Lange krank: Was ist eine Wiedereingliederung nach dem Hamburger Modell?

23.05.2025, Redaktion Anwalt-Suchservice
Wiedereingliederung,Krankheit,Arbeitsunfähigkeit,Stufenplan Wer lange krank war, kann mit einem Stufenplan ins Arbeitsleben zurückfinden. © - freepik
Das Wichtigste in Kürze

1. Stufenweise Rückkehr: Die Rückkehr zur Arbeit erfolgt schrittweise mit zunehmender Arbeitszeit und -belastung, um den Gesundheitszustand zu schonen.

2. Individuelle Planung: Arbeitgeber, Arbeitnehmer und Arzt stimmen gemeinsam den Ablauf und die Dauer der Wiedereingliederung ab.

3. Rechtliche Aspekte: Während der Wiedereingliederung besteht weiterhin Anspruch auf Krankengeld, und der Arbeitsplatz bleibt gesichert.
Mit dem Hamburger Modell können Arbeitnehmer nach langer krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit nicht plötzlich, sondern stufenweise wieder in den Beruf zurückkehren. Da dieses Konzept gesetzlich geregelt ist, kann darauf ein Rechtsanspruch bestehen. Maßgebliche Regelungen sind § 74 des Fünften Sozialgesetzbuches (SGB V) sowie für behinderte oder von einer Behinderung bedrohte Menschen § 44 des Neunten Sozialgesetzbuches (SGB IX).

Welche Voraussetzungen hat eine stufenweise Wiedereingliederung?


Vom Hamburger Modell der stufenweisen Eingliederung können Arbeiter und Angestellte profitieren, wenn sie gesetzlich krankenversichert sind. Nach § 74 SGB V gilt: Ist eine bisher arbeitsunfähige Person wieder teilweise arbeitsfähig und kann mit Hilfe einer stufenweisen Eingliederung voraussichtlich besser wieder ins Erwerbsleben zurückgebracht werden, soll der Arzt dies auf der Bescheinigung über die Arbeitsunfähigkeit vermerken. Er soll dabei Art und Umfang der möglichen Tätigkeiten angeben und in geeigneten Fällen auch eine Stellungnahme des Betriebsarztes oder – mit Zustimmung der Krankenkasse – die Meinung des Medizinischen Dienstes einholen. Wichtig: Voraussetzung ist, dass der Arbeitnehmer mindestens sechs Wochen lang arbeitsunfähig erkrankt gewesen sein muss.

Welchen Inhalt muss die ärztliche Bescheinigung haben?


Zusammen mit dem Patienten erstellt der Arzt einen Eingliederungsplan. Dieser wird dann als Empfehlung in die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung aufgenommen. Der Wiedereingliederungsplan legt fest, an wie vielen Stunden pro Arbeitstag welche Tätigkeiten durchgeführt werden können. Die Arbeitsbelastung wird abhängig vom zu erwartenden Genesungsfortschritt hochgefahren. Der Arzt gibt auch eine Prognose darüber ab, ab wann wieder vollständige Arbeitsfähigkeit erwartet werden kann. Der Eingliederungsplan des Arztes ist als Empfehlung zu verstehen. Auch Krankenkasse und Arbeitgeber sollten beteiligt werden. Denn: Alle beteiligten Stellen sollen mit der Lösung einverstanden sein. Das Ziel ist, dass der Arbeitnehmer oder die Arbeitnehmerin nach und nach an den Arbeitsplatz zurückkehren kann.

Erhält man während einer Wiedereingliederung Arbeitslohn?


Die während der Wiedereingliederungszeit geleisteten Tätigkeiten gelten rechtlich nicht als Arbeit nach dem Arbeitsvertrag, sondern als Rehabilitationsmaßnahme. Das bedeutet: Für diese Zeit wird zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer oft ein Wiedereingliederungsvertrag abgeschlossen, während der eigentliche Arbeitsvertrag ruht. Daher erhalten Arbeitnehmer in diesem Zeitraum auch nicht ihren vereinbarten Arbeitslohn vom Arbeitgeber, sondern Krankengeld oder Übergangsgeld von der Kranken- oder Rentenversicherung.

Wo wird das Stufenmodell beantragt?


Wenn Arbeitnehmer nach langer Krankheit eine Wiedereingliederung in den Beruf wünschen, ist der erste Ansprechpartner ihr behandelnder Arzt. Als Träger der Maßnahme fungiert die gesetzliche Krankenversicherung des Patienten. Allerdings gibt es auch stufenweise Wiedereingliederungen mit Hilfe der Rentenversicherung. Dazu kommt es zum Beispiel, wenn der Patient sich in einer von dieser getragenen Rehabilitation befindet. Es ist sinnvoll, möglichst frühzeitig Kontakt zum Arbeitgeber aufzunehmen.

Wie lange dauert die Wiedereingliederung?


