Zwangsversteigerung / Zwangsräumung: Ablauf und Rechte des Schuldners

22.04.2024, Redaktion Anwalt-Suchservice
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Justizia,Zwangsversteigerung,Zwangsvollstreckung,Vollstreckungsgericht Bei vielen Zwangsversteigerungen werden Immobilien unter Wert versteigert. © - freepik
Das Wichtigste in Kürze

1. Vollstreckungsschutz: Bedeutet eine Zwangsvollstreckung unter voller Würdigung des Schutzbedürfnisses des Gläubigers wegen ganz besonderer Umstände eine Härte für den Schuldner, die nicht mit den guten Sitten vereinbar ist, kann das Gericht die Vollstreckung aussetzen.

2. Vollstreckungsschutzantrag: Ein Vollstreckungsschutzantrag in der Revisionsinstanz ist in der Regel nur dann zuläsiig, wenn auch in den unteren Gerichtsinstanzen bereits Vollstreckungsschutz beantragt wurde.

3. Zustellungen: Das Vollstreckungsgericht muss die Beteiligten über alle anstehenden Termine und Beschlüsse durch Zustellung der Beschlüsse und Bekanntmachungen informieren.
Zwangsversteigerungen gibt es täglich Hunderte in Deutschland. Gründe für die Versteigerungen sind im Wesentlichen der Verlust des Arbeitsplatzes, familiäre Probleme oder mangelnde finanzielle Disziplin. Versteigerungen von Immobilien führen oft zu "Verschleuderungen", also Verwertungen weit unter dem Verkehrswert.

Unter welchen Voraussetzungen erhält ein Schuldner Vollstreckungsschutz?


§ 765 a ZPO räumt Schuldnern einen Vollstreckungsschutz ein: Auf Antrag des Schuldners kann das Vollstreckungsgericht eine Maßnahme der Zwangsvollstreckung ganz oder teilweise aufheben, untersagen oder einstweilen einstellen. Voraussetzung ist, dass die Maßnahme unter voller Würdigung des Schutzbedürfnisses des Gläubigers wegen ganz besonderer Umstände eine Härte bedeutet, die mit den guten Sitten nicht vereinbar ist. Das Gericht kann die in § 732 Abs. 2 bezeichneten Anordnungen erlassen, etwa die Vollstreckung einstweilen einstellen. Betrifft die Maßnahme ein Tier, muss das Vollstreckungsgericht bei der von ihm vorzunehmenden Abwägung die Verantwortung des Menschen für das Tier berücksichtigen.

Maßnahmen zur Herausgabe von Sachen kann der Gerichtsvollzieher bis zur Entscheidung des Vollstreckungsgerichts aufschieben, aber nicht länger als eine Woche. Voraussetzung ist, dass der Schuldner ihm die Voraussetzungen des obigen Absatzes glaubhaft macht und dass diesem eine rechtzeitige Anrufung des Vollstreckungsgerichts nicht möglich war.

Geht es um eine Zwangsräumung, muss der Antrag auf Vollstreckungsschutz spätestens zwei Wochen vor dem festgesetzten Räumungstermin gestellt werden. Ausnahme: Die Gründe, auf denen der Antrag beruht, sind erst nach diesem Zeitpunkt entstanden oder der Schuldner konnte unverschuldet nicht rechtzeitig den Antrag stellen.

Das Vollstreckungsgericht hebt seinen Beschluss auf den Antrag hin auf oder ändert ihn, wenn dies mit Rücksicht auf eine Änderung der Sachlage geboten ist.

Gefahr für Leib und Leben: Suizidrisiko durch Zwangsräumung?


Muss der Schuldner seine Wohnung verlassen, besteht in einigen Fällen ein Gesundheitsrisiko. Dies kann der Fall sein, wenn der oder die Betreffende so krank ist, dass ein Umzug seine Gesundheit gefährden würde. Andererseits kann auch ein Suizidrisiko bestehen. Wie geht das Recht damit um?

