Verjährung von Schmerzensgeldansprüchen und Straftaten bei sexuellem Missbrauch

03.02.2021, Redaktion Anwalt-Suchservice / Lesedauer ca. 4 Min. (4300 mal gelesen)
Mädchen,weinend Opfer von sexuellem Missbrauch können Schmerzensgeldansprüche haben. © - freepik

Für zivilrechtliche Ansprüche von Opfern sexuellen Missbrauchs gilt seit 2013 eine längere Verjährungsfrist. Täter können seitdem bis zu 30 Jahre lang finanziell zur Rechenschaft gezogen werden.

Gerade bei sexuellem Missbrauch ist es wichtig, die Täter auch noch nach langer Zeit zur Rechenschaft ziehen zu können. Denn: Oft ringen sich diese erst nach Jahren oder nach dem Erwachsenwerden dazu durch, über die Tat zu sprechen. Ein Anspruch auf Schmerzensgeld kann heute auch lange nach der Tat geltend gemacht werden. Dies war nicht immer so. Wichtig ist es hier, strafrechtliche und zivilrechtliche Verfahren auseinander zu halten. Das Strafverfahren betrifft die Bestrafung des Täters, während es vor dem Zivilgericht um Zahlungsansprüche auf Schadensersatz oder Schmerzensgeld geht. Eine Klage auf Schmerzensgeld ist unabhängig von einem Strafverfahren möglich, obwohl natürlich eine vorliegende Verurteilung im Strafverfahren die Beweisführung erleichtert.

Was änderte sich 2013 bei den Verjährungsfristen?


2013 waren immer mehr Fälle von sexuellem Missbrauch etwa in Internaten bekannt geworden. Hier zeigte sich, dass sich missbrauchte Kinder oft erst Jahre später nach Ende ihrer Schulzeit meldeten oder Anzeige erstatteten. Auch innerhalb von Familien wurden Fälle sexuellen Missbrauchs bekannt - hier dauerte es oft besonders lange, bis die Opfer aktiv wurden, da sie sich erst einmal weit genug von ihrer Familie lösen mussten. Die damaligen Vorschriften zur Verjährung erschienen weder im strafrechtlichen, noch im zivilrechtlichen Bereich als ausreichend. So lag die zivilrechtliche Verjährungsfrist für Schadensersatz und Schmerzensgeldansprüche gerade einmal bei drei Jahren.

Dies wurde also geändert. Seit dem 30.6.2013 beträgt die zivilrechtliche Verjährungsfrist für Schmerzensgeld- und Schadensersatzansprüche, die auf sexuellem Missbrauch beruhen, 30 Jahre. Mit einer Einschränkung: Dies gilt nur für Taten, die am 30.06.2013, dem Tag des Inkrafttretens der neuen Verjährungsfrist, noch nicht verjährt waren. Nach heutigem Recht gilt auch:
Die Verjährung von Ansprüchen wegen Verletzung der sexuellen Selbstbestimmung ist bis zur Vollendung des 21. Lebensjahrs des Gläubigers (des Tatopfers) gehemmt, sie kann also erst ab diesem Zeitpunkt zu laufen beginnen. Geregelt ist dies in § 208 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB).

Hemmung der Verjährung wegen häuslicher Gemeinschaft


Im zivilrechtlichen Bereich kann die Verjährung von Ansprüchen in diesem Bereich aus einem besonderen Grund gehemmt, also vorläufig angehalten sein: Wenn nämlich Täter und Opfer miteinander in häuslicher Gemeinschaft leben. Daraus ergibt sich oft ein Abhängigkeitsverhältnis. Daher lässt man nun die Verjährung von Ansprüchen wegen einer Verletzung der sexuellen Selbstbestimmung erst mit dem Tag der Beendigung dieser Gemeinschaft beginnen. Die entsprechende Vorschrift findet sich in § 208 S.2 BGB.

BGH: Posttraumatische Störung verhindert Verjährung


Am 4.12.2012 entschied der Bundesgerichtshof zur Verjährung von zivilrechtlichen Schmerzensgeldansprüchen von Opfern sexuellen Missbrauchs. In dem Verfahren ging es um einen Kindesmissbrauch in den Jahren 1988 und 1990. Normalerweise wäre ein Anspruch auf Schmerzensgeld hier längst verjährt gewesen, denn damals betrug die Verjährungsfrist nur drei Jahre.

