Psychischer Schock: Wann gibt es Schmerzensgeld?

01.03.2024, Redaktion Anwalt-Suchservice / Lesedauer ca. 4 Min. (870 mal gelesen)
Notarzt,Krankenwagen,Schock,Schmerzensgeld Unfall: Angehörige können Anspruch auf Schmerzensgeld haben. © Bu - Anwalt-Suchservice
Das Wichtigste in Kürze

1. Schockschaden: Schmerzensgeld kann es auch für erlittene seelische Schmerzen, z.B. wegen des Todes eines nahen Angehörigen im Zuge eines Verkehrsunfalles, geben.

2. Voraussetzungen: Einen Anspruch auf Schmerzensgeld wegen eines Schockschadens haben nur nahe Angehörige, die eine über das zu erwartende Maß hinausgehende seelische Erschütterung erlitten haben.

3. Ausnahme: Die Gerichte setzen für einen solchen Anspruch strenge Maßstäbe an. Schadensersatz oder Schmerzensgeld sind grundsätzlich dem eigentlichen Unfallopfer vorbehaltene Ansprüche. Ein Schmerzensgeld für einen Schockschaden eines nahen Angehörigen ist daher der Ausnahmefall.
Ein Schock ist einerseits ein medizinischer Zustand, der oft zum Beispiel Unfallopfer betrifft. Ein solcher Schock ist oft mit einem Kreislaufversagen verbunden. Andererseits versteht man unter einem Schock aber auch eine besonders starke seelische Erschütterung. Diese kann etwa jemanden betreffen, der gerade eine tragische Nachricht bekommen oder den Tod eines Angehörigen miterlebt hat. Im letzteren Fall sind unter Umständen Schmerzensgeldansprüche möglich.

Welche Rechtsgrundlage hat ein Anspruch wegen Schockschadens?


Ein Beispiel für einen Schock, der einen Anspruch auf Schmerzensgeld auslösen kann, ist der Schock durch den Tod oder einen schweren Unfall eines nahen Angehörigen. Eine solche Nachricht oder das persönliche Miterleben können nämlich zu seelischen Problemen oder gar einer dauerhaften Erkrankung führen.

Juristisch ist schon lange anerkannt, dass auch für erlittene seelische Schmerzen ein Schmerzensgeld nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) verlangt werden kann. Man muss hier jedoch sehr genau auf den Einzelfall schauen, denn nicht jede ernste seelische Erschütterung rechtfertigt einen solchen Anspruch. Daher wenden die Gerichte in diesem Fall besonders strenge Maßstäbe an. Schließlich erhält auch nach einem Unfall normalerweise nur derjenige Schadensersatz oder Schmerzensgeld, der selbst dabei war und auch selbst körperliche Verletzungen erlitten hat. Ein Schmerzensgeld für einen Schockschaden ist daher eher der Ausnahmefall.

Unter welchen Voraussetzungen besteht ein Anspruch auf Schmerzensgeld?


Eine gute Chance, vor Gericht Schmerzensgeld für einen Schockschaden zugesprochen zu bekommen, haben nur nahe Angehörige einer bei einem Unfall getöteten oder schwer verletzten Person. Ihr Anspruch kann sich zum Beispiel gegen den Verursacher eines Unfalls richten.

Zu den Voraussetzungen gehört, dass der durch den Schock Geschädigte über das normalerweise bei einem solchen Ereignis zu erwartende Maß hinaus eine seelische Erschütterung erlitten hat. Seine psychische Reaktion muss also für sich genommen schon als ein Krankheitszustand anzusehen sein.

Maßgeblich ist auch der Anlass für den Schock. Dieser muss auch aus objektiver Sicht von Dritten nachvollziehbar sein. Er muss auch nach allgemeiner Ansicht geeignet sein, um eine derartig starke seelische Erschütterung auszulösen.

Wer gilt als naher Angehöriger, der Anspruch auf Schmerzensgeld haben kann?


Beim Schockschaden werden Eltern, Ehepartner oder Kinder als nahe Angehörige angesehen. Wenn ein Freund oder Bekannter bei einem Unfall verletzt wurde, besteht kein Anspruch auf Schmerzensgeld wegen eines Schockschadens.

Beispiel: Das Amtsgericht Oberhausen hat 2014 die Klage einer Frau abgewiesen. Diese hatte miterlebt, wie die mit ihr befreundete Nachbarin von einem Auto angefahren wurde. Die Klägerin selbst hatte sich nur durch einen schnellen Sprung vor dem Überfahrenwerden retten können. Das Gericht wies ihre Klage auf Schmerzensgeld wegen eines Schockschadens ab (Urteil vom 30.1.2014, Az. 37 C 2749/12).

Schmerzensgeld wegen Schockschadens bei Todesfall mit schweren Folgen?