Dazu besagt eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (Beschluss vom 27.6.2005, Az. 1 BvR 224/05):

Vom Schuldner kann jedes zumutbare Bemühen um eine Verringerung seines Gesundheitsrisikos verlangt werden. Was ihm zumutbar ist, entscheidet im Einzelfall das Vollstreckungsgericht. Dieses kann ihm Auflagen erteilen, sich eine andere Wohnung zu suchen oder sich in ärztliche Behandlung zu begeben. Nur im absoluten Ausnahmefall ist eine Einstellung der Zwangsvollstreckung möglich.

Der Bundesgerichtshof hat 2005 entschieden:

Wenn bei einer Zwangsräumung bei einem nahen Angehörigen des Schuldners Suizidgefahr besteht, ist diese bei der Anwendung des § 765a ZPO in gleicher Weise wie eine beim Schuldner selbst bestehende Gefahr zu berücksichtigen. Aber: Selbst dann, wenn mit einer Zwangsvollstreckung eine konkrete Gefahr für Leben und Gesundheit des Schuldners oder eines nahen Angehörigen verbunden ist, kann eine Maßnahme der Zwangsvollstreckung nicht ohne weiteres einstweilen eingestellt werden. Erforderlich ist stets eine Abwägung der Interessen der Betroffenen mit den Vollstreckungsinteressen des Gläubigers.

Auch bei konkreter Suizidgefahr ist sorgfältig zu prüfen, ob dieser Gefahr nicht auch auf andere Weise als durch Einstellung der Zwangsvollstreckung wirksam begegnet werden kann. Auch der Gefährdete selbst soll das ihm Zumutbare tun, um die Risiken, die für ihn im Fall der Vollstreckung bestehen, zu verringern (Beschluss vom 4.5.2005, Az. I ZB 10/05).

2023 hörte sich dies allerdings beim BGH dann schon etwas anders an:

Das Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit aus Art. 2 Abs. 2 Grundgesetz verpflichte die Vollstreckungsgerichte, bei der Prüfung der Voraussetzungen für einen Vollstreckungsaufschub auch die Wertentscheidungen des Grundgesetzes und die dem Schuldner in der Zwangsvollstreckung gewährleisteten Grundrechte zu berücksichtigen. Eine solche Würdigung aller Umstände könne in besonderen Einzelfällen dazu führen, dass die Vollstreckung für einen längeren Zeitraum und - in absoluten Ausnahmefällen - auf unbestimmte Zeit einzustellen sei.

Der Bundesgerichtshof betonte außerdem, dass eine Gefährdung des Grundrechts des Schuldners auf Leben und körperliche Unversehrtheit nicht nur bei Suizidgefahr gegeben sein könne. Auch andere gesundheitliche Risiken könnten eine mit den guten Sitten unvereinbare Härte im Sinne von § 765a Abs. 1 ZPO darstellen. Dabei seien auch Lebens- und Gesundheitsgefahren im Anschluss an die Zwangsräumung einzubeziehen (Beschluss vom 1.6.2023, Az. I ZB 108/22).

Was ist das "Berliner Modell" bei der Zwangsräumung?


Unter dem "Berliner Modell" versteht man eine Zwangsräumung, bei der im Prinzip nur der Schuldner aus der Wohnung entfernt und die Schlösser getauscht werden. Die Möbel und Sachen des Schuldners bleiben zunächst in der Wohnung. Dadurch werden Kosten für Spedition und Einlagerung gespart und Beschädigungen an fremdem Eigentum vermieden. Unpfändbare Sachen wie etwa persönliche Papiere muss der Gläubiger dem Schuldner herausgeben, pfändbare Sachen darf er nach Ablauf einer Frist zur Deckung der Schulden verwerten.

Der Bundesgerichtshof hat dieses Modell 2006 für zulässig erklärt. Das Vermieterpfandrecht an den Sachen in der Wohnung habe Vorrang vor dem Leerräumen der Wohnung. Der Gerichtsvollzieher könne nicht auf einem Auslagenvorschuss für einen Spediteur bestehen, wenn der Vermieter erkläre, dass sich die Räumung allein auf die Rückgabe der Räume beschränke und dass die Einrichtung in der Wohnung bleiben solle (Urteil vom 10.8.2006, Az. I ZB 135/05).

