lebzeiten verschenken, was er möchte. Allerdings wird alles, was er oder sie in den letzten zehn Jahren vor dem Ableben verschenkt, fiktiv dem Nachlass hinzugerechnet. Man tut also ganz so, als ob es diese Schenkung niemals gegeben hätte. Dadurch erhöht sich der Pflichtteil des ungeliebten Pflichtteilsberechtigten. Das Geschenk wird aber nicht komplett zum Nachlass gezählt.

Wie berechnet sich der Pflichtteilsergänzungsanspruch?


Dies regelt das Gesetz in § 2325 BGB. Danach kann der Pflichtteilsberechtigte als Ergänzung seines Pflichtteils die Geldsumme verlangen, um die sich sein Pflichtteil erhöht, wenn man die Schenkung dem Nachlass hinzurechnet. Dabei wird ein verbrauchbarer Gegenstand mit dem Wert angesetzt, den dieser zur Zeit der Schenkung hatte. Andere Gegenstände setzt man mit dem Wert an, den sie zur Zeit des Erbfalls hatten – oder, falls ihr Wert zur Zeit der Schenkung geringer war, eben mit diesem geringeren Betrag.

§ 2325 Abs. 3 enthält eine Fristenregelung. Danach ist die Höhe der Anrechnung davon abhängig, wie lange die Schenkung her ist. Fand die Schenkung innerhalb des ersten Jahres vor dem Erbfall statt, wird sie in voller Höhe angerechnet. Mit jedem weiteren Jahr vor dem Erbfall wird sie mit einem Zehntel weniger berücksichtigt. Wenn seit der Schenkung zehn Jahre vergangen sind, wird die Schenkung überhaupt nicht mehr angerechnet. Wenn es der Ehegatte war, der beschenkt wurde, fängt die Frist nicht vor der Auflösung der Ehe an, zu laufen.

Gibt es auch direkte Ansprüche gegen einen Beschenkten?


Dies ist möglich. Wenn der Beschenkte nicht gleichzeitig Erbe ist und der Pflichtteilsberechtigte gegen den Erben keinen durchsetzbaren Pflichtteilsergänzungsanspruch hat, weil der Nachlass zum Beispiel verschuldet ist, kann er den an seinem Pflichtteil fehlenden Betrag sogar direkt vom Beschenkten einfordern (§ 2329 BGB).

Habe ich als Pflichtteilsberechtigter Anspruch auf Auskunft übers Erbe?


Möchte der Pflichtteilsberechtigte seinen Anspruch geltend machen, muss er ihn natürlich erst einmal konkret beziffern können. Damit er dies kann, räumt ihm das Gesetz in § 2314 BGB einen Anspruch auf Auskunft gegen den Erben ein. Er kann also von diesem verlangen, ihn über die Höhe der Erbschaft zu informieren.

Wie sieht es jedoch nun bei Schenkungen zu Lebzeiten aus? Muss der Erbe offenlegen, dass er vor acht Jahren Geld geschenkt bekommen hat – oder gar Nachforschungen über Schenkungen an andere Leute anstellen? Tatsächlich hat das Oberlandesgericht Stuttgart diese Frage mit "ja" beantwortet.

Fall: Das verschwundene Erbe


Ein Mann war verstorben, der bekanntermaßen 1.720 Euro im Monat verdient hatte. Als er starb, war sein Konto jedoch leer. Sein testamentarischer Erbe wollte nichts weiter unternehmen. Es gab jedoch einen Pflichtteilsberechtigten, der vom Erben Auskunft darüber verlangte, was mit dem Geld denn passiert sei. Der Erbe bot daraufhin an, ihm seinen Auskunftsanspruch gegenüber der Bank abzutreten, um selbst Nachforschungen anstellen zu können.

Laut Gericht musste sich der Pflichtteilsberechtigte jedoch so nicht abspeisen lassen. Dem OLG zufolge war der Erbe dazu verpflichtet, selbst Nachforschungen anzustellen – zum Beispiel durch Einsicht in alle Kontoauszüge, Sparbücher und Bankunterlagen. Es ändere nichts, wenn ihm dadurch zusätzliche Kosten entstünden. Diese müsse der Erbe eben tragen. Er müsse im Übrigen auch Hinweisen aus der Verwandtschaft nachgehen und seine Verwandten fragen, wer das Geld erhalten habe. Weigere sich der Erbe, derartige Nachforschungen anzustellen, könne das Gericht gegen ihn ein Zwangsgeld verhängen (Oberlandesgericht Stuttgart, Beschluss vom 26. Januar 2016, Az. 19 W 78/15).

Praxistipp zu Pflichtteil und Schenkung


Fragen rund um den Pflichtteil und die Auswirkungen einer Schenkung zu Lebzeiten können rechtlich nicht unkompliziert sein. Es kann sich lohnen, einen Fachanwalt für Erbrecht zu Rate zu ziehen. Dieser kann Ihnen kompetente Ratschläge zu Ihrer konkreten Situation ausarbeiten.

(Bu)


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 Stephan Buch
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