Anders entschied das Oberlandesgericht Nürnberg im Fall eines Elternpaares, dem ein Schmerzensgeld zugesprochen wurde. Bei einem tragischen Verkehrsunfall waren alle drei Kinder des Paares ums Leben gekommen. Die Nachricht vom Tod ihrer Kinder hatte das Leben der Eltern für immer verändert. Der Vater musste sich in teils stationäre psychiatrische Behandlung begeben und war arbeitsunfähig. Die Mutter betreute ihn. Sie hatte jedoch selbst schwerste Depressionen und verlor durch die dauernden krankheitsbedingten Fehlzeiten ihre Arbeitsstelle. Hier sprach das Gericht dem Vater 30.000 und der Mutter 20.000 DM Schmerzensgeld zu (Urteil vom 1.8.1995, Az. 3 U 468/95).

Schmerzensgeld wegen Schockschadens bei Unfalltod des Ehepartners?


Das Oberlandesgericht Hamm beschäftigte sich mit dem Fall einer schwangeren Frau, die bei der Nachricht vom Unfalltod ihres Mannes einen Schock erlitten hatte. Das Gericht gestand ihr jedoch kein Schmerzensgeld zu. Die von ihr geschilderten Folgen – Schweißausbrüche, Pulsrasen, zitternde Beine und vorübergehende Wehen – lägen noch im Bereich der normalen Trauerreaktion. Damit müsse man bei einer solch schlimmen Nachricht rechnen. Das Kriterium "über das zu erwartende Maß hinaus" war hier wohl nicht erfüllt gewesen (Urteil vom 22.2.2001, Az. 6 U 29/00).

Schmerzensgeld wegen Schockschadens bei ärztlichem Kunstfehler?


Der Bundesgerichtshof fällte 2019 ein wichtiges Urteil: Ein Schmerzensgeld aufgrund eines Schockschadens kann nicht nur nach einem Unfall gewährt werden. Auch eine fehlerhafte ärztliche Behandlung kann einen solchen Anspruch auslösen.

In diesem Fall ging es um einen Mann, bei dessen Routineoperation Komplikationen aufgetreten waren. Diese führten zu einer Entzündung. Nach vergeblichem Versuch einer medikamentösen Behandlung wurde eine weitere Operation vorgenommen. Späteren Gutachten zufolge fand diese jedoch zu spät und mit einer falschen Operationstechnik statt. Später einigte sich der Patient mit der Haftpflichtversicherung der Klinik auf eine Abfindung in Höhe von 90.000 Euro.

Auch seine Ehefrau ging jedoch vor Gericht und machte einen Schockschaden geltend. Dass der einfache Eingriff infolge von Behandlungsfehlern in einen wochenlangen Überlebenskampf ausgeartet sei, habe bei ihr eine schwere Depression mit ausgeprägten psychosomatischen Beschwerden und Angstzuständen verursacht.

Als der Fall vor den BGH kam, war der Mann inzwischen verstorben. Der BGH sah in dem Fall anders als die Vorinstanzen keinen Ausdruck des "allgemeinen Lebensrisikos". Die psychische Erkrankung der Frau sei direkt durch die Falschbehandlung ihres Mannes verursacht worden. Daher wurde ihr ein Schmerzensgeld wegen eines Schockschadens zugesprochen (Urteil vom 21. Mai 2019, Az. VI ZR 299/17).

Schmerzensgeld wegen Schockschadens wegen eingeweckter Regenwürmer?


Ganz und gar auf Granit biss andererseits ein Familienvater, der einen Schockschaden aus einem ganz anderen Grund geltend machen wollte: Er hatte beim Weihnachtsessen zwei tote Regenwürmer in einem Glas mit eingelegter Paprika gefunden. Der Mann behauptete, dass daraufhin seine ganze Familie unter Brechreiz gelitten habe und man das Weihnachtsessen habe abbrechen müssen.
Seine Klage auf Schmerzensgeld wegen eines Schockschadens wies das Amtsgericht Aalen jedoch recht vehement ab: Regenwürmer gehörten zwar - zumindest hierzulande - nicht ins Essen. Trotzdem sei der Anblick eines solchen Tieres weder ungewöhnlich noch besonders schockierend (Urteil vom 16.9.1999, Az. 3 C 811/99).

Praxistipp zum Schmerzensgeld wegen Schockschadens


Ein Schockschaden kann nach neuerer Rechtsprechung nicht nur bei psychischen Belastungen infolge eines Unfalls geltend gemacht werden, sondern auch bei einem Schock, der durch den Tod oder die schwere Verletzung eines nahen Angehörigen aus anderen Gründen verursacht wurde. Ein auf das Zivilrecht spezialisierter Rechtsanwalt kann Sie zu Ihrem Fall individuell beraten.

(Bu)


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 Stephan Buch
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