Wann ist ein Vollstreckungsschutzantrag zulässig?


Vollstreckungsschutzanträge können in der Revisionsinstanz in der Regel nur dann gestellt werden, wenn dies auch in den unteren Gerichtsinstanzen geschehen ist.
Der BGH entschied in einem Ausnahmefall: In einem Räumungsrechtsstreit stellten die Beklagten keinen Vollstreckungsschutzantrag, weil der Kläger zugesichert hatte, erst aus einem rechtskräftigen Urteil zu vollstrecken. Als der Kläger dann doch vorher vollstreckte, verlangten die Beklagten die einstweilige Einstellung der Vollstreckung. Der BGH gab dem Antrag statt (Beschluss vom 23.5.2006, Az. VIII ZR 28/06).

Sind Scheingebote in der Zwangsversteigerung erlaubt?


Lange war es gängige Praxis, dass Gläubiger im ersten Versteigerungstermin (Schein-)Gebote abgegeben haben. Ziel war, die sogenannte 7/10 Grenze zu unterlaufen. Damit hatte der Bieter die Möglichkeit, nach einer Versagung des Zuschlags im ersten Versteigerungstermin dann in einem weiteren Versteigerungstermin das Grundstück für weniger als die Hälfte des Grundstücksverkehrswerts zu ersteigern. Diesem Vorgehen hat der Bundesgerichtshof Grenzen gesetzt.

Der Bundesgerichtshof hat dazu nämlich entschieden: Das Eigengebot eines Gläubigervertreters ist unwirksam und zurückzuweisen, wenn er von vornherein nicht an dem Erwerb des Grundstücks interessiert ist, sondern das Gebot nur abgibt, damit in einem weiteren Versteigerungstermin einem andern der Zuschlag auf ein Gebot unter 7/10 oder unter der Hälfte des Grundstückswerts erteilt werden kann.

Gebote in Zwangsversteigerungsverfahren, die unter der Hälfte des Grundstückswertes liegen, sind nicht allein aus diesem Grund unwirksam und zurückzuweisen. Wenn ein an dem Erwerb des Grundstücks interessierter Bieter ein solches Gebot nur abgibt, um die Rechtsfolgen des §§ 85 a I und II ZVG herbeizuführen, ist das weder rechtsmissbräuchlich, noch ist das Gebot unwirksam oder ein Scheingebot (Beschluss vom 24.11.2005, Az. V ZB 98/05).

Wann und wie ist vom Bieter bei der Zwangsversteigerung eine Sicherheit zu leisten?


Eine Sicherheitsleistung ist (nur) auf Antrag eines Verfahrensbeteiligten zu erbringen. Die Sicherheit ist in Höhe von 1/10 des Verkehrswertes zu leisten.

Nach § 69 des Zwangsvollstreckungsgesetzes (ZVG) ist eine Sicherheitsleistung in bar ausgeschlossen. Erlaubt sind Bundesbankschecks und Verrechnungsschecks, die frühestens am dritten Werktag vor dem Versteigerungstermin ausgestellt worden sind. Diese müssen von einem deutschen Kreditinstitut oder der Bundesbank ausgestellt worden und in Deutschland einlösbar sein.

Außerdem ist als Sicherheitsleistung eine unbefristete, unbedingte und selbstschuldnerische Bürgschaft eines Kreditinstituts zugelassen, wenn die Verpflichtung aus der Bürgschaft im Inland zu erfüllen ist. Dies gilt nicht für Gebote des Schuldners oder eines neu eingetretenen Eigentümers.

Die Sicherheitsleistung kann auch durch Überweisung auf ein Konto der Gerichtskasse bewirkt werden, wenn der Betrag der Gerichtskasse vor dem Versteigerungstermin gut geschrieben ist und ein Nachweis hierüber im Termin vorliegt. Auf entsprechende Erklärung hin, wird die geleistete Bietungssicherheit als Teilzahlung auf das Bargebot mit der Maßgabe behandelt, dass hierfür eine Verzinsung entfällt.

