Welche Rechte gewährt die Sozialklausel gekündigten Mietern?
19.05.2025, Redaktion Anwalt-Suchservice

Das Wichtigste in Kürze
1. Widerspruchsrecht des Mieters: Mieter können einer Kündigung widersprechen, wenn der Auszug für sie eine besondere Härte bedeuten würde – etwa wegen hohem Alter, Krankheit oder fehlendem Ersatzwohnraum.
2. Soziale Härte muss begründet sein: Der Mieter muss darlegen, warum der Umzug unzumutbar wäre. Typische Gründe: lange Wohndauer, familiäre Bindungen, Gesundheitsprobleme.
3. Gericht entscheidet im Zweifel: Wenn der Vermieter trotzdem auf Kündigung klagt, prüft das Gericht, ob die Interessen des Mieters schwerer wiegen als die des Vermieters. Dann kann die Kündigung unwirksam sein.
1. Widerspruchsrecht des Mieters: Mieter können einer Kündigung widersprechen, wenn der Auszug für sie eine besondere Härte bedeuten würde – etwa wegen hohem Alter, Krankheit oder fehlendem Ersatzwohnraum.
2. Soziale Härte muss begründet sein: Der Mieter muss darlegen, warum der Umzug unzumutbar wäre. Typische Gründe: lange Wohndauer, familiäre Bindungen, Gesundheitsprobleme.
3. Gericht entscheidet im Zweifel: Wenn der Vermieter trotzdem auf Kündigung klagt, prüft das Gericht, ob die Interessen des Mieters schwerer wiegen als die des Vermieters. Dann kann die Kündigung unwirksam sein.
Dieser Rechtstipp behandelt folgende Themen:
Sozialklausel: Was sagt das Gesetz? Was gilt bei einer außerordentlichen Kündigung? Welche Personen zählen als Familienangehörige? Was ist ein besonderer Härtefall im Sinne der Sozialklausel? Führen physische oder psychische Krankheiten zu Härtefällen? Schützen hohes Alter und Verwurzelung in der Umgebung? Mieterschutz wegen neuer Küche und großen Investitionen? Berufsausbildung und Prüfungsstress als besonderer Härtefall? Schwangerschaft als besonderer Härtefall? Was gilt bei fehlendem Ersatzwohnraum? Gewährt die Sozialklausel Mietern ein unendliches Bleiberecht? Praxistipp zur Sozialklausel Sozialklausel: Was sagt das Gesetz?
Nach § 574 BGB kann ein Mieter der Kündigung widersprechen und eine Fortsetzung seines Mietverhältnisses verlangen, wenn die Kündigung für ihn, seine Familie oder andere Mitglieder seines Haushalts eine Härte darstellen würde, die sich auch unter Beachtung der berechtigten Interessen des Vermieters nicht mehr rechtfertigen lässt. Das heißt: Obwohl eine Kündigung durch den Vermieter zulässig ist, kann die Sozialklausel zugunsten des Mieters wirken.
Was gilt bei einer außerordentlichen Kündigung?
Wenn der Vermieter ausreichend Grund für eine außerordentliche Kündigung hat, gilt der Härtefalleinwand nicht. Mieter können also nur bei einer ordentlichen Kündigung mit dreimonatiger Frist widersprechen und einen Härtefall geltend machen. Ein Beispiel: Der Mieter ist mit über zwei Monatsmieten im Rückstand. Dann darf ihm der Vermieter außerordentlich und fristlos kündigen. In diesem Fall kann der Mieter nicht mit einem Härtefall argumentieren.
Welche Personen zählen als Familienangehörige?
Die Sozialklausel des § 574 BGB bezieht sich auf einen Härtefall, der auch Familienangehörige des Mieters betreffen kann. Als Angehörige in diesem Sinne gelten Ehepartner oder eingetragene Lebenspartner sowie im Haushalt wohnende Verwandte und Verschwägerte. Hinzu kommen die "sonstigen Angehörigen des Haushalts". Damit sind zum Beispiel Lebensgefährten gemeint, deren Kinder oder die Pflegekinder des Mieters.
Was ist ein besonderer Härtefall im Sinne der Sozialklausel?