Aus Sicht des Bundesgerichtshofes lag damals allerdings ein Sonderfall vor: Wegen einer posttraumatischen Störung hatte das Opfer die Tat lange Zeit vollkommen verdrängt. Eine Verjährungsfrist beginnt jedoch nur zu laufen, wenn der Anspruchsinhaber die anspruchsbegründenden Tatsachen kennt. Aus Sicht des Gerichtshofes war das hier lange Zeit nicht der Fall gewesen. Daher ließ der BGH die Verjährung später beginnen. Dem Betroffenen wurde ein Anspruch auf Schmerzensgeld zugesprochen (Urteil vom 4.12.2012, Az. VI ZR 217/11).

Wie funktioniert die Verjährung im Strafrecht?


Im Strafrecht richtet sich die Dauer der Verjährungsfristen nach der begangenen Tat und der Höhe der Strafandrohung. Es gibt eine Reihe von Straftatbeständen mit verschieden hohen Strafen, die unter dem Begriff des sexuellen Missbrauchs zusammengefasst werden. Zu finden sind diese Vorschriften in den §§ 174 ff. des Strafgesetzbuches (StGB). Die Verjährungsregeln finden sich in § 78 StGB. Generell kann die Verjährung je nach Delikt zwischen drei Jahren und dreißig Jahren dauern.

Die strafrechtlichen Verjährungsfristen sind in den vergangenen Jahren mehrfach geändert worden. Welche Verjährungsfrist für eine Straftat gilt, hängt davon ab, welche Frist bei Begehung der Tat gegolten hat. Beispiel: Der schwere sexuelle Missbrauch von Kindern verjährt nach § 78 Abs. 3 Nr. 2 StGB in 20 Jahren. Allerdings ist dieses Delikt erst seit 1998 ein eigener Straftatbestand. Die 20-jährige Verjährungsfrist gilt also erst für Taten ab 1998. Für vorher begangene Taten gilt eine zehnjährige Frist.
Die Verjährungsfrist für einfachen sexuellen Missbrauch von Kindern beträgt heute zehn Jahre, die für Vergewaltigung beträgt 20 Jahre.

Außerdem gilt bei Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung: Die Verjährung ruht nach § 78b Abs. 1 Nr. 1 bis zur Vollendung des 30. Lebensjahres des Opfers. Diese Regelung gilt für Straftaten, die nach dem 27. Januar 2015 begangen wurden oder die zu diesem Zeitpunkt noch nicht verjährt gewesen sind. Dadurch kann zum Beispiel eine Vergewaltigung in jungen Jahren noch bis zum 50. Lebensjahr des Tatopfers strafrechtlich verfolgt werden, da die 20-jährige Verjährungsfrist erst mit Vollendung seines 30. Lebensjahres zu laufen beginnt.

Hier ist aber auch wichtig, dass sich die Regelung im Laufe der Zeit mehrmals geändert hat. Für ältere Fälle ist die alte Rechtslage maßgeblich. So beginnt die Verjährung bei Straftaten, die zwischen dem 30. Juni 2013 und dem 27. Januar 2015 begangen wurden oder die am 30. Juni 2013 noch nicht verjährt gewesen sind, erst bei Vollendung des 21. Lebensjahres des Tatopfers.

Bei Straftaten, die zwischen dem 5. Juli 1997 und dem 30. Juni 2013 begangen wurden oder die am 5. Juli 1997 noch nicht verjährt gewesen sind, beginnt die Verjährung bei Vollendung des 18. Lebensjahres.

BGH zur strafrechtlichen Verjährung


Der Bundesgerichtshof hat mit Beschluss vom 08.01.2014 (Az. 5 StR 534/13) über die Verjährung mehrerer Taten des sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen entschieden. Hier war die alte Rechtslage maßgeblich. Auszugehen war damals von einer fünfjährigen Verjährungsfrist, die am 18. Geburtstag der Opfer begann. Hier war die Bestrafung einiger Taten wegen des Eintritts der Verjährung nicht mehr möglich. Auch eine Unterbrechung der Verjährung kam nicht in Betracht.

Praxistipp


Die bei vielen Missbrauchsdelikten langen Verjährungsfristen ermöglichen es Tatopfern, sich ihr Vorgehen zu überlegen und rechtlichen Beistand zu suchen. Ein im Zivilrecht tätiger Rechtsanwalt kann Ansprüche auf Schadensersatz und Schmerzensgeld durchsetzen, ein Fachanwalt für Strafrecht kann Verbrechensopfer als Nebenkläger im Strafverfahren gegen den Täter vertreten.

(Bu)


Sie benötigen Hilfe bei Ihrer Suche nach dem richtigen Anwalt? Dann schreiben Sie uns über unser Kontaktformular. Wir helfen Ihnen kostenlos und unverbindlich.


 Stephan Buch
Anwalt-Suchservice
Juristische Redaktion
E-Mail schreiben Juristische Redaktion
 Stephan Buch
Anwalt-Suchservice
Juristische Redaktion
E-Mail schreiben Juristische Redaktion