Für wen gilt die Pflicht zur Arbeitszeiterfassung?

13.06.2023, Redaktion Anwalt-Suchservice
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Arbeitszeiterfassung,Arbeitszeitgesetz,Zeiterfassungssystem,Arbeitgeber Die Arbeitszeiterfassung wird jetzt auch gesetzlich geregelt. © - freepik
Das Wichtigste in Kürze

1. Pflicht zur Erfassung: Nach einem Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 3. September 2022 sind grundsätzlich alle Arbeitgeber verpflichtet, die Arbeitszeiten ihrer Angestellten zu erfassen. Damit soll die Einhaltung des Arbeitsschutzgesetzes gewährleistet werden.

2. Vertrauensarbeitszeit: Die sogenannte Vertrauensarbeitszeit, also ein Arbeitszeitmodell, bei dem es keine festen Arbeitszeiten gibt, sondern nur einen ungefähren Zeitrahmen und eine Ergebnisvorgabe, hat nach diesem Urteil ausgedient.

3. Neues Gesetz: Die Bundesregierung plant ein neues Arbeitszeitgesetz, dass die Arbeitgeber verpflichten soll, eine elektronische Arbeitszeiterfassung einzuführen. Auch die Vertrauensarbeitszeit soll nach dem Gesetzesentwurf weiter möglich sein - allerdings nur mit Erfassung der Arbeitszeiten. Tarifvertragsparteien sollen zudem Ausnahmen von der Pflicht zur täglichen elektronischen Arbeitszeiterfassung vereinbaren können.
Die gute alte Stechuhr ist aus der Mode gekommen. Immer mehr Betriebe machen von flexiblen Arbeitszeitmodellen Gebrauch. In manchen Fällen kommt es gar nicht mehr auf die Arbeitszeit an, sondern auf die Erfüllung bestimmter Aufgaben. Und natürlich ist auch die Zahl der Menschen gestiegen, die im Homeoffice tätig sind. Zwar gibt es moderne Zeiterfassungssysteme etwa per App. Oft ist jedoch zweifelhaft, ob diese Datenschutzregeln entsprechen. Welche Regeln gelten jetzt zur Zeiterfassung und welche Gesetzesänderungen sind geplant?

Wie hat das Bundesarbeitsgericht zur Zeiterfassung entschieden?


Die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom September 2022 beruht auf einem Urteil des Europäischen Gerichtshofes. Dieser hatte zuvor entschieden, dass alle Arbeitgeber in den Mitgliedsstaaten der EU verpflichtet sein sollten, verlässliche und objektiv zugängliche Arbeitszeiterfassungssysteme einzuführen. Zweck sollte es sein, die täglich geleistete Arbeit zum Schutz der Arbeitnehmer genau zu erfassen (Urteil vom 14.5.2019, Az. C-55/18).

Vor dem Bundesarbeitsgericht hatte ein Betriebsrat geklagt, um die Einführung einer elektronischen Zeiterfassung in einem Betrieb zu erreichen. Das Bundesarbeitsgericht räumte ein, dass dies eine stärkere Kontrolle der Arbeitnehmer durch den Arbeitgeber ermögliche. Andererseits hätten aber auch die Arbeitnehmer das Recht auf mehr Kontrolle - um sicherzustellen, dass Überstunden korrekt bezahlt würden und dass man ihnen die gesetzlichen Ruhepausen nicht verweigere.

Das Bundesarbeitsgericht legte in seinem Urteil den § 3 Abs. 2 Nr. 1 Arbeitsschutzgesetz neu aus. Diese Vorschrift enthält die Grundpflichten des Arbeitgebers. Dazu gehört, dass der Arbeitgeber zum Schutz der Sicherheit und der Gesundheit seiner Arbeitnehmer für eine geeignete Organisation sorgen und die erforderlichen Mittel dafür bereitstellen muss. Das Bundesarbeitsgericht hat diese allgemeine Formulierung nun so ausgelegt, dass der Arbeitgeber zur Zeiterfassung verpflichtet sei (Urteil vom 13.09.2022, Az. 1 ABR 22/21).