Hier gibt es keine feste Zeitspanne. Eine stufenweise Wiedereingliederung kann sechs Wochen oder über sechs Monate dauern. Dies hängt von der Art der Erkrankung ab sowie von der Dauer der Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers.

Darf der Arbeitgeber sich gegen das "Hamburger Modell" entscheiden?


Nach einem Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm gehört eine ärztlich empfohlene stufenweise Wiedereingliederung zu den gebotenen Maßnahmen des betrieblichen Eingliederungsmanagements. Daher kann der Arbeitgeber nicht frei entscheiden, ob er das Hamburger Modell akzeptiert. Ablehnen kann er die stufenweise Wiedereingliederung eines Mitarbeiters höchstens, indem er nachweist, dass der Betreffende gar nicht arbeitsfähig ist. Frühere Gerichtsurteile, nach denen der Arbeitgeber frei entscheiden konnte, gelten als überholt. Tatsächlich können Arbeitnehmer sogar Anspruch auf Schadensersatz haben, wenn sich der Chef nicht auf eine stufenweise Wiedereingliederung im Sinne der ärztlichen Bescheinigung einlässt (LAG Hamm, Urteil vom 4.7.2011, Az. 8 Sa 726/11).

Welche anderen Modelle für den Wiedereinstieg ins Berufsleben gibt es?


Ihre stufenweise Wiedereingliederung können Arbeitnehmer auch direkt mit dem Arbeitgeber aushandeln. Diese kann auch zum Beispiel über ein Teilzeitmodell erfolgen. Dann bekommt der Arbeitnehmer den vertraglich geschuldeten Arbeitslohn und die Krankenversicherung ist nicht weiter beteiligt. Arbeitnehmer können unter Umständen auch einen Anspruch auf Teilzeitarbeit haben. Die Voraussetzungen dafür regelt § 8 Teilzeit- und Befristungsgesetz (TzBfG). Das Arbeitsverhältnis muss länger als sechs Monate bestanden haben. Beschäftigte müssen die Verringerung ihrer Arbeitszeit und den Umfang der Verringerung spätestens drei Monate vor deren Beginn geltend machen. Dabei müssen sie die gewünschte Verteilung der Arbeitszeit angeben.

Was passiert bei einer erneuten längeren Erkrankung?


Es kommt vor, dass ein Arbeitnehmer, der bereits sechs Wochen lang krank war, nach Abschluss eines Betrieblichen Eingliederungsmanagements (BEM) erneut für mehr als sechs Wochen erkrankt. In diesem Fall ist ein weiteres BEM durchzuführen. Dies gilt auch, wenn beide Erkrankungen im gleichen Jahr liegen. Der Arbeitgeber darf dem Arbeitnehmer in diesem Fall nicht einfach kündigen. Dies hat das Bundesarbeitsgericht entschieden.

Vor Gericht ging es um einen langjährig in einem Betrieb beschäftigten Produktionshelfer, der länger krankgeschrieben gewesen war. Anschließend fand ein Gespräch mit dem Arbeitgeber zur Durchführung eines betrieblichen Wiedereingliederungsmanagements statt. Nach dem Gespräch erkrankte der Mitarbeiter allerdings erneut für mehrere Monate. Daraufhin wurde ihm gekündigt. Zu Unrecht, wie das BAG entschied: Die Kündigung sei unverhältnismäßig und nicht sozial gerechtfertigt.

Der Arbeitgeber habe die Pflicht, selbst die Initiative für ein erneutes BEM zu ergreifen. Dies gelte sogar, wenn seit dem letzten BEM noch kein ganzes Jahr vergangen sei. Denkbar sei, dass sich während der erneuten Erkrankung neue Erkenntnisse über deren Ursachen und die Möglichkeiten einer Wiedereingliederung ergeben hätten. Gerade dies solle in einem BEM festgestellt werden. Auf ein neues Betriebliches Eingliederungsmanagement könne nur verzichtet werden, wenn der Arbeitgeber beweisen könne, dass es nutzlos sei (Urteil vom 8.11.2021, Az. 2 AZR 138/21).

Praxistipp zum Hamburger Modell


In vielen Fällen macht eine stufenweise Wiedereingliederung nach längerer Krankheit Sinn. Wenn ein Betriebliches Wiedereingliederungsmanagement durchgeführt wird, dürfen Arbeitnehmer seit einiger Zeit eine Vertrauensperson zum Gespräch mitbringen. Dies kann ein Mitglied des Betriebsrates sein (§ 167 SGB IX). Liegen Sie im Streit mit Ihrem Arbeitgeber oder wurde Ihnen krankheitsbedingt gekündigt? Dann kann ein Fachanwalt für Arbeitsrecht Sie kompetent beraten und auch eine Kündigungsschutzklage in die Wege leiten.

(Wk)


 Günter Warkowski
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