Das Gesetz definiert nicht genau, wann ein Härtefall vorliegt. Dabei kommt es also auf den Einzelfall an. Ein Härtefall kann persönliche, wirtschaftliche oder soziale Gründe haben. Die normalen Unannehmlichkeiten und Kosten, die jeder Umzug mit sich bringt, reichen jedoch nicht aus. Hier einige Beispiele für mögliche Härtefälle:
Führen physische oder psychische Krankheiten zu Härtefällen?
Erkrankungen kommen als Härtefall in Betracht, wenn sie eine gewisse Intensität haben. Dies kann zum Beispiel der Fall sein, wenn ein Mieter durch eine Krankheit an der Wohnungssuche gehindert wird, oder wenn man befürchten muss, dass seine spezielle Erkrankung andere Vermieter abschreckt (z. B. bei HIV).
Bei psychischen Erkrankungen wird von den Gerichten auch berücksichtigt, dass ein Herausreißen des Mieters aus seiner gewohnten Umgebung seinen Gesundheitszustand verschlechtern könnte (Landgericht Aachen, Urteil vom 28.9.2005, Az. 7 S 66/05).
Der Bundesgerichtshof befasste sich mit dem Fall einer psychisch kranken Mieterin, die ständig bei Nacht erheblichen Lärm veranstaltete, um sich gegen eingebildete Angreifer zu verteidigen. Ihr gestand das Gericht einen Härtefall und damit ein Bleiberecht zu. Bei einem erzwungenen Wechsel des persönlichen Umfeldes hätte eine erhebliche Suizidgefahr vorgelegen (Urteil vom 8.12.2004, Az. VIII ZR 218/03).
Die Gerichte erkennen immer häufiger eine Suizidgefahr des Mieters als Härtegrund an. Manche Gerichte berücksichtigen bei ihrer Entscheidung, ob der Mieter bereit ist, sich einer fachärztlichen Behandlung zu unterziehen. Allerdings können hohes Alter und Verwurzelung in der Umgebung die Folge haben, dass ein Gericht bei Suizidgefahr die mangelnde Behandlungsbereitschaft des Mieters außer Acht lässt (Landgericht Berlin, Urteil vom 4.5.2010, Az. 65 S 352/09).
Schützen hohes Alter und Verwurzelung in der Umgebung?
In letzter Zeit wird beides – auch zusammen – nicht mehr ohne Weiteres als Härtegrund im Sinne der Sozialklausel anerkannt. Meist wird verlangt, dass noch weitere Faktoren dazukommen, zum Beispiel Pflegebedürftigkeit oder eine Erkrankung. Dazu hat der Bundesgerichtshof am 22.5.2019 entschieden (Az. VIII ZR 180/18). Dabei betonte der BGH, dass die Härte auf Seiten des Mieters die Belange des Vermieters bei der nötigen Interessenabwägung nicht deutlich überwiegen müsse, sondern nur überhaupt.
Kämen zu hohem Alter und Verwurzelung in der gewohnten Umgebung Erkrankungen hinzu (hier Demenz), wegen denen beim Mieter im Falle seines Herauslösens aus seiner näheren Umgebung eine Verschlechterung seines Gesundheitszustandes zu erwarten sei, könne dies einen Härtefall begründen. Erlaube der gesundheitliche Zustand des Mieters einen Umzug nicht oder bestehe bei einem Wohnungswechsel die ernste Gefahr einer erheblichen Verschlechterung der gesundheitlichen Situation des (schwer) erkrankten Mieters, könne allein dies schon einen Härtegrund darstellen.
Macht ein Mieter unter Vorlage eines ärztlichen Attestes einen medizinischen Härtegrund geltend und bestreitet der Vermieter das Vorliegen dieser Erkrankung, muss das Gericht dem BGH zufolge auf jeden Fall ein Sachverständigengutachten einholen. Als Entscheidungsgrundlage darf dieses nur benutzt werden, wenn es Aussagen zu Art, Umfang und konkreten Auswirkungen der Erkrankung auf die Lebensführung des betroffenen Mieters im Allgemeinen und im Falle des Verlustes seiner vertrauten Umgebung macht.