Das Gerichtsurteil war ab seiner Veröffentlichung von allen Arbeitgebern zu beachten, und zwar unabhängig von der Unternehmensgröße und dem Bestehen eines Betriebsrates. Eine genaue gesetzliche Regelung bestand jedoch nicht.

Welche Fragen blieben beim Thema Zeiterfassung bisher offen?


Oft wurde das Urteil bisher so ausgelegt, dass das Modell der Vertrauensarbeitszeit - bei der es eben gerade keine festen Arbeitszeiten und Zeiterfassungssysteme gibt, sondern nur einen ungefähren Rahmen an Arbeitszeiten und eine Ergebnisvorgabe - ausgedient hat. Dies wurde jedoch von politischer Seite wiederum bestritten. Denn: Immerhin handelt es sich hier um ein modernes Arbeitszeitmodell, das Arbeitnehmern gerade mehr Flexibilität ermöglichen soll.

Bei der Zeiterfassung hat der Betriebsrat ein Mitbestimmungsrecht. Nach dem Urteil des BAG bezieht sich dieses Recht nun jedoch nur noch auf die Art der einzuführenden Zeiterfassung, also auf das "wie" und nicht auf das "ob". In vielen Betrieben laufen nach wie vor noch Abstimmungen zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat, wie eine Zeiterfassung praktisch umgesetzt werden soll.

Ein weiteres Problem besteht darin, dass es keine Regelung für Führungskräfte gibt. Unterliegen diese auch der Zeiterfassung? Sind weitere Ausnahmen für weitere Berufsgruppen angebracht?

Welche Regelungen sieht der Gesetzesentwurf zur Arbeitszeiterfassung vor?


Das Bundesarbeitsministerium hat im April 2023 einen Entwurf zur Änderung des Arbeitszeitgesetzes vorgestellt. Dieser besagt:

Arbeitgeber sollen dazu verpflichtet werden, eine elektronische Erfassung der Arbeitszeiten in ihrem Unternehmen einzuführen - etwa per App, Terminal oder Software. Die Erfassung der Arbeitszeiten soll durch die Beschäftigten selbst stattfinden. Dabei sind Beginn, Ende und Dauer der täglichen Arbeitszeit festzuhalten. Es soll möglich sein, dass die Erfassung der Zeiten durch Dritte stattfindet. So gibt es etwa im Baugewerbe eine Erfassung von Baukolonnen auf Baustellen. Die geleisteten Arbeitsstunden sollen noch am gleichen Tag aufgezeichnet werden. Der Arbeitgeber muss dafür sorgen, dass die Arbeitnehmer eine Kopie erhalten.

Wird Vertrauensarbeit weiter möglich sein?


Vertrauensarbeitszeit soll nach dem Gesetzesentwurf weiter möglich sein - aber nur mit Erfassung der Arbeitszeiten. So soll gewährleistet werden, dass sich die Arbeitgeber an die gesetzlichen Höchstarbeitszeiten pro Tag und an Ruhepausenregeln halten.

Wessen Arbeitszeiten müssen künftig erfasst werden?


Der Entwurf sieht vor, dass die Tarifparteien per Tarifvertrag Ausnahmen von der Pflicht zur täglichen Arbeitszeiterfassung vereinbaren können. So sollen sie festlegen können, dass die Arbeitszeiten nicht elektronisch, sondern auf Papier festgehalten werden und dass die Erfassung der Stunden erst innerhalb von einer Woche stattfindet.

Ausnahmen von der Pflicht zur Zeiterfassung an sich soll es geben, wenn die Arbeitszeit bei einer bestimmten Arbeitnehmergruppe aufgrund von deren Tätigkeit nicht gemessen werden kann, die Arbeitszeiten nicht im Voraus feststehen oder von den Beschäftigten selbst festgelegt werden.

