Reise in gefährliches Urlaubsland: Darf ein Elternteil allein entscheiden?

05.07.2023, Redaktion Anwalt-Suchservice
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Mutter,Vater,Kind,Streit,Uneinigkeit Getrennte Eltern: Darf ein Elternteil allein über den Urlaubsort entscheiden? © - freepik
Das Wichtigste in Kürze

1. Gemeinsames Sorgerecht: Bei gemeinsamem Sorgerecht müssen grundsätzlich beide Elternteile der Reise in ein gefährliches Urlaubsland zustimmen.

2. Klärung vor Gericht: Gibt es Streit darüber, kann das Familiengericht ob der Frage angerufen werden, ob der Urlaub im Interesse des Kindeswohls ist. Das Gericht kann entweder die Zustimmung des ablehnenden Elternteils ersetzen oder die Reise untersagen.

3. Kindeswohl: Das Wohl des Kindes steht immer im Zentrum. Reist ein Elternteil ohne Zustimmung des anderen mit dem Kind in ein gefährliches Gebiet, setzt es sich unter Umständen dem Vorwurf der Kindeswohlgefährdung aus.
Die Situation ist gar nicht so selten: Ein Paar mit Kind hat sich getrennt bzw. sich scheiden lassen. Das Kind oder die Kinder leben bei einem der Elternteile. Dieser möchte nun mit den Kindern Urlaub machen - in einem Land, in dem gerade politische Krisen, Terrorgefahr oder Seuchen drohen oder in dem einfach besonders viel Kriminalität herrscht. Kann der andere Elternteil dies unterbinden? Bei wem liegt die Entscheidungsbefugnis? Und wie wirkt sich das Sorgerecht aus? Nachfolgend klären wir diese Fragen anhand eines echten Falles.

Fall vor Gericht: Türkeireise nach Putschversuch


Im Sommer 2016 war die Lage in der Türkei stark von den Auswirkungen des erfolglosen Putschversuchs, einer massiven politischen Säuberungswelle und des Krieges im benachbarten Syrien beeinflusst. Trotzdem wollte eine geschiedene Mutter mit ihrem Kind dort Urlaub machen. Der Vater sah dies als zu riskant an und wollte die Reise verhindern.

Wer hat nach der Scheidung das Sorgerecht für das Kind?


Auch nach einer Scheidung behalten viele Eltern das gemeinsame Sorgerecht für ihre Kinder, auch wenn diese bei einem der Elternteile leben. Das bedeutet: Beide Elternteile haben zumindest in wichtigen Fragen, die über das alltägliche Leben hinausgehen, gemeinsam zu entscheiden. Dazu gehören auch Reisen ins Ausland. Das gemeinsame Sorgerecht ist in der Regel für das Kind das Beste. Streit gibt es jedoch oft, wenn der Elternteil, bei dem das Kind wohnt, umziehen oder gar auswandern will. Oder eben bei einem Urlaub, den der andere Elternteil nicht befürwortet.

Was passiert, wenn sich die Eltern nicht einigen können?


Wenn sich die Eltern bei gemeinsamem Sorgerecht zum Beispiel über einen Auslandsurlaub oder eine Fernreise nicht einigen können, muss das Familiengericht entscheiden. Geregelt ist dies in § 1628 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB). Das Gericht entscheidet aber nicht für die Eltern die Streitfrage, sondern gibt nur vor, welcher Elternteil des Kindes in dieser Frage die Entscheidungsbefugnis hat. Allerdings kann das Gericht dies an Auflagen und Einschränkungen knüpfen.

Wann bekommt ein Elternteil das alleinige Sorgerecht?


Ein Elternteil kann auf zwei Arten das alleinige Sorgerecht erhalten:

- durch Abschluss einer Sorgerechtsvereinbarung zwischen den Eltern,
- durch Entscheidung des Familiengerichts, weil andernfalls das Kindeswohl ernsthaft in Gefahr wäre.

Näheres dazu hier:
Sorgerecht: Was Eltern jetzt dazu wissen müssen!

Fall: Worum ging es vor Gericht?


Eine geschiedene Mutter hatte mit ihrem achtjährigen Sohn einen Badeurlaub im türkischen Antalya geplant. Der Flug sollte direkt von Frankfurt am Main nach Antalya gehen. Die Eltern des Jungen hatten das gemeinsame Sorgerecht. Daher musste die Mutter den Vater um Zustimmung zum geplanten Urlaub bitten. Das tat sie im Mai 2016. Der Vater sagte nein. Er machte sich Sorgen, dass die Reise wegen möglicher Terroranschläge und der aktuellen politischen Lage in dem Land zu gefährlich sei.

