Flug verpasst: Schadensersatz wegen langer Wartezeit beim Einchecken?

14.02.2024, Redaktion Anwalt-Suchservice
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Einchecken,Flughafen,Warteschlange,Flug,verpasst Check-in: Ist die Warteschlange zu lang, droht ein verpasster Flug. © Rh - Anwalt-Suchservice
Das Wichtigste in Kürze

1. Anspruchsgegner: Verpassen Flugreisende ihren Flug wegen langer Wartezeiten am Gepäckschalter oder beim Check-in, richten sich die Entschädigungsansprüche gegen den Reiseveranstalter.

2. Minderung des Reisepreises: Weist das Flughafenpersonal nicht ausreichend deutlich auf das Vorziehen von Fluggästen am Schalter oder beim Check-in hin und verpassen diese deshalb ihren Flug, begründet dies grundätzlich einen Entschädigungsanspruch.

3. Mitverschulden: Die Fluggäste kann allerdings ein die Entschädigung minderndes Mitverschulden treffen, wenn sie nicht selbst nachfragen, wie sie ihren Flug pünktlich erreichen können.
Das Einchecken für einen Flug kann nicht nur durch Sicherheitskontrollen, sondern auch allgemein durch die Menschenmassen am Flughafen zu einer zeitraubenden Angelegenheit werden. Flugpassagiere werden zwar immer wieder aufgefordert, rechtzeitig am Flughafen zu erscheinen. Aber auch, wenn sie dem nachkommen, können lange Wartezeiten am Gepächschalter oder beim Check-in dazu führen, dass sie ihren Flug verpassen. Welche Rechte haben Flugreisende in diesem Fall?

Gegen wen kann man in einem solchen Fall Ansprüche geltend machen?


Über die Rechte von Fluggästen wird viel geschrieben. Thema sind meist Entschädigungsforderungen nach der Europäischen Fluggastrechte-Verordnung. Diese gilt bei Flugverspätungen, Annullierungen oder Nichtbeförderung durch die Fluggesellschaft. Allerdings passen die standardisierten Ansprüche der EU-Verordnung nicht auf Fälle, bei denen Passagiere allein aufgrund langer Warteschlangen beim Check-in zu spät das Gate erreichen. In diesem Fall hängt es stark vom Einzelfall ab, gegen wen geklagt werden kann.

Bei einer Pauschalreise bietet sich dann eine Klage auf der Grundlage des Reiserechts aus dem Bürgerlichen Gesetzbuch an – also eine Klage gegen den Reiseveranstalter. Schließlich ist dieser für die korrekte Organisation der Reise verantwortlich.

Zwei Stunden Wartezeit beim Check-in – Flug verpasst - Schadensersatz?


Eine Familie hatte einen All-inclusive-Urlaub in der Türkei gebucht. Der Flug sollte von Leipzig nach Antalya gehen. Die Kosten für den Urlaub für vier Personen betrugen rund 2.262 Euro. Im Voucherheft stand, dass die Eincheckzeit für den Flug dreißig Minuten vor der Abflugzeit ende. Abflugzeit war um 14 Uhr 45.
Nach eigenen Angaben waren die Fluggäste zwei Stunden vor dem Abflug am Abflugschalter. Hier fanden sie jedoch riesige Warteschlangen vor. Gleichzeitig mit dem Flug nach Antalya wurde nämlich auch noch ein Flug nach Griechenland abgefertigt. Dies bekam die Familie aber nicht mit, da nur der Name der Fluggesellschaft am Check-in-Schalter stand. Die Fluggäste stellten sich also in die Warteschlange. Sie erreichten den Schalter schließlich um 14 Uhr 20. Das Flugzeug nach Antalya startete ohne sie.

Daraufhin verbrachten sie die Nacht bei Leipziger Verwandten auf dem Fußboden, fuhren am nächsten Tag mit dem Zug nach Berlin und buchten dort einen Flug nach Antalya. Statt am 29.9. um 19 Uhr kamen sie dort am 1.10. um 3 Uhr an – also zwei Tage später. Die Fluggäste verklagten den Reiseveranstalter auf Minderung des Reisepreises und auf Schadensersatz.

Einfach abwarten oder sich beim Schalterpersonal beschweren?


