Unfallflucht – wann mache ich mich strafbar?

05.07.2022, Redaktion Anwalt-Suchservice / Lesedauer ca. 7 Min. (2251 mal gelesen)
Unfallflucht,Fahrerflucht,Autounfall,Schadensersatz Kfz-Unfall: Eine Fahrerflucht kann teuer werden © Bu - Anwalt-Suchservice

Bei einem Unfall mit einem Kfz kommt es fast immer zu leichten bis schweren Sach- und Personenschäden. Manch ein Unfallverursacher macht sich aus dem Staub, um der Haftung zu entkommen. Aber welche strafrechtlichen Folgen drohen dann?

Ein Autounfall verursacht bei den meisten Menschen zuerst eine Art Schock. Dieser führt oft nicht unbedingt zu logischen Reaktionen. So kann auch eine Art Fluchtreflex ausgelöst werden. Wurde ein parkendes Auto beschädigt, ein fremder Gartenzaun demoliert oder öffentliches Eigentum wie eine Leitplanke verbeult, ist die Versuchung groß, sich zügig zu entfernen. Immerhin ist ja im Moment kein Geschädigter vor Ort, der auf einer Feststellung von Personalien bestehen könnte. Wurde ein Unfallschaden unter Alkoholeinfluss verursacht, ist die Motivation besonders hoch, den Unfallort fluchtartig zu verlassen - schon aus Angst um die Fahrerlaubnis. Obendrein glauben viele Verkehrsteilnehmer, dass es nach der Beschädigung eines parkenden Fahrzeugs ausreicht, eine Visitenkarte oder einen Zettel mit seiner Adresse hinterm Scheibenwischer zu hinterlassen. Nur: Dies ist ein Irrtum.

Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort – was sagt das Gesetz?


Die Regelung zur Unfallflucht findet sich in § 142 des Strafgesetzbuches (StGB). Hier geht es also nicht um eine Ordnungswidrigkeit, sondern um eine Straftat. Man begeht sie, indem man sich als Unfallbeteiligter nach einem Unfall im Straßenverkehr vom Unfallort entfernt, bevor man

- den anderen Beteiligten und -Geschädigten die Feststellung seiner Personalien, seines Fahrzeugs und der Art seiner Beteiligung ermöglicht hat,
- eine nach den jeweiligen Umständen angemessene Zeit vor Ort gewartet hat, ohne dass jemand bereit war, diese Informationen entgegenzunehmen.

Ebenso macht man sich strafbar, wenn man

- zwar eine angemessene Zeit wartet, sich dann jedoch vom Unfallort entfernt, ohne unverzüglich nachträglich die entsprechenden Feststellungen möglich zu machen,
- sich berechtigtermaßen oder entschuldigt entfernt, ohne unverzüglich nachträglich die Feststellungen zu ermöglichen. So ist man beispielsweise entschuldigt, wenn man Hilfe holt oder dringend selbst ärztliche Hilfe braucht.

Dies bedeutet im Klartext: Auch, eine angemessene Zeit vergeblich zu warten, befreit niemanden von der Pflicht, sich unverzüglich auf einer nahe gelegenen Polizeidienststelle zu melden, um die erforderlichen Angaben zum Unfall und den eigenen Personalien zu machen. Ansonsten droht die gleiche Strafe wie bei einer "normalen" Unfallflucht. Übrigens muss man sein Auto nach einem Unfall für eine gewisse Zeit im Unfallzustand lassen, damit ggf. eine Begutachtung möglich ist.

Reform: Unfallflucht ohne Personenschaden bald keine Straftat mehr?


Stand April 2023 plant das Justizministerium, eine Unfallflucht, bei der kein Personenschaden entstanden ist, künftig nur noch als Ordnungswidrigkeit zu behandeln.

Mit welchen Strafen muss man nach einer Unfallflucht rechnen?


