Unfallschäden: Auch Reparaturkosten der Vertragswerkstatt können fiktiv abgerechnet werden

13.11.2015, Redaktion Anwalt-Suchservice
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Auto,Werkstatt,Reparatur,Schaden,Radaufhängung Autounfall: Ist die fiktive Abrechung von Reparaturkosten zulässig? © - freepik

Kaskoversicherungen müssen unter bestimmten Voraussetzungen auch Reparaturkosten zahlen, die eine Vertragswerkstatt veranschlagt. Und zwar selbst dann, wenn das Auto gar nicht repariert wird.

Kaskoversicherungen müssen unter bestimmten Voraussetzungen auch die Kosten einer Reparatur erstatten, die eine Vertragswerkstatt veranschlagt. Dies auch in dem Fall, dass das Auto nicht repariert wird (= fiktive Abrechnung).

Abrechnung eigener Unfallschäden in der Kaskoversicherung


Das Urteil des Bundesgerichtshofes (BGH) bezieht sich auf die Abrechnung von Schäden in der Kaskoversicherung – also Schäden am eigenen Auto des Unfallverursachers. Dies ist deshalb entscheidend, weil bei Fremdschäden andere Grundsätze gelten. Hier geht es nämlich nicht um einen Schadensersatz, den ein Fremder zahlen muss, sondern um die Erstattung von Reparaturkosten nach dem Vertrag zwischen der Versicherung und ihrem Kunden. Kasko-Versicherungsverträge enthalten meist Klauseln, nach denen die Versicherung in bestimmten Grenzen auch dann zahlt, wenn der Versicherungsnehmer sein Auto nicht wieder reparieren lässt. Dies kommt vor – zum Beispiel, weil es dem Autofahrer nichts ausmacht, bis zum Auslaufen des TÜV noch mit einem kaputten Kotflügel herumzufahren, und er das Auto dann sowieso verschrotten oder in den Export verkaufen will.

Welche Kosten sind erforderlich?


Allerdings enthalten die Verträge meist eine Einschränkung: Es werden nur die für die Reparatur "erforderlichen" Kosten erstattet. Was erforderlich ist, ist jedoch so eindeutig nicht. Wer sein Auto nur in die Hände einer Vertragswerkstatt geben mag, muss mit deutlich höheren Stundensätzen rechnen, als jemand anderer, der das gleiche Auto in einer freien Werkstatt abgibt. Dementsprechend werden sich auch die Kostenvoranschläge der Werkstätten deutlich unterscheiden.

Der vom BGH entschiedene Fall


In dem beim BGH verhandelten Fall hatte ein Mercedes-Fahrer sein Auto nach einem Unfall nicht reparieren lassen. Von seiner Versicherung verlangte er nun die Erstattung des Schadens auf Gutachtenbasis. Ein von ihm in Auftrag gegebenes Gutachten legte die Stundensätze einer Mercedes-Fachwerkstatt zugrunde und wies voraussichtliche Reparaturkosten in Höhe von 9.400 Euro aus. Die Versicherung holte jedoch selbst ein eigenes Gutachten ein. Dabei wurden die Preise einer örtlichen freien Werkstatt verwendet. Diese hätte 6.400 Euro verlangt. Diesen Betrag zahlte die Versicherung. Der Autofahrer klagte deshalb die restlichen 3.000 Euro ein.

Die Versicherungsbedingungen sind entscheidend


Dem Versicherungsvertrag lagen die Allgemeinen Bedingungen für die Kraftfahrtversicherung (AKB) 2008 zugrunde. Danach sollte die Versicherung bei einer nicht durchgeführten Reparatur die erforderlichen Kosten einer vollständigen Reparatur bis zur Höhe des um den Restwert verminderten Wiederbeschaffungswerts bezahlen.

Gerichte nicht einig


Im folgenden Zivilprozess gab zunächst das Amtsgericht der Klage statt. Dann wies das Landgericht Berlin sie in zweiter Instanz ab. Begründung: Soweit eine vollständige und fachgerechte Reparatur auch in einer freien Werkstatt erfolgen könne, seien (nur) die dort entstehenden Kosten erforderlich und somit zu erstatten. Die Grundsätze aus dem Haftungsrecht könnten auf die Kaskoversicherung nicht übertragen werden.

Wie entschied nun der BGH?


Der Bundesgerichtshof in Karlsruhe betonte zunächst, dass hier nach dem Zivilrecht nur die vertragliche Vereinbarung zwischen den Beteiligten relevant sei. Die für die Schadensersatzpflicht eines Unfallgegners üblichen Regelungen seien nicht anwendbar. Allerdings könnten unter Umständen auch die Kosten der Reparatur in einer markengebundenen Werkstatt als erforderliche Kosten im Sinne des Versicherungsvertrages anzusehen sein. Der Versicherungsnehmer könne im Rahmen der Schadensregulierung die fiktiven Kosten für eine Reparatur in der Vertragswerkstatt verlangen, wenn

- eine vollständige und fachgerechte Instandsetzung seines Fahrzeugs nur in der Markenwerkstatt möglich sei oder
- es sich um ein neueres Fahrzeug handle oder
- das Fahrzeug bisher immer in einer Markenwerkstatt gewartet und repariert worden sei.

Der Versicherungsnehmer müsse im Streitfall beweisen können, dass einer dieser Fälle vorliege. Der verhandelte Fall wurde an das Berufungsgericht zurückverwiesen, da dieses bisher keine Feststellungen dazu gemacht hatte, ob eine der genannten Voraussetzungen vorlag. Diese Überlegungen waren von der Vorinstanz nachzuholen (BGH, Urteil vom 11. November 2015, Az. IV ZR 426/14).

Praxistipp


Wer ein neues oder immer nur in der Vertragswerkstatt gewartetes und repariertes Auto fährt, kann von seiner Kaskoversicherung verlangen, dass sie die Reparaturkosten erstattet, die bei Reparatur in einer Vertragswerkstatt anfallen würden. Dies gilt auch bei einer fiktiven Abrechnung, wenn also tatsächlich gar keine Reparatur stattfindet. Voraussetzung sind aber entsprechende Versicherungsbedingungen im Versicherungsvertrag der Kaskoversicherung.

(Ma)


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 Ulf Matzen
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