Wie erwähnt, können Eltern in einem solchen Fall beim Familiengericht beantragen, die Entscheidungsbefugnis in dieser einzelnen Frage auf einen Elternteil allein zu übertragen. Die Mutter ging nun diesen Weg und stellte beim Amtsgericht Frankfurt den Antrag, ihr durch einstweilige Anordnung die alleinige Entscheidungsmacht über die Urlaubsreise zu geben.

Wie entschied das Gericht zum Urlaub trotz Terrorgefahr?


Das Amtsgericht entsprach dem Antrag der Mutter. Es betonte, dass es hier wegen der Möglichkeit terroristischer Anschläge um eine wichtige Frage ginge. Die Mutter könne nur mit gerichtlich übertragener Allein-Entscheidungsbefugnis gegen den Willen des Vaters mit dem Sohn in die Türkei reisen. Diese Entscheidungsbefugnis übertrug das Gericht der Mutter. Für das Wohl des Kindes sei dies das Beste. Auch habe der Vater sich geweigert, einen anderen Urlaub in einem weniger gefährlichen Land finanziell zu unterstützen.

Was, wenn sich die Gefahrenlage nach der Gerichtsentscheidung verschlimmert?


Der Urlaubstermin rückte näher. Ende Juni fand am Flughafen von Istanbul ein Terroranschlag mit 41 Toten statt. Dann kam es in der Türkei zu einem versuchten Militärputsch. Die Nachrichten aus dem Land zeigten aufgeregte Menschenmengen auf den Straßen und berichteten von über 260 Toten sowie in den Tagen danach von Massenverhaftungen und Entlassungen in Armee, Justiz und Behörden.

Daraufhin ging der Vater nun gegen die einstweilige Anordnung des Amtsgerichts vor und legte Rechtsmittel ein. Seiner Ansicht nach war die Lage in der Türkei nach dem Gerichtsbeschluss noch gefährlicher geworden. Er sei ja durchaus bereit, sich an den Urlaubskosten für eine andere Reise zu beteiligen – nur habe er kein Geld. Die Mutter argumentierte dagegen: Das Auswärtige Amt habe keine spezielle Sicherheitswarnung für Reisen in den Badeort Antalya ausgegeben.

OLG Frankfurt: Wie entschied die höhere Instanz?


Das Oberlandesgericht Frankfurt am Main hatte für die Bedenken des Vaters Verständnis und setzte die einstweilige Anordnung der Vorinstanz vorläufig außer Kraft. Das OLG meinte: Zum gegenwärtigen Zeitpunkt könne eine Reise in die Türkei für das Kind nachteiligere Folgen haben als der Verzicht auf ein paar Tage am Strand. Die möglichen Gefahren durch die politische Lage und die Terrorgefahr stünden der Übertragung der Entscheidungsmacht auf die Mutter entgegen.

Bei der Entscheidung komme es allein darauf an, ob die Sorge des Vaters berechtigt erscheine. Nicht maßgeblich sei dagegen, ob das Auswärtige Amt eine Reisewarnung ausgegeben habe. Bei deren Erteilung würden auch mögliche diplomatische Folgen und wirtschaftliche Auswirkungen berücksichtigt.

Man könne hier die Sorge des Vaters um die Sicherheit seines Kindes nicht einfach als Schikane des Ex-Partners abtun. In der Türkei sei der Ausnahmezustand ausgerufen und eine Umbruchphase habe eingesetzt, die das Leben vieler Menschen auch in den Feriengebieten betreffen und auch dort zu Unruhen führen könne. Damit konnte die Mutter hier nicht ohne Zustimmung des Vaters in die Türkei reisen (OLG Frankfurt a.M. 21.7.2016, Az. 5 UF 206/16).

Praxistipp zum Urlaub mit Kind im Krisengebiet


Trotz vieler schlimmer Fernsehbilder kann sich mancher Bürger hierzulande nicht vorstellen, selbst in gewalttätige politische Auseinandersetzungen, Krieg oder Anschläge hineinzugeraten - schon gar nicht in einem Land, das man nur vom friedlichen Badeurlaub her kennt. Bei geschiedenen Eltern gilt: Je größer die Gefahr, desto stärker fallen die Bedenken des anderen Partners ins Gewicht. Ist keine Einigung mit dem anderen Elternteil möglich, empfiehlt sich eine Beratung bei einem Anwalt für Familienrecht.

(Ma)


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 Ulf Matzen
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