Für das Unerlaubte Entfernen vom Unfallort drohen dem Täter eine Geldstrafe oder eine Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren. Das Gericht kann allerdings die Strafe abmildern oder ganz darauf verzichten, wenn der Betreffende sich innerhalb von 24 Stunden freiwillig gemeldet hat. Diese Möglichkeit besteht aber nur, wenn es bei dem Unfall keinen Personenschaden gegeben hat, der Sachschaden gering war und sich der Unfall außerhalb des fließenden Verkehrs zugetragen hat (also etwa die typischen Parkrempler). Kommt die Polizei mit ihren Ermittlungen der freiwilligen Meldung zuvor, hat man Pech: Eine "Nachmeldung" zählt nur, wenn der Unfallverursacher nicht bereits ermittelt wurde.

Wer ist Unfallbeteiligter?


Als Unfallbeteiligter wird jeder angesehen, dessen Verhalten irgendwie den Unfall mit verursacht haben kann. Zum Beispiel könnte dies ein Fußgänger sein, der mit seinem Smartphone vor der Nase eine Straße überquert hat, so dass ein Auto bremsen musste und einen Auffahrunfall verursachte. Oder auch ein Hundehalter, dessen Tier plötzlich über die Straße gelaufen ist und einen Unfall verursacht hat, ohne überhaupt ein Fahrzeug zu berühren.

Übrigens: Vor Gericht kann auch ein öffentlich zugänglicher Supermarkt-Parkplatz unter "Straßenverkehr" laufen – allerdings kein Privatweg auf einem nicht allgemein zugänglichen Grundstück. Als Unfall gilt auch die Beschädigung einer Leitplanke. Die Gerichte verlangen zwar einen nicht ganz unerheblichen Schaden an Personen oder Sachen. Man sollte jedoch lieber mit der Beurteilung, dass es ja nur ein Kratzer ist, sehr vorsichtig sein: Jegliche Karosserie- oder Lackarbeiten an Autos werden schnell teuer.

Was lang ist die angemessene Wartezeit nach einem Unfall?


Da gibt es keine allgemein verbindlichen Regeln – was angemessen ist, hängt von der Größe des Schadens ab, aber auch vom Wetter, von der Verkehrsdichte etc. Wenn ein Unfall bei Nacht stattfindet, in einer verlassenen Gegend und es nur einen geringen Schaden gibt, muss man nicht so lange warten wie in der Stadt, tagsüber und bei einem größeren Schaden. Häufig verlangen die Gerichte eine Wartezeit von mindestens 30 Minuten, bei größeren Schäden auch schon mal von 90 Minuten. Im Zweifelsfall ist es ratsam, die Polizei zu rufen, damit diese den Unfall aufnimmt.

Reicht ein Zettel hinter der Windschutzscheibe?


Nein. Das Hinterlassen von Zetteln oder Visitenkarten an der Windschutzscheibe des Unfallgegners reicht nicht aus. Es schützt nicht vor einer Bestrafung wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort. Zettel oder Karten können davonfliegen, nass werden oder von irgendwem weggenommen werden. Aber: Auch, wenn sie hängen bleiben, erfüllt man damit seine Pflichten nicht.

Was gilt, wenn ich den Unfall gar nicht bemerkt habe?


So mancher Unfallverursacher bemerkt einen Unfall gar nicht. 2015 beschäftigte sich das Kammergericht Berlin mit dem Fall einer PKW-Fahrerin. Diese berief sich darauf, dass ihr die Kollision mit einem anderen Auto gar nicht aufgefallen war. Eine Strafbarkeit erfordert hier Vorsatz. Denn: Wer gar nichts von einem Unfall weiß, kann sich auch nicht vorsätzlich unerlaubt vom Unfallort entfernen.