Auch sollen kleinere Unternehmen unter zehn Mitarbeitern von der Pflicht zur Zeiterfassung befreit werden.

Das Arbeitszeitgesetz gilt schon in der alten Version nicht für leitende Angestellte, zum Beispiel für Manager, Chefärzte und Leiter öffentlicher Dienststellen.
Ausgenommen sind auch die häusliche Pflege durch mit im Haushalt wohnende Personen und der liturgische Bereich von Kirchen und anderen religiösen Gemeinschaften. Auch sind im öffentlichen Dienst andere Regelungen möglich, da auf Angestellte im öffentlichen Dienst die Vorgaben für Beamte anwendbar sind. Hier gibt es besondere Regelungen im Bundesbeamtengesetz und in der darauf aufbauenden Arbeitszeitverordnung. Dies entspricht der bisherigen Rechtslage und soll sich offenbar auch nicht ändern.

Sind Sanktionen geplant?


Angedacht ist, dass ein Verstoß des Arbeitgebers gegen die Pflicht zur Arbeitszeiterfassung sowie zur Aufbewahrung und Bereithaltung der Aufzeichnungen mit einem Bußgeld von bis zu 30.000 Euro geahndet werden kann. Im Extremfall droht Betrieben auch die Einziehung von Gewinnen, wenn diese durch Verstöße gegen das Arbeitszeitgesetz erwirtschaftet wurden.

Welche Probleme gibt es bei der Arbeitszeiterfassung hinsichtlich Datenschutz?


Bei der Zeiterfassung werden Daten erfasst wie etwa die Personalnummer, Name, Beginn und Ende der Arbeitszeit sowie Urlaubs- und Krankheitstage. Diese gehören zu den personenbezogenen Daten und unterliegen damit dem Bundesdatenschutzgesetz (BDSG) und der DSGVO. Das bedeutet: Das Zeiterfassungssystem muss zunächst einmal zeitgemäß vor Hackern, Schadsoftware und Datendiebstahl geschützt sein. Ferner muss der Arbeitgeber die Grundsätze der Datenverarbeitung nach Art. 5 DSGVO einhalten. Zeiterfassungsdaten dürfen daher nur so lange verarbeitet und gespeichert werden, wie sie ihrem vorgesehenen Zweck dienen.

Weil die Daten der effektiven Zeiterfassung und Gehaltsabrechnung dienen, wird meist davon ausgegangen, dass Arbeitgeber ein berechtigtes Interesse zur Verarbeitung dieser Daten nach Art. 6 Abs. 1 f.) DSGVO haben. Auch § 26 Abs. 1 BDSG kann die Datenerhebung rechtfertigen, da diese meist zur Durchführung des Beschäftigungsverhältnisses erforderlich ist.

Erhoben werden dürfen jedoch nur erforderliche Daten. Also Daten über die Arbeitszeiten, aber keine Daten, die eine Verhaltensüberwachung oder die Erstellung von Bewegungsprofilen im Betrieb ermöglichen. Diese Gefahr besteht zum Beispiel bei der Verwendung von RFID-Chips, die ständig Signale aussenden.

Rechtlich problematisch kann die Erfassung von Arbeitszeitdaten sein, wenn dazu biometrische Daten erhoben werden, etwa Fingerabdrücke, Iris-Scans oder Gesichtserkennung. Hier müsste der Arbeitgeber nachweisen können, warum eine Erhebung derartiger Daten konkret erforderlich ist. Denn: Es gibt genug Systeme, die ohne biometrische Daten auskommen. Das Sammeln überflüssiger personenbezogener Daten ist jedoch unzulässig.

Praxistipp zur Arbeitszeiterfassung


Der genaue Inhalt des neuen Gesetzes muss noch abgewartet werden, da sich dieses noch im Gesetzgebungsverfahren befindet. Fragen zum Thema Arbeitnehmerrechte und Zeiterfassung kann Ihnen ein Fachanwalt für Arbeitsrecht beantworten.

(Ma)


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 Ulf Matzen
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