Zustellungen an die Beteiligten


Das Vollstreckungsgericht muss die Beteiligten über alle anstehenden Termine und Beschlüsse durch Zustellung der Beschlüsse und Bekanntmachungen informieren. Ist einer der Beteiligten unbekannt verzogen, ist eine Zustellung grundsätzlich unmöglich. Der Bundesgerichtshof hat entschieden, dass ein Gericht dennoch verpflichtet ist, jedes Schreiben zuzustellen. Es kann ein Zustellungsvertreter bestellt werden.

Nachdem der Meistbietende in dem Fall des BGH für das zu versteigernde Haus nicht gezahlt hatte, wurde nach vorübergehender Einstellung das Verfahren fortgesetzt. In der Zwischenzeit hatte ein weiterer Beteiligter gerügt, dass er nicht als ein solcher behandelt wurde, weil er sein Wohnungsrecht bei Gericht nicht angemeldet hatte. Der Festsetzungsbeschluss über den Wert des Grundstücks sei ihm nicht zugestellt worden. Der Meistbietende wurde bereits über den Beschluss, das Verfahren fortzusetzen, nicht informiert, da er unbekannt verzogen war. Beide legten beim Landgericht sofortige Beschwerde ein, die zurückgewiesen wurde.

Der BGH gab jedoch den Beteiligten Recht. Auch wenn der Meistbietende seine neue Anschrift nicht mitgeteilt habe, könne daraus nicht geschlossen werden, dass er eine Zustellung absichtlich verhindern wollte. Auch bei Nachlässigkeit des Beteiligten sei das Gericht daher zur Zustellung verpflichtet und müsse notfalls einen Zustellungsvertreter bestellen. Der zweite Beteiligte habe deutlich zum Ausdruck gebracht, dass er aufgrund des im Grundbuch eingetragenen Wohnungsrechts als Beteiligter behandelt werden wollte. Dies sei für eine Berücksichtigung seines Rechts bei Gericht ausreichend (Beschluss vom 7.10.2010, Az. V ZB 37/10).

Wie funktioniert die Räumung nach der Zwangsversteigerung?


Wird eine Immobilie zwangsversteigert, leben die Schuldner meist noch darin. Nun möchte aber der Ersteigerer einziehen. Bewohnen die Eigentümer das Objekt selbst, ist nur eine schriftliche Aufforderung zur Räumung des Objekts erforderlich, keine Kündigung. Der Zuschlagsbeschluss ist gleichzeitig Vollstreckungstitel. Es sind keine weiteren gerichtlichen Schritte nötig.

Der Gerichtsvollzieher kann mit der zwangsweisen Räumung beauftragt werden, wenn die Eigentümer der Aufforderung zur Räumung nicht nachkommen. Erforderlich ist dazu nur eine Vollstreckungsklausel zu dem Zuschlagsbeschluss.

Beschwerde gegen den Zuschlag bei der Zwangsversteigerung


Gegen den Zuschlag bei einer Zwangsversteigerung kann man das Rechtsmittel der Beschwerde eilegen. Die Zuschlagsbeschwerde ist in § 96 ZVG geregelt.

Einlegen können sie alle Beteiligten, außerdem der Ersteigerer, ein für zahlungspflichtig erklärter Dritter, im Falle der Versagung des Zuschlags der Gläubiger sowie in beiden Fällen auch ein Bieter, dessen Gebot nicht erloschen ist, sowie derjenige, welcher nach § 81 ZVG an die Stelle des Bieters treten soll.

Die Beschwerde kann nur darauf gestützt werden, dass eine der Vorschriften der §§ 81, 83 bis 85a verletzt oder dass der Zuschlag unter anderen als den der Versteigerung zu Grunde gelegten Bedingungen erteilt wurde.

Die Frist für die Beschwerde gegen einen Beschluss des Vollstreckungsgerichts, durch welchen der Zuschlag versagt wird, beginnt mit der Verkündung des Beschlusses. Die Frist beträgt zwei Wochen. Das gleiche gilt im Falle der Erteilung des Zuschlags für die Beteiligten, welche im Versteigerungstermin oder im Verkündungstermin erschienen waren.

Praxistipp zur Zwangsversteigerung


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