Zwar wäre hier auch ein sogenannter bedingter Vorsatz (also ein In-Kauf-Nehmen) ausreichend. Das Kammergericht war jedoch der Ansicht, dass es nicht für eine Strafbarkeit ausreiche, wenn der Verursacher den Unfall unter den vorliegenden Umständen eigentlich bemerkt haben müsste. Eine Strafe setze voraus, dass der Unfallverursacher den Unfall wirklich wahrgenommen oder zumindest mit der Möglichkeit eines Unfalls gerechnet habe (Beschluss vom 8.7.2015, Az. (3) 121 Ss 69/15 (47/15)).

Was, wenn ich erst später merke, dass es einen Unfall gab?


Natürlich ist es auch denkbar, dass ein Autofahrer erst nach mehreren Kilometern realisiert, dass er womöglich ein anderes Fahrzeug beschädigt hat. Das OLG Düsseldorf hat in einem solchen Fall am 1.10.2007 (Az. III-2 Ss 142/07-69/07 III) entschieden: Dem Fahrer war nicht aufgefallen, dass er ein parkendes Auto gestreift hatte. Allerdings fuhr ihm eine Zeugin einige Kilometer weit hupend hinterher und klärte ihn schließlich auf. Das Gericht erläuterte:

- Entfernt man sich vom Unfallort, ohne etwas von dem Unfall zu wissen, macht man sich nicht strafbar.
- Aber: Man kann sich strafbar machen, wenn man von dem Unfall erfährt, solange noch ein sogenannter "räumlicher und zeitlicher Zusammenhang mit dem Unfallgeschehen" vorhanden ist – solange man sich also noch in der Nähe aufhält und damit zu rechnen ist, dass am Unfallort der Geschädigte auftaucht und wissen will, wo die Beule an seinem Auto herkommt.
- Dieser Zusammenhang entfällt, wenn der Unfallbeteiligte nach dem Unfall innerorts noch fünf bis zehn Minuten lang weitergefahren ist und dabei etwa drei Kilometer zurückgelegt hat, ehe er etwas von dem Unfall erfährt.

Dies war hier der Fall gewesen. Daher wurde der Mann freigesprochen.

Können auch Fußgänger Unfallflucht begehen?


Strafbar können sich durchaus auch Personen machen, die unmotorisiert unterwegs sind – wie zum Beispiel Fußgänger, Radfahrer und Skater. Daher sollte jeder, der in irgendeiner Weise in einen Unfall verwickelt sein könnte, vor Ort bleiben und die Feststellung seiner Personalien und der Art seiner Unfallbeteiligung ermöglichen. Steht die Polizei erst einmal zu Hause vor der Tür, ist ein Strafverfahren unvermeidbar.

Das Oberlandesgericht Düsseldorf befasste sich mit diesem Fall: Ein Mann hatte auf einem Parkplatz eines Supermarktes Einkäufe in sein Auto geladen. Plötzlich rollte sein Einkaufswagen davon und kollidierte mit einem geparkten Auto. Er tat nichts und fuhr nach Hause. Er wurde jedoch ermittelt und erhielt eine Strafanzeige. Das Gericht sah das Ganze als Unfall im Straßenverkehr an. Zum Straßenverkehr gehöre auch das Be- und Entladen und das Betreten von Verkehrsflächen durch Fußgänger. Die Beseitigung des Lackkratzers schlug mit 1.500 Euro zu Buche.

Aus Sicht des Gerichts hatte sich der Mann strafbar gemacht. Zusätzlich zu dem Schaden – den der Unfallgegner nach dem Zivilrecht geltend machen muss - wurde er vom Strafgericht zu einer Geldstrafe verurteilt (Urteil vom 7.11.2011, Az. III-1 RVs 62/11).

Was unterscheidet die Unfallflucht per Auto von der bei Fußgängern?


