Darf man einen Neuwagen wegen Lackkratzern zurückweisen?

17.07.2023, Redaktion Anwalt-Suchservice
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Neuwagen,Autokauf,Lackschaden,Mangel Welche Rechte haben Autokäufer bei Lackschäden? © Bu - Anwalt-Suchservice
Das Wichtigste in Kürze

1. Sachmangel: Auch ein Lackkratzer bei einem Neuwagen ist ein Sachmangel. Die Rechte des Käufers bestimmen sich deshalb nach dem gesetzlich geregelten Gewährleistungsrecht.

2. Geringfügiger Mangel: Dies gilt auch für geringfügige Mängel, wie kleinere Lackkratzer. Der Käufer muss den Neuwagen nicht abnehmen und darf den Kaufpreis zurückbehalten.

3. Nachbesserung: Der Autoverkäufer darf die Reparatur nicht auf den Käufer abwälzen, sondern muss diese in eigener Verantwortung und auf eigenes Risiko durchführen.
Hat ein neues Fahrzeug Mängel, gilt die Sachmängelhaftung des Verkäufers. Damit hat der Käufer verschiedene Rechte und kann unter Umständen sogar vom Kaufvertrag zurücktreten. Darf er aber zum Beispiel bei Lackschäden auch von vornherein die Abnahme des Neuwagens ganz verweigern? Schließlich geht es hier nur um geringe, wenn auch ärgerliche, Mängel.

Was versteht man unter einem Sachmangel?


Ein Sachmangel kann zum einen eine Abweichung des gekauften Gegenstandes von der vereinbarten Beschaffenheit sein. Bei einem PKW wäre dies beispielsweise eine andere Motorisierung oder eine fehlende, aber im Kaufvertrag vereinbarte Ausstattung. Andererseits besteht auch dann ein Sachmangel, wenn das Auto irgendeinen anderen Fehler hat, der seine Gebrauchstauglichkeit einschränkt oder der schlicht unüblich ist und mit dem der Käufer nicht rechnen muss.
Damit der Käufer Rechte geltend machen kann, müssen die Mängel zum Zeitpunkt des Gefahrüberganges, also bei Übergabe des Fahrzeugs an den Käufer, bestanden haben. Vor Gericht wird immer wieder um die Frage gestritten, ob in einem konkreten Einzelfall wirklich ein Mangel vorliegt. Zusätzlich muss es sich auch um einen erheblichen Mangel handeln, damit der Käufer Ansprüche hat.

Der Fall: Neuwagen mit Lackschäden


Vor Gericht landete auch der Fall eines Autokäufers aus Wangen im Allgäu. Dieser hatte einen Neuwagen bestellt und eine kostenfreie Lieferung zu ihm nach Hause vereinbart. Als das Fahrzeug geliefert wurde, entdeckte er an der Fahrertür einen Lackschaden. Im Lieferschein der Spedition war dazu vermerkt: "Kleine Delle an der Fahrertür, Kosten werden von...(Verkäufer) übernommen."

Die Spedition ließ das Fahrzeug da. Nur war der Käufer über den Lackschaden so erbost, dass er das Auto so nicht wollte. Gegenüber dem Autohändler erklärte er, dass er das Fahrzeug "zurückweise". Er weigerte sich auch, den Kaufpreis zu bezahlen. Der Händler wiederum betrachtete den Schaden als Bagatelle und forderte die Bezahlung.

Nun schickte ihm der Autokäufer den Kostenvoranschlag eines Autolackierers. Dieser veranschlagte 528 Euro für das Ausbessern der "Bagatelle". Der Händler wollte höchstens 300 Euro bezahlen – bei Vorlage der Originalrechnung. Da eine Einigung nicht möglich schien, holte der Händler den PKW wieder ab, ließ die Tür selbst lackieren und schaffte ihn wieder zum Kunden. Nun war dieser zufrieden und überwies den Kaufpreis. Anschließend bekam er jedoch vom Händler eine dicke Rechnung über die Transportkosten für Abholung und Rücktransport des Fahrzeugs, ein "Standgeld" sowie Verzugszinsen auf den Kaufpreis, insgesamt 1.138 Euro. Da der Käufer diesen Betrag nicht beglich, wurde er vom Autohändler verklagt.

Welche Rechte bestehen bei geringfügigen Mängeln?


Dieser Fall beschäftigte drei Gerichtsinstanzen. Zum Schluss entschied der Bundesgerichtshof genau wie zuvor schon das Amtsgericht Wangen und das Landgericht Ravensburg zugunsten des Käufers.
Der Händler sei dazu verpflichtet, dem Käufer die Kaufsache frei von Mängeln zu verschaffen. Der Käufer dürfe daher auch verlangen, dass bestehende Mängel beseitigt würden. Bis zur Beseitigung der Mängel könne er die Abnahme des Kaufobjekts und die Zahlung des gesamten Kaufpreises verweigern. Dies ergebe sich aus den §§ 320 Abs. 1 und 273 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB). Die zweite Vorschrift räumt dem Käufer ein sogenanntes Zurückbehaltungsrecht ein. Er darf also seine Gegenleistung - die Kaufsumme - solange zurückhalten, bis der Verkäufer seine vertragsgemäße Leistung erbracht und ein einwandfreies Auto abgeliefert hat.
Die Gerichte sahen zwar den vorliegenden Lackschaden als geringfügig und behebbar an. Aber: Hier sei dies nicht entscheidend. Der Käufer habe nämlich auch bei einem geringfügigen Mangel ein Zurückbehaltungsrecht.

