Hartz-IV und Schule: Welche Kosten übernimmt das Jobcenter?

02.03.2022, Redaktion Anwalt-Suchservice
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Formelsammlung,Schulbücher Welchen Schulbedarf bezahlt das Jobcenter? © Bu - Anwalt-Suchservice

Für viele Eltern ist der Schulbesuch ihrer Kinder eine finanzielle Belastung, besonders, wenn sie Hartz-IV-Empfänger sind. Nachhilfe, Schulbücher, Klassenfahrten – was zahlt das Jobcenter?

Jeder, der später einmal selbst seinen Lebensunterhalt verdienen will, muss lernen. Auch die Gerichte sind dieser Meinung. Das Jobcenter wurde daher schon durch verschiedene Urteile verpflichtet, bestimmte Kosten im Rahmen der Schulbildung zu übernehmen. Auch der Gesetzgeber hat Möglichkeiten geschaffen, damit Kinder von ALG II-Empfängern Unterstützung für Schulkosten erhalten.

Was ist das Schulbedarfspaket?


Schulkindern aus Familien, die Arbeitslosengeld II oder Sozialgeld oder Sozialhilfe erhalten oder deren Eltern den Kinderzuschlag oder Wohngeld beziehen, steht ein sogenanntes Schulbedarfspaket zu. Im Jahr 2022 erhält jedes Kind 156 Euro jährlich, genauer 104 Euro für das erste und 52 Euro für das zweite Schulhalbjahr. Dieser persönliche Schulbedarf wird jedes Jahr mit dem gleichen Prozentsatz erhöht, wie der Regelbedarf.

Von diesem Betrag sollen Schüler ihren persönlichen Schulbedarf bestreiten, also etwa die Schultasche, das Sportzeug sowie Schreib-, Rechen- und Zeichenmaterial, wie etwa Füller, Malstifte, Zirkel, Geodreieck und Radiergummi. Vom Hartz IV-Regelsatz bezahlen müssen sie hingegen Verbrauchsmaterialien, die man ständig nachkaufen muss – wie zum Beispiel Papier, Bleistifte und Tinte.

Soziale Teilhabe / Kultur, Sport, Mitmachen


Seit dem 1. August 2020 erhalten Schulkinder unter 18 aus den berechtigten Familien monatlich für die Teilhabe am sozialen und kulturellen Leben in der Gemeinschaft pauschal 15 Euro. Ausreichend dafür ist ein Nachweis für die Teilnahme an einer der gesetzlich bestimmten Aktivitäten, beispielsweise Mitgliedschaft im Sportverein oder Unterricht in einer Musikschule.

Welcher Mehrbedarf wird für Schulbücher bewilligt?


Dem Sozialgericht Hildesheim zufolge muss das Jobcenter die Kosten für Schulbücher als einen sogenannten Mehrbedarf tragen. Dies gilt zumindest dann, wenn im betreffenden Bundesland keine Lernmittelfreiheit existiert, bei der den Kindern vom Bundesland Schulbücher zur Verfügung gestellt werden.

Es ging bei der Klage um zwei Gymnasiasten aus einer Familie, die ALG-II-Leistungen erhielt. Bei diesen waren in einem Schuljahr Kosten von je rund 235 Euro für Schulbücher entstanden – insgesamt 470 Euro. Allerdings war die Familienkasse leer. Ein Antrag beim Jobcenter war erfolglos. Die Behörde meint, dass die Familie die Schulbücher aus dem Schulbedarfspaket bezahlen müsse. Wenn dies nicht ausreiche, müsse sie eben Teile des Regelbezugs dafür sparen. Eltern wüssten schließlich im Voraus, dass Schulbücher Geld kosteten. Auch wären nur laufende Aufwendungen als Mehrbedarf anerkannt. Schulbücher seien jedoch nur einmal im Jahr zu bezahlen.

Das Gericht war anderer Ansicht. Nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts müsse der Grundsicherungsträger notfalls alle für den Schulbesuch entstehenden notwendigen Kosten übernehmen (Urteil vom 9.2.2010, Az. 1 BvL 1/09). Solche Kosten gehörten für schulpflichtige Kinder zum existenziellen Bedarf. Ohne Schulbücher sei einfach kein erfolgreicher Schulbesuch möglich. Hier sei der Mehrbedarf unabweisbar: Weder würden Dritte die Kosten übernehmen (keine Lernmittelfreiheit in Niedersachsen), noch könnten die Eltern Beträge in entsprechender Höhe einfach vom Hartz-IV-Regelsatz ansparen. Das Jobcenter müsse die Kosten in voller Höhe übernehmen. Zumindest in Bundesländern ohne Lernmittelfreiheit stellten die Kosten für Schulbücher einen Mehrbedarf dar, den das Jobcenter anerkennen müsse (Sozialgericht Hildesheim, Urteil vom 22.12.2015, Az. S 37 AS 1175/15).