Entscheidet das Gericht, dass die Tat bei oder im Zusammenhang mit dem Führen eines Kraftfahrzeugs oder unter Verletzung der Pflichten eines Kraftfahrzeugführers begangen wurde, kann es zusätzlich zur Geldstrafe ein Fahrverbot verhängen (§ 44 Abs. 1 StGB). Hier darf man auch das Thema Versicherung nicht vergessen: Falls das eigene Auto des Schadensverursachers beteiligt war, zahlt dessen KfZ-Haftpflichtversicherung den Fremdschaden (nicht die Geldstrafe). Anderenfalls zahlt höchstens seine Privathaftpflicht. Hier gibt es eine Faustregel: War das Auto noch abgeschlossen, war es am Unfall auch nicht beteiligt.

Unfallflucht und Bagatellschäden


Als Bagatellschäden sieht man kleine Schäden an, die mit geringen Kosten zu beseitigen sind oder auf deren Beseitigung man einfach verzichtet. Es gibt hier keine klare betragsmäßige Grenze. Zum Teil ist von 50 Euro bis 400 oder 500 Euro die Rede. Es kommt vor, dass die Staatsanwaltschaft anbietet, das Verfahren einzustellen, wenn der Unfallverursacher einen Strafbefehl akzeptiert. Dieser verpflichtet ihn dann zur Zahlung einer Geldstrafe.
Die im Strafbefehl genannte Strafe mag gering sein. Trotzdem sollte man wissen, dass auch bei einer geringen Strafe ein Eintrag im Bundeszentralregister droht.

Ob es sich empfiehlt, das Angebot anzunehmen, hängt von den Umständen ab. Hier ist anwaltliche Beratung wichtig. Akzeptiert man das Angebot, riskiert man unter Umständen Ärger mit seiner Versicherung. Die Haftpflichtversicherung kann darin nämlich ein Schuldeingeständnis sehen und stellt unter Umständen Regressforderungen. Sie verlangt also vom Kunden den an den Unfallgegner gezahlten Betrag zurück.

Die Kaskoversicherung wiederum sieht womöglich das unerlaubte Entfernen vom Unfallort als Obliegenheitsverletzung an. Denn: Der Kunde muss eine Aufklärung des Unfallgeschehens ermöglichen - dazu gehört auch sein Promillepegel. Diese Überlegung entfällt jedoch bei einem Bagatellschaden.

In der Praxis wird allerdings fast nie ein echter Bagatellschaden vorliegen. Schon ein kleiner Kratzer im Lack wird bei fachgerechter Reparatur heute sehr teuer. Durch Gutachter-Honorare und die Zahlung von Nutzungsausfällen verteuert sich alles noch mehr.

Taktisches Vorgehen im Verfahren: Was ist zu empfehlen?


Manchmal lässt sich mit Hilfe eines Sachverständigengutachtens nachweisen, dass der Fahrer den Unfall nicht bemerkt hat. Wird bei einer Unfallflucht nur das Kennzeichen, nicht aber die Identität des Fahrers festgehalten, kann ein Tatnachweis häufig nur dann geführt werden, wenn der Halter – der dann zunächst als Beschuldigter geführt wird – sich zum Sachverhalt äußert. Für den Halter des Fahrzeugs empfiehlt es sich also, zu den erhobenen Vorwürfen zu schweigen. Dazu ist er berechtigt. Wenn der Halter auf die Frage antwortet, wer den PKW regelmäßig fährt oder gar am Tattag gefahren hat, überführt er möglicherweise einen Angehörigen oder sich selbst, wenn nämlich die Zeugen keine Personenbeschreibung des Fahrers geben können.

Praxistipp zur Unfallflucht


Nach einem Unfall empfiehlt es sich, ausreichend lange zu warten oder die Polizei zu rufen. Es lohnt sich nicht, hier ein Risiko einzugehen. Die Folgen sind in aller Regel schlimmer, wenn Sie sich wegen Unerlaubten Entfernens vom Unfallort verantworten müssen. Kommt es zu einem Straf oder Ermittlungsverfahren, sollten Sie einen Fachanwalt für Verkehrsrecht oder Strafrecht aufsuchen.

(Wk)


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 Günter Warkowski
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