Nach Aussage des Schalterpersonals hatte eine Mitarbeiterin die Fluggäste nach Antalya eine Stunde vor dem Abflug aufgefordert, an der Schlange vorbei nach vorn zu gehen, da sie bei der Abfertigung vorgezogen würden. Die Reisenden seien selbst schuld, wenn sie dies nicht bemerkt oder ignoriert hätten. Die Familie brachte jedoch vor, dass sie keinen derartigen Aufruf bemerkt hätten. Es seien auch keine anderen Reisenden an der Schlange vorbei nach vorn gegangen. Sie seien davon ausgegangen, dass alle Fluggäste in der Schlange das gleiche Reiseziel hätten.

Wie hat das Gericht mit Blick auf die lange Wartezeit am Check-in entschieden?


Das Gericht stellte sich auf die Seite der Kläger. Die Fluggesellschaft habe nicht ausreichend auf das Vorziehen der Fluggäste für den Flug nach Antalya hingewiesen. Es reiche nicht aus, wenn ein Mitarbeiter an der Schlange vorbeilaufe und mehrfach laut rufe. Am Flughafen sei es laut, die Wartenden würden sich unterhalten und permanente Aufmerksamkeit könne man während einer Wartezeit von anderthalb Stunden auch nicht erwarten. Stattdessen hätte das Schalterpersonal eine Lautsprecherdurchsage machen oder jeden Wartenden in der Schlange ansprechen müssen. Von den Fluggästen könne weder erwartet werden, dass sie wüssten, dass zwei Flüge gleichzeitig abgefertigt würden, noch, dass sie einfach so an der Warteschlange vorbei nach vorne gingen. Letzteres sei ein sozial unerwünschtes Verhalten.

Wegen Mitverschuldens zu kürzende Entschädigung?


Das Gericht entschied, dass die Reisenden gegen den Reiseveranstalter einen Anspruch auf Minderung des Reisepreises um den Betrag für einen Tag hätten, hier also 2.262 ./. 11 = 205,65 Euro. Hinzu kam ein weiterer Betrag als Schadensersatz für einen Tag nutzlos aufgewendete Urlaubszeit.
Allerdings hatten die Fluggäste auch noch den Ersatz der Kosten für ihren selbst gebuchten Flug ab Berlin verlangt. Davon bekamen sie 50 Prozent zugesprochen.
Sie erhielten also bei allen Teilbeträgen nur die Hälfte des Verlangten. Das Gericht lastete ihnen nämlich ein Mitverschulden von 50 Prozent am verpassten Flug an.

Warum traf die Reisenden ein Mitverschulden an dem verpassten Flug?


Der Grund für das Mitverschulden: Obwohl das Schalterpersonal keinen ausreichenden Aufruf für den Flug durchgeführt habe, hätten sich die Reisenden laut Gericht nicht einfach nur brav in die Schlange stellen dürfen, ohne auch nur einmal nachzufragen. Sie hätten sich auf irgendeine Art auch selbst um die Lösung des Problems kümmern müssen. Man könne von Fluggästen zwar nicht erwarten, sich mit ihren Koffern an den anderen Wartenden "vorbeizudrängeln". Sie hätten jedoch zumindest einen von ihnen zum Schalter schicken können, um nachzufragen, ob und wie sie noch rechtzeitig nach Antalya einchecken könnten. Dass sie dies unterlassen hatten, sah das Gericht als "grobe Verletzung der Sorgfalt in eigenen Angelegenheiten" an (Amtsgericht München, Urteil vom 5.10.2018, Az. 154 C 2636/18).

Praxistipp zum verpassten Flug wegen zu langer Wartezeiten


Auch in der Warteschlange beim Einchecken kann also von Fluggästen etwas Eigeninitiative erwartet werden: Wer alles einfach dem gestressten Schalterpersonal überlässt, muss sich ein Mitverschulden anrechnen lassen und bekommt deshalb keine volle Entschädigung. Man sollte daher zumindest nachfragen – auch wenn man noch nicht an der Reihe ist. Bei Problemen mit Fluggesellschaften oder Reiseveranstaltern empfiehlt sich die Beratung durch einen Rechtsanwalt, der sich auf das Reiserecht spezialisiert hat.

(Wk)


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 Günter Warkowski
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