Auch in einem Urteil vom 3.2.2021 betonte der BGH erneut diese Ansichten. Es ging dabei um eine fast 90-jährige Mieterin. Dieser hatte ihre Vermieterin wegen Eigenbedarfs gekündigt, weil sie die Berliner Wohnung für Wochenendaufenthalte nutzen wollte. Das Landgericht war allein wegen des Alters der Mieterin von einem Härtefall ausgegangen. Nach dem BGH müssen aber gründlich alle Aspekte auf beiden Seiten einbezogen werden – von der Lebensplanung der Vermieterin bis hin zu einem schon vom Amtsgericht in Auftrag gegebenen Gutachten über die Folgen des Verlustes der gewohnten Umgebung für die Seniorin. Der Fall wurde an die Vorinstanz zurückverwiesen (Az. VIII ZR 68/19).
Mieterschutz wegen neuer Küche und großen Investitionen?
Allerdings kann ein Härtegrund auch finanzieller Art sein. Zum Beispiel, wenn der Mieter im Vertrauen auf das Weiterbestehen des Mietverhältnisses hohe Geldbeträge in seine Mietwohnung investiert hat, etwa für eine neue Einbauküche. Die Voraussetzung ist jedoch, dass diese Investitionen mit stillschweigender oder ausdrücklicher Erlaubnis des Vermieters vorgenommen wurden. Auch dürfen sie nicht allzu lange zurückliegen (Landgericht Kiel, Beschluss vom 18.10.1990, Az. 1 S 146/90).
Berufsausbildung und Prüfungsstress als besonderer Härtefall?
Während der Examensvorbereitung können Mieter ebenfalls einen Härtefall geltend machen. Dies gilt auch während einer Diplomarbeit, dem Schulabschluss oder einer anderen Prüfungsphase und es gilt zumindest so lange, bis die Prüfung vorüber ist (AG Dortmund, Urteil vom 7.10.2003, Az. 125 C 6414/03). Denkbar ist ein Härtefall auch, wenn der Mieter in der Wohnung mit Erlaubnis des Vermieters seinen Beruf ausübt und ihm dies durch den Umzug erheblich erschwert würde.
Schwangerschaft als besonderer Härtefall?
Die Schwangerschaft einer Mieterin gilt zwar nicht zwingend als Härtegrund im Sinne der Sozialklausel. Sie kann jedoch in Zeiten erhöhter körperlicher und psychischer Belastung durchaus als solcher anerkannt werden. Dies gilt speziell kurz vor der Entbindung und für etwa zehn Wochen danach (Landgericht Stuttgart, Urteil vom 6.12.1990, Az. 16 S 378/90).
Was gilt bei fehlendem Ersatzwohnraum?
Immerhin nennt das Gesetz zumindest einen einzigen konkreten Härtefallgrund: dass der Mieter keinen Ersatzwohnraum finden kann. Wenn ein Mieter also nach Zugang der Kündigung alles Zumutbare getan hat, um eine neue Bleibe zu finden, und trotzdem keine Wohnung gefunden hat, die angemessen ist und zu zumutbaren Bedingungen vermietet wird, handelt es sich um einen Härtefall (§ 574 Abs. 2 BGB). Kein Härtefall ist es hingegen, wenn zwar Ersatzwohnraum zu finden ist, aber nur unter schwierigen Bedingungen. Dann gewähren die Gerichte unter Umständen nur eine angemessene Räumungsfrist.
Gewährt die Sozialklausel Mietern ein unendliches Bleiberecht?
Der Anspruch auf Fortsetzung des Mietverhältnisses ist in der Regel auch bei einem Härtefall zeitlich begrenzt. Bei einem Härtegrund, der nach einer gewissen Zeit nicht mehr besteht (z. B. Examen, Schwangerschaft), darf der Vermieter anschließend wieder kündigen. Auch hier sehen sich die Gerichte jedoch den Einzelfall an. Bei gesundheitlichen Problemen ist ein unbefristetes Bleiberecht im Bereich des Möglichen.
Praxistipp zur Sozialklausel
Hat Ihr Vermieter Ihnen gekündigt und Sie halten es für möglich, dass ein besonderer Härtefall im Sinne der Sozialklausel vorliegen könnte? Ein Fachanwalt für Mietrecht kann Ihren Fall prüfen und Ihnen Tipps für das sinnvollste Vorgehen geben.
(Bu)