Steuerfalle Pflichtteil

12.07.2017, Autor: Frau Kerstin Prange / Lesedauer ca. 4 Min. (108 mal gelesen)
Wer Erbe wird muss stets prüfen, ob der Verstorbene möglicherweise eine Pflichtteilsanspruch hätte geltend machen können. Denn ist das der Fall, fällt auf diesen Pflichtteil für den Erben Erbschaftssteuer an, auch wenn er ihn nicht geltend macht.

Der Bundesfinanzhof (BFH) hat in seinem Urteil vom 7.12.2016 - II R 21/14 - entschieden, dass ein vom Erblasser nicht geltend gemachter Pflichtteilsanspruch zum Nachlass gehört und beim Erben der Besteuerung aufgrund Erbanfalls unterliegt.

Erbschaftssteuer fällt auch an, wenn der Pflichtteil des Erblassers von dessen Erben nicht geltend gemacht wird

Dabei kommt es laut BFH es nicht darauf an, ob der Erbe den vom Erblasser noch nicht geltend gemachten Pflichtteilsanspruch durchsetzt oder nicht. Erbschaftssteuer hat er auf den Pflichtteil in beiden Fällen zu zahlen, also auch dann, wenn er den geerbten Pflichtteilsanspruch gar nicht geltend macht.

Der BFH traf die Entscheidung in folgendem Fall:

Der Sohn ist Alleinerbe des verstorbenen verwitweten Vaters. Der Vater hat mit seiner vorverstorbenen Ehefrau im gesetzlichen Güterstand der Zugewinngemeinschaft gelebt und sein Erbe nach dem Tod der Ehefrau ausgeschlagen. Den durch Erbausschlagung entstandenen Pflichtteilsanspruch hat der Vater nicht geltend gemacht. Nun – nach dem Tod des Vaters – macht diesen ererbten Anspruch der Sohn geltend.

Nach Ansicht des BFH gehört ein vom Erblasser nicht geltend gemachter Pflichtteilsanspruch zum Nachlass. Er unterliegt beim Erben der Besteuerung, weil er mit dem Nachlass auf den Erben übergegangen ist. Es komme nicht darauf an, dass der Pflichtteilsanspruch durch den Erben auch tatsächlich geltend gemacht wird. Der Sohn habe den Pflichtteilsanspruch des Vaters geerbt, allein dies sei entscheident. Der bereits mit dem Tod der Ehefrau zivilrechtlich entstandene Pflichtteilsanspruch des Vaters sei nach § 2317 Abs. 2 BGB vererblich und übertragbar und gehöre somit beim Ableben des Pflichtteilsberechtigten/Vaters zu dessen Nachlass.

Nur der verstorbene Pflichtteilsberechtigte wird vor vorzeitigem Anfall der Erbschaftssteuer geschützt

Die Besteuerung dieses ererbten (derivativen) Pflichtteilsanspruchs sei nach nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 Var. 1 ErbStG (Erbanfall) zu beurteilen. Für den Anfall der Erbschaftssteuer sei es daher nicht erfoderlich, dass der Sohn den Pflichtteil auch tatsächlich geltend macht. Anders sei dies für den verstorbenen Vater zu beurteilen gewesen. Dessen originärer Pflichtteilsanspruch am Nachlass seiner Ehefrau wäre beim Vater gem. § 3 Abs. 1 Nr. 1 Var. 3 ErbStG erst dann besteuert worden, wenn der Vater den Pflichtteil tatsächlich geltend gemacht hätte: Die erbschaftsteuerliche Besonderheit des § 3 Abs. 1 Nr. 1 Var. 3 ErbStG diene dem Interesse des Berechtigten und solle ausschließen, dass beim Berechtigten Erbschaftsteuer anfalle, wenn er seinen Anspruch zunächst oder dauerhaft nicht erhebe. Wegen der notwendigen familiären Verbundenheit des originären Pflichtteilsberechtigten zum Erblasser (nur Ehepartner und Abkömmlinge haben einen Pflichtteil) solle der Pflichtteilsberechtigte über die Erbschaftssteuer nicht gezwungen werden, sich den Pflichtteil auszahlen zu lassen, um die Steuer bezahlen zu können. Es werde so die Entschließungsfreiheit des Pflichtteilsberechtigten respektiert und zugleich der Tatsache Rechnung getragen, dass der Pflichtteil – anders als die Erbschaft oder ein Vermächtnis – nicht ausgeschlagen, der Rechtsanfall also nicht rückwirkend beseitigt werden könne.


Erbe der Pflichtteilsberechtigten muss Erbschaft ausschlagen, wenn er Erbschaftssteuer auf den Pflichtteil nicht zahlen will

Dagegen stünde der Erbe des Pflichtteilsberechtigten nicht zwingend in einer engen familiären Beziehung zum ursprünglichen Erblasser. Er könne zudem die Erbschaft nach dem ursprünglichen Pflichtteilsberechtigten ausschlagen und sich damit auch des Pflichtteilsanspruchs entledigen.
Für den Erwerb eines Pflichtteilsanspruchs durch Erbanfall (derivativer Erwerb) entstehe deshalb die Steuer nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 Var. 1 ErbStG bereits mit dem Tode des Pflichtteilsberechtigten, ohne dass es auf die Geltendmachung des Anspruchs durch dessen Erben ankommt. Mache der Erbe des Pflichtteilsberechtigten den Pflichtteilsanspruch später geltend, so entstehe infolge der Geltendmachung keine weitere Erbschaftsteuer mehr. Die Geltendmachung führe lediglich dazu, dass der Verpflichtete den Pflichtteil gem. § 10 Abs. 5 Nr. 2 ErbStG als Nachlassverbindlichkeit abziehen könne

Der Pflichtteilsanspruch muss selbst dann versteuert werden, wenn er nicht geltend gemacht wird.

Die Auffassung des BFH hat zur Folge, dass für den Erwerb eines nicht geltend gemachten Pflichtteilsanspruchs durch Erbanfall (derivativer Erwerb) die Erbschaftsteuer für diesen Pflichtteilsanspruch sofort (mit dem Erbfall) entsteht, da in der Höhe des ererbten Pflichtteilsanspruchs des Erblassers eine Bereicherung vorliegt. Der Pflichtteilsanspruch muss daher selbst dann versteuert werden, wenn er nicht geltend gemacht wird.

Dies kann dazu führen, dass der Erbe (eines Pflichtteilsanspruchs) zur Geltendmachung des Anspruchs gezwungen wird, wenn er z. B. die Erbschaftsteuer ansonsten nicht zahlen könnte.

Nachlass muss auf nicht realisierte Pflichtteilsansprüche geprüft werden

Jeder der Erbe wird, sollte daher prüfen oder durch einen auf das Erbrecht spezialisierten Anwalt prüfen lassen, ob der Erblasser möglicherweise einen Pflichtteilsanspruch hatte den er nicht geltend gemacht hat. Ist dies der Fall, muss weiter geprüft werden, welchen Wert dieser Anspruch hat und ob er geltend gemacht werden muss, um die Erbschaftsteuer zahlen zu können.

Die Prüfung sollte unverzüglich erfolgen, da ggf. die Erbschaft nach dem Pflichtteilsberechtigten ausgeschlagen werden muss, was nur innerhalb einer Frist von 6 Wochen nach Kenntnis vom Erbfall möglich ist.

Kerstin Prange
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