Wer muss die Reparatur des Lackschadens organisieren?


Aus dem Urteil ergibt sich auch, dass das Zurückbehaltungsrecht seine Grenzen hat. Dem Gericht zufolge kann seine Ausübung in einigen Fällen nicht angemessen und unverhältnismäßig sein. Hier war dies jedoch nicht der Fall. Der Verkäufer habe dem Käufer nicht angeboten, den Schaden selbst zu beseitigen, obwohl er dazu verpflichtet gewesen wäre. Denn: Es sei nicht Sache des Käufers, das Auto selbst zum Lackierer zu bringen, diesem den Auftrag zu erteilen, ihn selbst zu bezahlen und dann mit dem Verkäufer darüber zu streiten, welchen Anteil der Rechnung dieser übernehme. Der Autohändler müsse stattdessen die Reparatur des Lackschadens in eigener Verantwortung und auf eigenes Risiko durchführen.

Wer trägt das Risiko der Lackreparatur?


Der Autohändler habe hier auch noch durch die von ihm gesetzte Obergrenze von 300 Euro das gesamte Risiko der Reparatur – zum Beispiel eine unsachgemäße Ausführung durch den Lackierer – auf den Käufer abgewälzt. Dieses Risiko müsse jedoch der Händler tragen. Die vom Händler geforderten Beträge etwa für Transportkosten und Standgeld gehörten zu den Kosten, die der Verkäufer im Rahmen der ordnungsgemäßen Erfüllung des Kaufvertrages ohnehin tragen müsse. Deswegen dürfe er diese Beträge nicht als eine Art Schadensersatz vom Käufer verlangen. Die Klage des Händlers blieb daher auf ganzer Linie erfolglos (BGH, Urteil vom 26.10.2016, Az. VIII ZR 211/15).

Ist ein Rücktritt vom Kaufvertrag wegen leichter Lackschäden möglich?


Eines der Rechte des Käufers bei Sachmängeln ist der Rücktritt vom Kaufvertrag. Er ist möglich, wenn der Händler eine vom Käufer geforderte fristgerechte Nachbesserung verweigert oder wenn zwei Nachbesserungsversuche fehlgeschlagen sind.

Beispiel: In einem vor dem OLG Hamm verhandelten Fall wollte eine Autokäuferin wegen geringfügiger Lackschäden vom Kaufvertrag zurücktreten. Hier hatte die Käuferin die Schäden am Lack zunächst gar nicht bemerkt. Diese waren nämlich vor der Übergabe des Wagens fachgerecht ausgebessert worden. Erst, als sie selbst einen Kratzer verursachte und diesen lackieren ließ, wurde sie vom Lackierer darauf hingewiesen, dass die Lackschicht auf den linksseitigen Türen für ein Neufahrzeug zu dick sei. Sie trat daraufhin vom Kaufvertrag zurück und focht diesen gleichzeitig wegen arglistiger Täuschung an. Ein Gutachter fand heraus, dass geringfügige Kratzer durch Lackieren ausgebessert worden waren. Es war keine Spachtelmasse eingesetzt worden.

Das Oberlandesgericht Hamm entschied, dass die Frau kein Recht zum Rücktritt vom Kaufvertrag habe. Trotz der geringfügigen, fachgerecht ausgebesserten Lackschäden sei ein fabrikneues Fahrzeug ausgeliefert worden. Damit habe der Händler den Kaufvertrag erfüllt. Dies sei jedoch bei größeren Lackschäden anders, auch wenn diese ausgebessert wären. Dann könne das Fahrzeug die Eigenschaft "fabrikneu" verlieren, sodass der Kaufvertrag nicht als erfüllt gelte. Dann wäre ein Kunde zum Rücktritt berechtigt (Urteil vom 17. November 2011, Az. I-28 U 109/11).

Praxistipp zum Neuwagen mit Lackkratzern


Wenn beim Transport eines Neuwagens leichte Lackschäden entstehen, muss der Autohändler diese auf eigene Kosten und eigenes Risiko ausbessern. Bis er dies getan hat, darf der Käufer den Kaufpreis zurückbehalten. Vom Kaufvertrag zurücktreten kann der Käufer wegen kleiner Lackkratzer allerdings nicht.
Liegen Sie mit einem Autohändler im Streit über einen KfZ-Kaufvertrag oder Mängel eines gekauften Fahrzeugs? Dann ist ein auf das Zivilrecht spezialisierter Rechtsanwalt der richtige Ansprechpartner.

(Ma)


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 Ulf Matzen
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