Auch das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen gestand Schülern die Kosten für Schulbücher im Rahmen des Mehrbedarfs zu. Die Kosten für den Schulbesuch gehörten zum Existenzminimum. Aber: Das Gericht entschied auch, dass die Kosten für grafikfähige Taschenrechner von der Schulbedarfspauschale zu bezahlen seien (Urteil vom 11.12.2017, Az. L 11 AS 349/17).

Das Bundessozialgericht hat diese Entscheidung bestätigt und betont: In Bundesländern ohne Lernmittelfreiheit hat das Jobcenter die Kosten für Schulbücher als Mehrbedarf zu übernehmen (Urteil vom 8.5.2019, Az. B 14 AS 6/18 R und B 14 AS 13/18 R).

Werden die Kosten für Klassenfahrten übernommen?


Gemäß § 28 Abs. 2 SGB II bezahlt das Jobcenter die tatsächlichen Kosten für Schulausflüge und mehrtägige Klassenfahrten. Nur ist gesetzlich nicht genau definiert, was ein Schulausflug oder eine Klassenfahrt ist. In einigen Bundesländern gibt es dazu genauere landesrechtliche Regelungen.

Für Streit sorgt dies immer wieder bei Veranstaltungen, an denen nicht die ganze Klasse teilnimmt, sondern nur ein Teil. Schließlich ist es Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung, die Schüler möglichst gut in den Klassenverband zu integrieren. Daher übernehmen die Sozialbehörden meist die Kosten für Veranstaltungen, an denen der überwiegende Teil der Klasse teilnimmt. Dabei gibt es weder eine Kostenbegrenzung, noch eine Angemessenheitsprüfung. Allerdings sind Ausnahmen in den Schulgesetzen der einzelnen Bundesländer möglich.

Dabei werden grundsätzlich die von der Schule veranlassten Kosten bezahlt, nicht jedoch persönliche Ausgaben wie Taschengeld oder Proviant. Dies ergibt sich auch aus einem Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg (Urteil vom 22.6.2010, Az. L 13 AS 678/10).

Maximal 300 Euro für eine Klassenfahrt?


Manche Bundesländer machen Vorgaben in ihren Schulgesetzen, wie viel Klassenfahrten höchstens kosten dürfen. Dann zahlt das Jobcenter auch nur bis zu diesem Betrag. So ist etwa die Rechtslage in Hessen.
Dem Hessischen Landessozialgericht zufolge sind Aufwendungen für mehrtägige Klassenfahrten im Rahmen der schulrechtlichen Bestimmungen nicht vom Hartz-IV-Regelsatz umfasst. Schreibe das Landesschulrecht eine finanzielle Obergrenze für Klassenfahrten vor, müsse der Hartz-IV-Leistungsträger keine Kosten übernehmen, die diese Grenze überschritten. Da dies in Hessen der Fall sei, verurteilte das Gericht das Jobcenter zur Erstattung der Kosten in Höhe von 300 Euro – dem gesetzlichen Höchstbetrag (Urteil vom 19.10.2012, Az. L 7 AS 409/11).

Was ist mit den Kosten für eine Schülerfreizeit?


Dem Sozialgericht Speyer zufolge muss das Jobcenter Kindern, die zusammen mit ihren Eltern Arbeitslosengeld II erhalten, die Kosten für eine mehrtägige Ferienfreizeit eines Schülerhortes bezahlen. Hier hatte der einer Grundschule angeschlossene Schülerhort in den Osterferien eine viertägige Freizeit in einer Waldwerkstatt veranstaltet. Eine Mutter beantragte beim Jobcenter für ihre Kinder je 55 Euro für die Teilnahme – vergeblich. Die Begründung des Jobcenters: Den Kindern stünden für die Teilnahme am sozialen Leben monatlich zehn Euro zu. Dieser Betrag sei durch ihre Mitgliedschaft im Turnverein aufgebraucht. Auch finde die Waldfreizeit in den Ferien statt und habe nichts mit Bildung zu tun.

Das Sozialgericht war anderer Meinung: Entscheidend sei, dass an der Ferienfreizeit nur die regulären Besucher des Schülerhorts teilnehmen könnten. Diese gehöre damit zum Bildungsprogramm der Einrichtung. Die Kosten für die Freizeit stellten daher einen besonderen Bedarf für Bildung dar und seien in der tatsächlich angefallenen Höhe ohne weitere Prüfung vom Jobcenter zu übernehmen - auch bei einer mehrtägigen Veranstaltung. Ausflüge von Kindertagesstätten seien genauso zu behandeln wie Schulausflüge oder Klassenfahrten. Ob der Bildungs- oder der Freizeitaspekt mehr im Vordergrund stünde, sei irrelevant (Sozialgericht Speyer, Urteil vom 23.2.2016, Az. S 15 AS 857/15).

Was gilt für Nachhilfe und Lernförderung?


Auch die Kosten für eine Lernförderung - also Nachhilfeunterricht - können vom Jobcenter übernommen werden. Die Voraussetzung ist jedoch, dass keine vergleichbaren schulischen Nachhilfeangebote bestehen. Die Schule muss den Bedarf an Nachhilfe bestätigen. Es kommt nicht darauf an, ob die Versetzung gefährdet ist (§ 28 Abs. 5 SGB II).

Hier gilt eine Corona-Sonderregel: Wenn ab dem 1. Juli 2021 ein Lernförderungsbedarf festgestellt wird, brauchen Eltern die Nachhilfe nicht gesondert zu beantragen. Der Antrag ist also vom normalen Antrag auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts mit umfasst. Dies gilt auch, wenn der Bewilligungszeitraum schon vor dem 1. Juli 2021 angefangen hat oder erst nach dem 31. Dezember 2023 endet. Die Sonderregelung läuft zum 31. Dezember 2023 aus.

Werden Prüfungsgebühren an Privatschulen übernommen?


Schüler einer Privatschule haben keinen Anspruch nach dem Zweiten Sozialgesetzbuch (SGB II) auf Übernahme der Gebühren für die Abschlussprüfungen. Dies hat das Sozialgericht Dresden entschieden. Nach dem Urteil kann hier keine Übernahme der Prüfungsgebühren als erhöhter Regelbedarf verlangt werden. Der Bedarf an Schulbildung sei als Leistung der staatlichen Daseinsvorsorge durch die Bereitstellung kostenfreier öffentlicher Regelschulen und durch die im Freistaat Sachsen bestehende Lernmittelfreiheit gedeckt (Urteil vom 28.3.2014, Az. S 40 AS 1905/14 ER).

iPad für die Schule: Was zu weit geht....


Das Jobcenter muss Schülern kein iPad bezahlen - egal, was die Schule sagt. Beschließt die Schule, dass iPads zu benutzen sind, muss sie für finanziell schwache Eltern eine Ausleihmöglichkeit bereitstellen, und zwar kostenlos. Dies betonte das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen. Hier ging es um eine Sechstklässlerin, deren Familie von ALG II lebte. Die von der Schule geforderten iPads kosteten 460 Euro pro Stück. Das Jobcenter hätte nur ein Darlehen gewährt.
Das Gericht erklärte: Ein iPad sei ein Luxusgegenstand und kein Schulbedarf. Die Schule habe hier durch die Bevorzugung eines Apple-Produkts gegen ihre Neutralitätspflicht verstoßen. Solche Rechtsbrüche dürften nicht durch öffentliche Gelder unterstützt werden (6.10.2020, Az. L 7 AS 66/19). Eine Revision beim Bundessozialgericht ist anhängig (Az. B 4 AS 84/20 R).

Praxistipp


Leistungsempfänger mit Schulkindern sollten nicht gleich aufgeben, wenn das Jobcenter sich weigert, Kosten für Schulbücher, Nachhilfe und Klassenfahrten zu tragen. Ein Fachanwalt für Sozialrecht kann kompetenten Rat geben und Eltern bei der Durchsetzung ihrer Ansprüche unterstützen. Eltern, die sich keinen Anwalt leisten können, können die staatliche Beratungshilfe in Anspruch nehmen und für einen Prozess ggf. Prozesskostenhilfe beantragen.

(Bu)


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 Stephan Buch
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